Gesundheitssystem in der Coronakrise: Fake-Anzeigen, echter Notstand
Impfgegner*innen haben sich dazu verabredet, falsche Inserate von ungeimpften Pfleger*innen zu schalten. Das Problem könnte dennoch real sein.
„Krankenschwester, jahrzehntelange Erfahrung, c-impffrei, vielseitig interessiert, sucht ab 16.03.2022 neue Herausforderung“ steht in einer Anzeige etwa. Handynummern ließen die wenigsten Inserate auf der Suche nach einem „neuen Wirkungsfeld“ abdrucken, lediglich anonyme Chiffren für Rückfragen über das Anzeigenblatt. Die Inserierenden, die tatsächlich eine Telefonnummer angaben, waren per Anruf und auch per Nachricht nicht zu erreichen. In der Rotenburger Rundschau, deren Verbreitungskreis an den der Kreiszeitung Wochenblatt angrenzt, finden sich in der Ausgabe vom 22. Januar mehrere zum Teil identische Inserate.
Jede Woche werden laut Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter etwa 65,8 Millionen dieser Zeitungen gedruckt. Oftmals erreichen die kostenlosen Printerzeugnisse auch Ecken, wo es sonst keine Lokalmedien mehr gibt. Diese Reichweite wollen nun scheinbar Verschwörungsideolog*innen nutzen.
Ungereimtheiten rund um die vermeintlichen Stellengesuche fielen zuerst dem RBB-Journalisten Andreas Rausch auf. Er stolperte in Bautzen über 126 Inserate, abgedruckt auf einer ganzen Seite des lokalen Anzeigenblattes. Auch im Fränkischen Boten und im Traunsteiner Tageblatt wurde inseriert. „t-online“ berichtet, dass sich Impfgegner*innen auf Telegram abgesprochen hätten, am 29. Januar die Heilbronner Stimme mit Stellengesuchen zu „fluten“.
Empfohlener externer Inhalt
Noch keine Kündigungen wegen der Impfpflicht
Etwa 225 Euro dürfte die Aktion bei der Kreiszeitung Wochenblatt die Impfgegner*innen gekostet haben. Das Anzeigenblatt hat mittlerweile den Fehler erkannt und einen Artikel über die Gesuche veröffentlicht. Am Telefon sagte eine Redakteurin der Kreiszeitung Wochenblatt gegenüber der taz, die Kolleg*innen in der Anzeigenabteilung bearbeiteten oft Hunderte Anfragen. Man habe nicht mit einer derartigen Aktion gerechnet, sei lediglich auf die hohe Anzahl an Inseraten aufmerksam geworden. Bei der Rotenburger Rundschau dagegen sieht man erst einmal keine Probleme mit den Anzeigen. Alle Inserierenden seien reale Personen und die Kontaktangaben seien korrekt. Mehr könne man nicht prüfen.
Eine einrichtungsbezogene Impfpflicht im Gesundheits- und Pflegebereich gilt bundesweit ab dem 16. März 2022. Wenn sich Beschäftigte dann nicht impfen lassen, kann das dienstrechtliche Folgen haben.
Eine allgemeine Impfpflicht für alle ab 18 Jahren wird aktuell im Bundestag diskutiert. Die Ampel-Koalition strebt einen Beschluss bis Ende März an.
Zur Durchsetzung einer allgemeinen Impfpflicht sind Bußgelder im Gespräch. Ein Impfzwang, also eine Durchsetzung mit körperlicher Gewalt, wird ausgeschlossen.
Obwohl die Anzeigen falsch sind, werfen sie eine Frage auf: Ist es denn wirklich so schlimm um das medizinische Personal bestellt, wie die Gesuche suggerieren? Auf taz-Anfrage antworten mehrere Kliniken im Verbreitungsgebiet der beiden Anzeigenblätter, man habe noch keine Kündigungen wegen der branchenspezifischen Impfpflicht erhalten.
Ähnliches ergeben auch Nachfragen bei den drei großen Klinikträgern in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover und der Arbeiterwohlfahrt. In den Einrichtungen von Diakovere seien beispielsweise etwa 95 Prozent der Beschäftigten geimpft. „Wir erreichen nicht alle, aber die Leistungsfähigkeit ist absolut gegeben und wird weiterhin gegeben sein, sowohl im medizinischen Bereich als auch in der Altenpflege“, so Matthias Büschking, Unternehmenssprecher von Diakovere. Man werde weiter mit allen Angestellten sprechen und versuchen, diese zu überzeugen.
Nach einer Befragung des Robert-Koch-Instituts aus dem vergangenen Oktober waren damals bundesweit bereits über 90 Prozent der Angestellten im Gesundheitswesen geimpft. Vom Bundesgesundheitsministerium heißt es auf Anfrage der taz, man gehe nicht davon aus, dass die Regelung zu Kündigungen in größerer Zahl führe. „Es liegen keine Daten vor, ob und wie viele Beschäftigte in Pflegeheimen, ambulanten Pflegediensten, Krankenhäusern und Arztpraxen aufgrund der Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht bereits jetzt eine Arbeitslosigkeit ab Mitte März 2022 bei einer Arbeitsagentur angezeigt haben“, heißt es weiter.
Tatsächlich könnte sich in manchen Teilen des Landes trotzdem ein echtes Problem hinter den Fake-Gesuchen verbergen. „Wir bekommen zunehmend Rückmeldungen aus den Mitgliedsbetrieben, dass Beschäftigte mit Blick auf die kommende einrichtungsbezogene Impfpflicht beabsichtigen zu kündigen“, sagt Bernd Meurer, Vorstand des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) gegenüber der taz. „In vielen besonders stark betroffenen Bundesländern können wir nicht garantieren, dass die Versorgung überall aufrechterhalten werden kann“, so Meurer. „Ohne zusätzliche Kräfte – ob von der Bundeswehr oder aus dem Katastrophenschutz – drohen erhebliche Gefahren für die Versorgung.“
Auch Norbert Böttcher, Geschäftsführer des Krankenhauses Buchholz, dessen ärztlichen Direktor schon die Kreiszeitung Wochenblatt zitiert hatte, warnt gegenüber der taz vor Problemen, wenn zehn Prozent der Angestellten plötzlich nicht mehr beschäftigt werden dürften. Die branchenspezifische Impfpflicht helfe nicht beim Personalmangel und führe letztendlich zu einem Branchenwechsel derer, die sich nicht impfen lassen wollen. Böttcher fordert als Lösung eine Gleichbehandlung aller – und damit eine allgemeine Impfpflicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“