Corona-Proteste der Eventbranche: Ist da alles tutti?
Veranstalter*innen sind von der Krise hart getroffen. Ihr Protest ist verständlich, die Branche kann aber trotzdem mal abspecken.
![Suzy (l) und Rachel, zwei Double-Darstellerinnen aus dem Estrel-Hotel, halten bei einer Demonstration der Veranstaltungsbranche ein Plakat mit der Aufschrift "The Show must go on!" Suzy (l) und Rachel, zwei Double-Darstellerinnen aus dem Estrel-Hotel, halten bei einer Demonstration der Veranstaltungsbranche ein Plakat mit der Aufschrift "The Show must go on!"](https://taz.de/picture/4283178/14/25527657-1.jpeg)
Eine der schlagendsten Erfahrungen im „Eventbetrieb“: Während Techniker immer und zumeist sogar nach Tarif bezahlt sind, ob festangestellt, oder, wie leider allzu oft, mit Tagessatz über ein Subunternehmen angeheuert, werden selbständige Djs oder Autoren oft genug unterbezahlt oder gehen gerne auch mal ganz leer aus. Weil, ist ja Kunst. Und eine Chance zur Selbstdarstellung. Ganz nach dem Motto: Erst hört niemand zu, und dann tanzt auch keiner; was den besagten Techniker um 1 Uhr, wenn dann doch welche alkoholbeseelt tanzen, auf seinen tariflich abgesicherten Feierabend drängen lässt.
Und jetzt also sollen alle in einem Boot sitzen. In dem Boot namens Corona. Ist ja auch so. Keine Veranstaltungen für alle. Heißt eben auch: Niemand profitiert. Nicht der Techniker, nicht die Garderobenstudentin, nicht die Pflegekraft, nicht der DJ. Corona saugt, und auch wenn in der Hauptstadt die „Corona-Ampeln“ alle auf Grün stehen: Vor möglichen Superspreadingevents wird weiterhin gewarnt.
Also ja, der Bereich leidet. „Die Branche“, wie sie sich selbst zusammenfasst. Also geht sie wieder auf die Straße, Freitagnachmittag in Berlin-Mitte, die dritte Demo ist das insgesamt schon. Alle sind sie da: die Veranstalter*innen, Techniker*innen, Bühnen- und Messebauer*innen und weitere Dienstleister*innen aus der Kultur- und Eventbranche. Zeit haben sie! „Umso wichtiger, dass wir nicht das Momentum verlieren und unseren Anspruch auf Lösung der Misere weiterhin lautstark verkünden“, heißt es in schönem Gewerkschaftsdeutsch im Aufruf. Und weiter: „Wir werden dazu nochmals größer mit insgesamt 5 Trucks, der Liveband ‚The Birddogs‘ und dem bereits bekannten BDV-Sarg, mit dem wir die Veranstaltungsbranche symbolisch zu Grabe tragen.“
Ruhe sie in Frieden. Ich meine, wer zur Hölle sind „The Birddogs“? Was ist ein „BDV-Sarg“? Ist nicht, neben brancheninternen Ungerechtigkeiten, siehe oben, eines der Probleme der Branche von jeher ihre Taubheit gegenüber Qualität und Kritik? Müssen Stadtfeste, Schlagerparaden, Karnevalsfeiern, Mottopartys etc. etc. überhaupt ständig und immer sein? Gilt nicht mehr die ungefähre Faustregel aus den 80ern, je größer, desto mieser? Wie sieht überhaupt die Umweltbilanz der Eventbranche aus? Ist da alles tutti oder sollte man eh mal darüber nachdenken, was in Zukunft noch gebraucht wird – und was endlich weg kann?
Weniger Arbeit, mehr Freiheit – das ist ein Grundsatz, der im Neoliberalismus völlig undenkbar geworden ist. Sicher, es werden Grundeinkommen und Bürgergeld diskutiert; aber ernsthaft darüber nachdenken will dann doch niemand. Lieber den Job in der Braunkohlegrube, im AKW oder in anderen Jobs, die, wie in dieser Branche, gern einmal unterbezahlt sind und Selbstverwirklichung sagen, wenn sie Selbstausbeutung meinen.
Und so ziehen sie weiter in Sachen Lobbyismus von unten „protestmarschierend“ durch die Hauptstadt, die ansonsten von LKW-Fahrern und Spediteuren aus ganz ähnlichen Gründen heimgesucht wird. Aber immerhin protestieren die auch gegen: „Preisverfall, Kabotageverstöße und Sozialdumping.“
Was zur Hölle sind Kabotageverstöße?
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