Corona-Impfpflicht in Österreich: Mit Kaiserschmarrn und Peitsche
Vor der Abstimmung über eine Corona-Impfpflicht hat Wien ein Belohnungspaket beschlossen. Eine Mehrheit für die Maßnahme galt als sicher.
Das schon im vergangenen November angekündigte Gesetz zählt zu den am meisten umstrittenen Vorhaben der jüngeren Geschichte. Während der Begutachtung wurden über 100.000 Stellungnahmen von Institutionen und Privatpersonen abgegeben, die meisten davon negativ. Man habe viele der Kritiken und Anregungen in den finalen Entwurf eingearbeitet, beteuerte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) vor einigen Tagen.
Vom Projekt selbst und dem vorgesehenen Inkrafttreten am 1. Februar wolle man aber nicht abrücken. Einwände waren nicht nur von notorischen Impfgegnern, Esoterikern und Anhängern von Verschwörungsmythen gekommen. Auch renommierte Virologen hatten zu einer Verschiebung geraten. Denn für die Omikronwelle, die dem Land fast täglich neue Rekordwerte bei den Neuinfektionen beschert, komme die verpflichtende Impfung zu spät.
Hilfreich wäre derzeit nur die sogenannte Booster-Impfung, die hohen Schutz vor Ansteckung und schwerem Verlauf garantiere. Die 7-Tage-Inzidenz, wurde von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) zuletzt mit 1.438,9 bemessen, das ist mehr als doppelt soviel wie in Deutschland.
Fachleute hatten geraten, die Impfpflicht erst im Frühjahr einzuführen, damit sie vor einer möglichen neuen Corona-Welle im kommenden Herbst ihre Wirkung entfalten könne. Außerdem seien die Behörden noch gar nicht gerüstet. Denn vor April sei die Verwaltung der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) gar nicht in der Lage, die Meldedaten mit den Impfdaten zu verknüpfen. Erst dann können amtswegig Strafbescheide ausgestellt werden. Bis dahin muss die Polizei die Einhaltung des Gesetzes überprüfen. Und in der ersten Phase sollen Sanktionen überhaupt ausbleiben, so die finale Fassung des Gesetzes. Dennoch rechnen Gerichte mit einer Lawine von Einsprüchen gegen Strafbescheide und forderten eine entsprechende Aufstockung des Personals.
Juristinnen und Juristen gehen weitgehend davon aus, dass das Gesetz vor dem Verfassungsgerichtshof halten wird. Der Eingriff in die Grundrechte durch die Impfpflicht sei angesichts der Bedrohung der Volksgesundheit durch das Virus verhältnismäßig. Bedenken gibt es vor allem dadurch, dass die Omikron-Variante auch Geimpfte nicht verschont, der Nutzen der Impfung also relativiert wird. Trotzdem war schon Tage vor der Abstimmung im Parlament klar, dass das Gesetz mit einer großen Mehrheit angenommen würde.
Geschlossen dagegen war nur die rechte FPÖ, die jedes Wochenende zu den Domonstrationen der Impfgegner aufruft. Parteichef Herbert Kickl sieht die Regierung auf dem Weg zur „Diktatur“ und zieht in seinen polemischen Ansprachen grenzwertige Vergleiche mit dem Nazi-Regime. Kaum weniger aggressiv fielen die Redebeiträge der FPÖ-Mandatare bei der Debatte aus. „Schämen Sie sich!“, replizierte Grünen-Fraktionschefin Sigrid Maurer. Das Verhalten der Freiheitlichen sei „absolut zynisch“, deren Politik schuld an der niedrigen Impfquote: „Die Impfung ist auch ein Siegeszug der Wissenschaft gegen die Leugnung von Fakten und Empirie.“
Die größte Oppositionspartei wird von einer gelernten Epidemiologin geleitet. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sieht die Impfpflicht als „ultima ratio“ angesichts des Versagens der Regierung, die Impfquote durch gelindere Mittel zu erreichen. Mit ähnlichen Argumenten stimmte die Mehrheit der liberalen Neos für das Gesetz.
In letzter Minute aufgegriffen wurde der Vorschlag, parallel zur gesetzlichen Verpflichtung neue Anreize zu schaffen. So wird es eine Impflotterie geben, bei der jede oder jeder zehnte Geimpfte einen Warengutschein bekommen soll. Wer dreimal geimpft ist, bekommt also dreimal die Chance auf einen Gewinn. Belohnt werden sollen auch Gemeinden, die ab 80 und 90 Prozent Durchimpfung jeweils höhere Förderungen für kommunale Projekte bekommen.
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