Cornelia Koppetsch hat plagiiert: Soziologin vor Disziplinarverfahren
In 111 Textstellen aus vier Aufsätzen und zwei Büchern soll Cornelia Koppetsch plagiiert haben. Was heißt das für ihr Forschungswerk?
Konkret geht es um vier Aufsätze und zwei Bücher, die wegen ihrer Thematik viel besprochen waren: „Die Gesellschaft des Zorns“ (2019) und „Die Wiederkehr der Konformität“ (2013) behandeln den Aufstieg der Rechtspopulisten und rechten Parteien und die Angst der Mittelschicht vor dem sozialen Abstieg. Auch ihre Habilitationsschrift „Das Ethos der Kreativen“ wurde von der Plagiationsplattform VroniPlag untersucht.
Die Ergebnisse sind bitter: In den insgesamt 117 kritisierten Stellen in den Büchern und Aufsätzen hat die Kommission, so besagt es der Bericht, 111 Plagiate oder Verstöße gefunden. Koppetsch wird eine „gravierende Missachtung guter wissenschaftlicher Praxis“ vorgeworfen. Teilweise soll sie ganze Passagen abgekupfert haben, ohne das deutlich zu kennzeichnen. Unter anderem beim Historiker Frank Biess, bei den Politik- und Gesellschaftswissenschaftlern Herfried Münkler und Oliver Nachtwey sowie beim Philosophen Slavoj Žižek.
Die Folge: Die Uni Darmstadt will nun ein Disziplinarverfahren gegen Koppetsch einleiten, der Transcript sowie der Campus Verlag, wo die beiden Bücher erschienen waren, nahmen diese vom Markt. Die Karriere der Wissenschaftlerin dürfte damit ihr Ende gefunden haben.
Man hat gern mit ihr geredet, ihr noch lieber zugehört
Das ist fatal. Zuallererst für die Betroffene, die vermutlich nie wieder an einer Uni oder einer anderen wissenschaftlichen Einrichtung arbeiten wird. Aber auch für all jene, die sie in den vergangenen Jahren gefördert, eingeladen, befragt, ja sogar hofiert haben.
Koppetsch war eine weithin anerkannte Soziologin und auf öffentlichen Podien ein willkommener Gast. Sie trat im Fernsehen auf, wurde von zahlreichen Medien zu Interviews und um eigene Texte gebeten. Auch die taz hat immer wieder gern auf ihre Expertisen zurückgegriffen. Koppetsch galt als eine der wichtigsten Kennerinnen der Geschlechtersoziologie. Sie machte beispielsweise als eine der wichtigsten Ursachen für den Schneckenritt bei der Gleichstellung ein Beharren auf traditionellen Geschlechterrollen aus – ein interessanter wie diskussionswürdiger Denkansatz.
Soziologin Cornelia Koppetsch
Man hat gern mit ihr geredet, ihr noch lieber zugehört – und ihr geglaubt. Und muss sich nun selbst infrage stellen – zumindest in Teilen. Das müssen all jene Medien tun, die mit ihr und ihren Thesen Umsatz und Klickzahlen generiert haben. Das muss die Uni Darmstadt tun, die Studierende auch wegen Koppetsch anzog. Und das muss die Soziologie als Fachgebiet tun, um nicht ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Vielleicht liegt darin der Grund, warum so viele Kritiker*innen, die sich in dieser Personalie zu Wort melden, mit Koppetsch so hart ins Gericht gehen. Im Bericht der Untersuchungskommission ist von Koppetsch als „rücksichtsloser Autorin“ die Rede.
Aber ist es tatsächlich so einfach? Ist Cornelia Koppetsch nicht mehr als eine beinharte Betrügerin? Eine, die sich schamlos mit den Federn anderer schmückt?
Es bleibt ein Restbestand
Ja, sie hat wissenschaftliche Standards missachtet, ja, sie hat fremde Erkenntnisprozesse als ihre eigenen ausgegeben. Sie hat die Wissenschaftswelt genarrt und gefoppt. Aber deswegen muss nicht ihr gesamtes Forschungswerk falsch sein, deswegen muss ihr nicht ihr gesamtes Wissen abgesprochen werden. Trotz aller unsauberer Arbeit und unlauteren Verhaltens bleibt ein Restbestand ihrer eigenen Forschung.
Als Soziologin, die vor allem mit dem Milieuvergleich arbeitet, weiß sie, wovon sie spricht. Ihr Vater war Briefträger, ihre Mutter Hausfrau. Sie und ihre Schwester haben studiert, sie haben sich also „aus den Verhältnissen herausgearbeitet“. Das ist mitnichten eine wissenschaftliche Grundlage, mehr noch, es darf nicht mal eine sein. Aber mitunter kann es hilfreich sein, aus eigener Erfahrung zu wissen, worüber man spricht.
In einem Interview mit dem Spiegel, in dem es zwar um die AfD und den Rechtspopulismus ging, sagte Koppetsch folgenden Satz: „Man erklärt die eigene Wahrnehmung möglichst öffentlichkeitswirksam zur Wahrheit – grenzt sich also ab, um sich seiner selbst zu vergewissern und auf diesem Weg die alte Geborgenheit zurückzuerobern.“
Man kann diesen Satz auch übertragen auf die aktuelle Koppetsch-Debatte: Wer sich jetzt über alle Maßen von ihr distanziert, macht dies nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für sich selbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers