Corona-Hotspot Kita: Trotz aller Vorsicht

Die Gesundheitsbehörde hat bisher keine Erklärung für den Massenausbruch in einer Kita in Bremen. Auf die Coronaregeln wurde hier streng geachtet.

Kind mit einer Pappröhre in einer Kita

Sind die Erzieher*innen krank, gucken die Kinder in die Röhre Foto: Jens Büttner/dpa

BREMEN taz | Den extremen Covid-19-Ausbruch unter Erzieher*innen in einer Bremer Kindertagesstätte kann das Gesundheitsamt nicht erklären. „Wir stehen vor einem Rätsel“, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher der Bremer Gesundheitsbehörde.

Die Rückverfolgung der Infektionsketten sei erschwert, weil nur ein Bruchteil der 102 dort betreuten Kinder getestet wurde. Die Eltern von nur 13 Kindern seien der Aufforderung des Gesundheitsamts gefolgt und hätten ihre Kinder zum Test in eine Corona-Ambulanz gebracht. Ein Test fiel positiv aus.

Wie berichtet hatten sich 16 von 22 pädagogischen Fachkräften in allen sechs Gruppen im Kinderhaus Arche in Osterholz im Verlauf eines Monats infiziert. Die Einrichtung war nach Angaben von Ibrahim Bagarkasi, Bereichsleiter beim Träger Deutsches Rotes Kreuz (DRK), zehn Tage komplett geschlossen. Vergangene Woche sei der Betrieb von zwei Gruppen wieder aufgenommen worden. „Mehr geht nicht, weil der allgemeine Krankenstand so hoch ist.“ Auch der Großteil derjenigen, die sich mit Covid-19 infiziert hätten, sei zwar nicht mehr in Quarantäne, aber noch nicht arbeitsfähig.

Der Ausbruch wirft auch deshalb Fragen auf, weil die Einrichtung laut Bagarkasi teils noch vorsichtiger agiert habe, als es nach dem gültigen Reaktionsstufenplan erlaubt wäre. Lukas Fuhrmann von der Gesundheitsbehörde bestätigt diese Angaben. So dürfen sich in Bremer Kitas Kinder und Fachkräfte zweier Gruppen mischen – im Kinderhaus Arche blieben die Gruppen unter sich. Selbst auf dem Außengelände wurde strikt auf die Gruppentrennung geachtet, mit abgesteckten Bereichen und unterschiedlichen Draußen-Zeiten.

Eltern gaben Kinder draußen ab

Auch alle anderen Vorsichtsmaßnahmen seien berücksichtigt worden, so Bagarkasi. Frühförderung durch externe Fachleute habe nicht mehr in den Gruppenräumen stattgefunden, Eltern hätten ihre Kinder auf dem Außengelände abgegeben. Auch private Treffen der Mitarbeiter*innen, die sich nach und nach ansteckten, habe es nicht gegeben. Dies bestätigt eine Fachkraft, die anonym bleiben will. „Ich habe mich dort sehr sicher gefühlt.“

Die Vorsichtsmaßnahmen hätten nicht nur dem Eigenschutz gedient, sagt Bagarkasi. „Es sollte auch verhindert werden, dass viele Kinder gleichzeitig in Quarantäne müssen, deren Eltern im Krankenhaus arbeiten.“ Das Kinderhaus befindet sich auf dem Gelände des Klinikums Ost, derzeit arbeiten 23 Prozent der Eltern in der Klinik.

Doch der Infektionsweg über die Klinik sei überprüft worden, sagt der Sprecher der Gesundheitsbehörde Lukas Fuhrmann. Die Klinikmitarbeiter*innen, die zuletzt infiziert oder in Quarantäne waren, hätten keine Kinder in der Arche. Dabei ist selbst die Übertragung über die Kinder fraglich. Denn laut Fuhrmann hätten sich auch zwei Reinigungskräfte infiziert – die erst dann putzen, wenn die Kinder weg sind.

Einen so großen Ausbruch in einer Bremer Kita habe es noch nicht gegeben, sagt Fuhrmann. „In anderen Häusern mit doppelt so vielen Mitarbeiter*innen haben sich höchstens zehn Erzieher*innen infiziert – positive Tests von Kindern gab es immer nur sehr wenige.“ Nach Angaben der Behörde von letzter Woche waren zuletzt in den 435 Kitas der Stadt Bremen acht Kinder, 53 pädagogische Kräfte und keine weiteren Beschäftigten in Kitas positiv getestet.

In den vergangenen Monaten haben Politiker*innen und Journalist*innen die trotz ansteigender Infektionszahlen geöffneten Schulen und Kitas mit Studien begründet, die ein geringeres Erkrankungs- und Ansteckungsrisiko von Kindern festgestellt haben. So einfach ist es allerdings nicht. „Eine Literaturrecherche, in die 291 internationale Studien eingeschlossen wurden, zeigt: Zur Infektiosität von Kindern und Jugendlichen liegt nur eine geringe Zahl aussagekräftiger Studien vor, die Ergebnisse sind insgesamt heterogen.“ So heißt es auf der Homepage der Corona-Kita-Studie von Robert-Koch-Institut und Deutschem Jugendinstitut. Und: „Insgesamt scheinen Kinder ein weniger hohes Übertragungsrisiko zu vermitteln als Erwachsene.“

50 Prozent mehr infizierte Erzieher*innen im Oktober

Die vom Bundesgesundheitsministerium finanzierte Studie soll klären, welche Infektionsrisiken in Kitas bestehen und wie die Einrichtungen in der Pandemie arbeiten. Vor knapp zwei Wochen wurde der zweite Quartalsbericht veröffentlicht. Darin heißt es, dass „seit Anfang Oktober in den Kitas ein Anstieg beim pandemiebedingten Ausfall des Personals“ zu beobachten sei. Mit 37.500 Beschäftigten seien vier Prozent der pädagogischen Fachkräfte „derzeit pandemiebedingt krank geschrieben“, der Anstieg zwischen der 41. und 45. Kalenderwoche habe rund 50 Prozent betragen.

Und laut einer Auswertung der AOK, die am Montag vorgestellt wurde, waren „Berufe in der Betreuung und Erziehung von Kindern von März bis Oktober 2020 am stärksten von Krankschreibungen im Zusammenhang mit Covid-19 betroffen“. Mit 1.183 Betroffenen je 100.000 AOK-versicherten Beschäftigten liege deren Betroffenheit mehr als das 2,2-fache über dem Durchschnittswert.

Die Geschäftsführer der beiden größten Bremer Träger von Kindertagesbetreuung hatten der taz vergangene Woche gesagt, dass der allgemeine Krankenstand bei Erzieher*innen ungewöhnlich hoch sei – während viele Einrichtungen beobachten, dass die Kinder aufgrund der Hygienemaßnahmen seltener krank sind als gewöhnlich in dieser Jahreszeit. Der taz ist keine Studie bekannt, die den Zusammenhang zwischen der pandemiebedingten Dauerbelastung einzelner Berufsgruppen und dem Risiko für körperliche und seelische Erkrankungen untersucht.

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