Corona-TV in Russland: Einer hat alles unter Kontrolle
Noch kürzlich propagierte das staatsnahe russische Fernsehen, Händewaschen helfe nicht gegen das Virus. Nun steigen die Infiziertenzahlen.
Wackelbilder, schummriges Licht, Atemgeräusche aus dem Off. Irgendwo gehen Türen auf, Hände drücken auf Geräten herum, es piept und dröhnt, irgendwer spricht durch eine Maske, die Kamera schwenkt schnell zur Seite. „Wir sind nah dran“, erzählen die Journalist*innen des staatsnahen russischen Fernsehens ihren Zuschauer*innen, „damit Sie zu Hause bleiben.“
Russland hat derzeit mehr als 57.000 Infizierte, die Zahlen steigen stark an, viele Städte und Regionen setzen auf strenge Ausgangsbeschränkungen. Das Staatsfernsehen ist geübt darin, wie der Oberlehrer aufzutreten und Botschaften der Staatsführung in platte Formeln zu packen.
Russland habe kein Bettenproblem
Hatte es vor Kurzem noch genüsslich über den Zerfall der EU berichtet, weil diese nicht gegen ein Virus ankomme, das „etwas mehr als eine Grippe“ sei, liefert es nun gehetzte Bilder aus den Krankenhausfluren – um dann den Moderator in Ruhe sagen zu lassen: „Russland hat 45.000 Betten, um Coronapatienten aufzunehmen.“ Alles in bester Ordnung also.
Bilder von Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Minister*innen, Wirtschaftsführern, Bürgermeistern sind Bildern von Videokonferenzen gewichen. Der Erste Kanal fängt jede Nachrichtensendung mit Grafiken an: die niedrigste Linie ist rot und steht für Russland. „Weil wir maximal effektiv dagegen ankämpfen“, sagt die Moderatorin.
Einer bleibt cool
Bei Rossija 1 bietet die Sendung „Moskau. Kreml. Putin“ Ekstase pur und zeigt einen Präsidenten, der alles im Griff hat. Für seine Interviews muss der jungenhafte wie huldigende Reporter Pawel Sarubin Handschuhe und Maske anlegen. Bei Rossija 24 tragen die Moderator*innen T-Shirts mit dem Slogan „Wir bleiben zu Hause“. Sie arbeiten aus ihren Wohnzimmern heraus.
Reporter*innen begleiten Polizist*innen oder Ärzt*innen. Krankenhausflure werden auf allen Kanälen gezeigt. Berichte von Ärzt*innen, die über fehlende Schutzkleidung klagen, kommen nicht vor. Ebenso wenig überfüllte Metro-Zugänge, die zustande kommen, weil die Polizei Passierscheine kontrollieren will.
Die Botschaft dahinter: Die Coronawelt ist zwar auch im staatsnahen russischen Fernsehen eine bedrohliche. Doch es gibt einen, der dabei alles unter Kontrolle hat – Wladimir Putin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen