Corona-Alarm in Flüchtlingsunterkünften: Ohne Chance auf Abstand

In zwei Hamburger Erstaufnahmen für Geflüchtete gab es vor Weihnachten Dutzende Corona-Ausbrüche. Überraschen kann das niemanden.

Geflüchtete steigen in einen Feuerwehrbus.

Geflüchtete verlassen die Erstaufnahme in der Harburger Poststraße Foto: André Zand-Vakili

HAMBURG taz | Das Virus kam rechtzeitig zum Weihnachtsfest. Wie jetzt bekannt wurde, sind in zwei Hamburger Erstaufnahmen für Geflüchtete über die Feiertage Dutzende Coronafälle aufgetreten.

In der Erstaufnahme Harburger Poststraße in Harburg wurden am Heiligabend insgesamt 34 Menschen positiv auf das Virus getestet, darunter zwei Mitarbeiter*innen der Einrichtung. Unter den Infizierten sind Familien mit Kindern. Die Feuerwehr brachte die Betroffenen sowie weitere 25 Familienangehörige zur Isolation in den zentralen, bereits im Frühjahr eingerichteten Quarantäne-Standort am Neuen Höltigbaum in Rahlstedt.

Nachdem es bereits zehn Tage zuvor erste Verdachtsfälle – mehrere schulpflichtige Kinder – in der Unterkunft gegeben hatte, wurden laut Innenbehörde alle 136 Bewohner*innen und die Betreuer*innen getestet. Die Einrichtung steht nun für zwei Wochen unter Quarantäne, die Geflüchteten dürfen sich nicht mehr frei bewegen.

225 Geflüchtete wurden zudem am Ersten Weihnachtstag in der Erstaufnahme in der Sportallee in Groß Borstel auf das Virus getestet. Auch hier hatte es bereits zehn Tage zuvor erste Verdachtsfälle gegeben. 17-mal fiel das Testergebnis positiv aus. Auch diese Betroffenen wurden mit ihren Familien zum Quarantäne-Standort am Neuen Höltigbaum gebracht, in dem am Montag insgesamt 160 Infizierte mit ihren Angehörigen untergebracht waren. Die gute Nachricht: Keiner der 51 neu infizierten Flüchtlinge und zwei Betreuer*innen ist derzeit so schwer erkrankt, dass eine stationäre Behandlung notwendig ist.

Dass es in zwei der drei Hamburger Erstaufnahmen nun eine massive Ausbreitung des Virus gibt, wundert vor allem die Flüchtlingsinitiativen nicht. Sie warnen schon lange vor der Pandemie-Gefahr in Flüchtlingsunterkünften, in denen die Menschen noch immer mit unzureichenden Abständen zusammengepfercht werden. „Da alle Personen bei ihrer Ankunft in Hamburg auf eine mögliche Covid-19-Erkrankung getestet werden, ist davon auszugehen, dass sich die Personen während ihres anschließenden Aufenthalts in Hamburg mit Covid-19 infiziert haben“, erklärt auch Innenbehörden-Sprecher Daniel Schaefer.

Kollektive Corona-Ausbrüche

Auch in der dritten Hamburger Erstaufnahme am Kaltenkircher Platz in Altona gab es bereits im Herbst einen Corona-Ausbruch – in diesem Fall, ohne dass die Medien davon etwas mitbekamen. Zuletzt hatte es in Hamburg Ende Oktober eine Massen-Infektion in einer Flüchtlingsunterkunft in Rahlstedt gegeben: 70 Bewohner*innen waren damals positiv getestet worden. In einer Unterkunft in Bergedorf hatte es im Oktober neun Infektions-Fälle gegeben, woraufhin die Einrichtung für zwei Wochen unter Quarantäne gestellt wurde. Auch in Flüchtlingszentren in Rendsburg, Celle oder Wolfsburg war es zuletzt immer wieder zu kollektiven Corona-Ausbrüchen gekommen.

Schon im Mai, dem Höhepunkt der ersten Pandemie-Welle, hatte es in nicht weniger als 25 Hamburger Flüchtlingsunterkünften Covid-19-Fälle gegeben. Seitdem währt der Streit darüber, wie für die Schutzsuchenden eine angemessene Unterbringung in Pandemiezeiten gewährleistet werden kann. Da sich in den Massenunterkünften oft mehr als 20 Personen Bad und Küche teilen müssen und die notwendigen Abstandsregeln in der räumlichen Enge der Unterkünfte nicht einzuhalten sind, gelten diese als potenzielle Ansteckungsherde.

Der Hamburger Flüchtlingsrat moniert, Geflüchtete würden wegen einer verfehlten Unterbringungspraxis fortlaufend gefährdet. Die Maßnahmen zu ihrem Schutz vor einer Infektion seien absolut mangelhaft. Ist das Virus „erst einmal in solchen Unterkünften angekommen, lässt sich ein Überspringen auf andere Bewohner*innen kaum mehr verhindern. Weder kann ein Sicherheitsabstand eingehalten werden, noch können soziale Kontakte vermieden werden“, heißt es in einer Stellungnahme des Rates zur Unterbringung der Flüchtlinge während der Pandemie.

Franz Forsmann, Sprecher des Flüchtlingsrates, betont, dass viele Geflüchtete „aufgrund der Zustände in ihren Massenquartieren panische Angst vor Ansteckung haben, zumal viele von ihnen Vorerkrankungen haben oder zu den Risikogruppen gehören“. Der Flüchtlingsrat fordert deshalb, die Flüchtlingsunterbringung deutlich „zu entzerren“, zwischenzeitlich geschlossene Unterkünfte oder Gebäudetrakte wieder zu öffnen, oder die Geflüchteten in den derzeit leerstehenden Hotels unterzubringen. Die zuständige Innenbehörde sieht dazu keine Veranlassung und verweist auf einen „umfassenden Hygieneplan, der fortwährend aktualisiert“ werde.

„Resultat dieser Ignoranz“

Kritik kommt auch von der Hamburger Linken. Die Bürgerschaftsabgeordnete Carola Ensslen (Linke) wirft dem Senat „grobe Fahrlässigkeit“ vor, da er alle Forderungen nach einer entzerrten Belegung der Unterkünfte ignoriere. Ensslen: „Die erneuten Corona-Ausbrüche sind das Resultat dieser Ignoranz.“

Der neue Corona-Impfstoff verspricht keine schnelle Lösung des Problems: Alten- und Pflegeheimbewohner*innen und deren Betreuer*innen sollen zuerst geimpft werden. Dies wird mindestens ein bis zwei Monate in Anspruch nehmen. Erst danach folgen die Schutzimpfungen der nächsten Priorisierungsstufe, zu der auch Geflüchtete gehören, die in Massenunterkünften untergebracht sind.

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