Corona-Schutz in Hamburger Bürgerschaft: Parlament bleibt lieber unter sich
In Hamburg tagen Fachausschüsse vermehrt per Videokonferenz. Die Presse hat nur Zugang, wenn die Gremien ein „öffentliches Interesse“ annehmen.
Grundlage ist eine in zwei Schritten geänderte Geschäftsordnung der Bürgerschaft. Ende März – zu Hochzeiten des Lockdowns – wurde zunächst mit Paragraf 57a überhaupt erst mal das Instrument einer Videokonferenz für „außergewöhnliche Fälle“ eingeführt. Damals ruhte der Parlamentsbetrieb, so kam dies kaum zur Anwendung.
Vergangenen Mittwoch dann verabschiedete die Bürgerschaft eine weitere Änderung. Videokonferenzen seien „grundsätzlich“ nicht öffentlich, heißt es nun. Nur unter der Voraussetzung, dass die Präsidentin dies im Benehmen mit dem Ältestenrat „bestimmt“, könnte die Öffentlichkeit Zugang über elektronische Übermittlungswege erhalten. Diese Änderung soll laut Präsidentin Carola Veit (SPD) „breitere Transparenz“ bieten. Es entstehen aber hohe Hürden, wie sich zeigen wird.
Mit dem Europaausschuss hatte am Dienstagmittag die Videokonferenz Premiere, am heutigen und am kommenden Donnerstag folgen mit dem Rechts- und Innenausschuss die nächsten reinen Videotermine. Dazwischen tagen die drei Ausschüsse für Wissenschaft, Haushalt und öffentliche Unternehmen noch wie bisher oldschool in echten Sälen, mit Abstand und Plexiglasscheiben. Hier dürfen Journalisten sich anmelden und dabei sein. Doch „pandemiebedingt“ soll es künftig häufiger die Videoform geben.
Ein einzelner Journalist bekommt keinen Zugang
Die taz fragte nun in der Bürgerschaftskanzlei nach, ob die Videotermine presseöffentlich sind. Antwort von Sprecherin Barbara Ketelhut: Der Zugang sei per Livestream über die Homepage möglich, und zwar für die Sitzungen, „bei denen ein öffentliches Interesse anzunehmen ist“. Dazu zähle das Thema Cum-Ex im Haushaltsausschuss. Nötig sei dafür ein Mehrheitsbeschluss der Obleute im Ausschuss, ein Antrag bei der Präsidentin und besagtes „Benehmen“ mit dem Ältestenrat – also die Kommunikation von einem guten Dutzend Personen.
Die taz fragte, ob die Anfrage eines Journalisten oder Bürgers genügt, um so ein öffentliches Interesse anzunehmen. Antwort: „Die Anfrage eines einzelnen Pressevertreters oder Bürgers löst noch kein öffentliches Interesse aus.“ Auf die Frage, an welcher Stelle ein Journalist oder Bürger sein Interesse kundtun kann und an welcher Stelle Presse und Bevölkerung auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht werden, heißt es in der schriftlich gegebenen Antwort nur knapp: „entfällt“.
Es wird hinter den Kulissen dann auch noch um Verständnis geworben, weil man auch Transparenz wolle, sich aber mitten in der Pandemie befinde. Nur gehen andere Landesparlamente ganz anders mit dieser Lage um. In Bremen haben Journalisten „uneingeschränkt Zugang zu den Plenar- und Ausschusssitzungen“, teilt Sprecherin Dorothee Krumpipe mit. Jene Ausschüsse mit hohem Besucherinteresse fänden „nach wie vor in Präsenz“ statt. Für einzelne Sitzungen gebe es Livestreams. Und zu Videokonferenzen würden Journalisten „nach vorheriger Anmeldung“ zugeschaltet.
In Niedersachsen finden Ausschüsse des Landtages derzeit zwar ohne Publikum statt, aber Medienvertreter sind weiter zugelassen. Auch hier ermöglicht eine im Zuge der Coronapandemie angepasste Geschäftsordnung „digitale und hybride“ Ausschusssitzungen. Nun können dort immerhin jene Journalisten, die Mitglied der Landespressekonferenz sind, Zugang erhalten.
Stefan Endter,
In Schleswig-Holstein steht Öffentlichkeit als „Ausdruck des Demokratieprinzips“ sogar in der Landesverfassung. Aus dem Kieler Landtag werden Ausschusssitzungen per Ton über ein Parlamentsradio im Internet übertragen. Ausgenommen sind nur Untersuchungsausschüsse.
Eine großzügige Regelung hat das rot-rot-grün-regierte Berlin. Dort werden seit Ende der parlamentarischen Sommerpause alle Fach- und Unterausschüsse per Livestream im Netz übertragen und sind hinterher dort abrufbar. Laut dem Sprecher Ansgar Hinz lässt das Abgeordnetenhaus die Streams derzeit noch von einer Firma übertragen, plant dies aber künftig in Eigenregie zu tun. Die Transparenz ist dem chronisch klammen Berlin immerhin eine Investition im höheren fünfstelligen Bereich und mindestens eine zusätzliche Stelle wert.
„Gerade in Coronazeiten ist die Transparenz der parlamentarischen Arbeit von besonderer Bedeutung“, sagt denn auch Stefan Endter, Geschäftsführer des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) in Hamburg. Doch diese Erkenntnis scheine die Bürgerschaft in ihrer Geschäftsordnung nicht umzusetzen.
Die Berichterstattung zur parlamentarischen Arbeit über eine grundsätzlich nicht öffentliche Videoschalte zu beschränken sei nicht akzeptabel, sagt der DJV-Mann, zumal die Geschäftsordnung für Präsenzsitzungen in normalen Zeiten die Öffentlichkeit selbstverständlich vorsieht. Endter: „Der DJV appelliert an die Bürgerschaft, auch bei Videositzungen die Öffentlichkeit herzustellen.“
Die Fraktion Die Linke hatte der neuen Geschäftsordnung nicht zugestimmt, sondern sich enthalten. „Es werden noch mehr Videokonferenzen dazukommen“, prophezeit Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. Sie unterstütze diese Form aus Infektionsschutzgründen, fordere aber eine grundsätzliche Öffentlichkeit auch für die Bevölkerung. „Dass jetzt auch die Presse nicht dabei ist, geht wirklich gar nicht“, sagt die Abgeordnete. „Da werden wir noch mal nachhaken.“
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