Corona in Bremer Pflegeheimen: Zwei Tote, viele Fragen
Die ersten Corona-Toten in Bremen lebten in einem Pflegeheim. Weitere Bewohner*innen sind infiziert. Eine Ideallösung für Heime ist nicht in Sicht.
Der zweite Verstorbene ist der Bewohner, bei dem Corona im Heim als erstes diagnostiziert worden war. Bei diesem Index-Patienten war die Krankheit schon am 16. März festgestellt worden. Danach waren neun weitere Bewohner*innen positiv auf das Virus getestet worden. Er war bereits im Krankenhaus untergebracht, bis zum Wochenende hieß es aber, sein Zustand sei stabil.
Der erste Verstorbene dagegen soll laut Gesundheitsbehörde am 22. März, einem Sonntag, erste leichte Symptome gezeigt haben – sechs Tage nach Patient eins. Am Montag wurde er getestet, das positive Ergebnis lag dann am Dienstag vor. In der Nacht war er ins Krankenhaus Bremen-Mitte gebracht und dort sofort auf die Intensivstation gelegt worden. Am Mittwochmorgen starb er dort an Herzstillstand.
Obwohl der 76-Jährige schwere Vorerkrankungen hatte, war er also weder beim ersten Verdacht noch direkt nach dem positiven Testergebnis in die Klinik verlegt worden. „Es war vorher medizinisch nicht angezeigt“, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher der Gesundheitssenatorin. Seine Symptome seien schließlich nur leicht gewesen. „Bislang werden die betreut, die eine Krankenhausbehandlung nötig haben.“ Die Entscheidung sei vom Personal vor Ort gefällt worden – ob von Pflegenden oder Ärzt*innen lässt die Gesundheitsbehörde indes unbeantwortet.
Dass künftig – solange es die Krankenhauskapazitäten zulassen – auch Fälle mit leichten Verläufen früher in die Klinik kommen, wenn sie unter Vorerkrankungen leiden, sei im Bereich des Möglichen, so Fuhrmann auf Nachfrage. Rolf Dembinski, Klinikleiter der Intensivmedizin am Klinikum Bremen-Mitte, bleibt zurückhaltend: „So eine Empfehlung kann man keinesfalls generell aussprechen“, so Dembinski. „Ob ein Patient stationär im Krankenhaus aufgenommen werden muss, ist eine Einzelfallentscheidung.“
Dembinski hatte den ersten Verstorbenen behandelt und hält für unwahrscheinlich, dass ihn eine frühere Einweisung gerettet hätte. „Wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass es sich um einen ungewöhnlich schnellen, schicksalhaften Verlauf gehandelt hat“, so der Klinikleiter. Das Leben in der Pflegeeinrichtung geht derweil weiter. Für die nachgewiesen Infizierten wurde eine Isolierstation eingerichtet.
Der Verstorbene selbst hatte die ersten Symptome sechs Tage nach dem positiven Testergebnis von Patient eins. Bis dahin war er auf der normalen Station untergebracht – obwohl er zu den direkten Kontaktpersonen des ersten Erkrankten gehört hatte. Dass weitere Bewohner*innen infiziert sind und sich infizieren werden, ist auch in Bremen nicht ausgeschlossen, auch wenn man von Wolfsburger Verhältnissen weit entfernt ist.
Laut Behörde wird die Gesundheit aller Heim-Bewohner*innen täglich durchs Amt überprüft. Das weitere Vorgehen müsse im Laufe der Pandemie entwickelt und angepasst werden: Ursprünglich hatte man die Heime auf Pläne des Robert-Koch-Instituts von 2005 und 2013 verwiesen, die sich allgemein auf Atemwegserkrankungen beziehen und auch bei einer normalen Grippewelle Anwendung finden.
In der Praxis ergreift man mittlerweile strengere Maßnahmen: Es gilt nicht nur das Besuchsverbot der Allgemeinverfügung, sondern das gesamte Heim steht unter Quarantäne: Alle, also auch Bewohner*innen ohne Symptome, bleiben auf ihren Zimmern, wo sie versorgt werden.
Die Ideallösung für Pflegeheime gibt es dabei nach Ansicht von Expert*innen nicht. Wenn auch für bisher nicht betroffene Heime vorsorglich ähnliche Isolationsregeln gelten würden, würde das die Risikogruppe wohl effektiver vor dem Virus schützen – aber dabei große Probleme mit sich bringen. Die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA) warnt davor, die Rechte von Heimbewohner*innen über Gebühr einzuschränken.
Zumal Demenzkranke hätten Probleme, nachzuvollziehen, warum kein Besuch mehr käme. „Das Ziel, mehr Schutz und Sicherheit für die Bewohner zu erreichen, kann sich dadurch ins Gegenteil verkehren: Isolation, Vernachlässigung oder fehlende Mobilität aufgrund der Schutzmaßnahmen werden gravierende Folgen für die psychische und körperliche Gesundheit haben“, heißt es in einem Positionspapier der BIVA.
Heime sind weitgehend unkontrolliert
Auch Reinhard Leopold, Vorsitzender der Bremer Angehörigen-Selbsthilfegruppe Heim-Mitwirkung und Regionalbeauftragter der BIVA, sieht in den Schutzmaßnahmen selbst eine Gefahr: „Sämtliche soziale Kontakte werden aufgegeben, es gibt keine Beschäftigungsangebote mehr. Die psychischen Schäden, die das hervorrufen kann, bleiben völlig unberücksichtigt.“
Erschwerend komme hinzu, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen momentan nicht zu Kontrollbesuchen in die Heime kommen. Die Wohn- und Betreuungsaufsicht hat laut Sozialbehörde nach wie vor keine freien Kapazitäten für anlasslose Regelkontrollen. Sie kommt wie bisher weiterhin in die Heime, sofern es Beschwerden gibt. Da die Angehörigen die Lage vor Ort aber nicht mehr sehen können, sind die Kontrollmöglichkeiten de facto stark eingeschränkt.
Eine Lösung für das Problem der infizierten Heime kennt auch Leopold nicht. Um Infektionen besser vorzubeugen,z schlägt er aber regelmäßige Tests des Personals vor: „Die Pflegenden sind die ersten, die den Virus in die Heime tragen können. Hier ließe sich die Gefahr sinnvoll verkleinern.“ Und tatsächlich: Neben den beiden Einrichtungen mit kranken Bewohner*innen ist mittlerweile in einem dritten Heim der Coronavirus festgestellt werden – bei einer Pflegekraft.
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