„Coral World“ soll nach Rummelsburg: Ein „fatales“ Signal
Trotzt Kritik und Hunderter Demonstranten beschließt die BVV Lichtenberg einen umstrittenen Bebauungsplan für eine Brache an der Rummelsburger Bucht.
Gegner*innen des Bebauungsplans hatten zuvor zu Protesten mobilisiert, in der Hoffnung, die Bezirksverordneten doch noch umzustimmen – oder zumindest die Abstimmung zu vertagen. Bereits gegen 18 Uhr, zwei Stunden vor Beginn der Sitzung, versammeln sich rund 500 Menschen unter dem Motto „Rettet die Bucht!“ vor dem Campus der HTW, um gegen den umstrittenen Bebauungsplan zu demonstrieren.
Aus einem Lautsprecherwagen wummern Technobässe, auf Schildern ist zu lesen „Natur am Wasser statt Fische im Glas“ oder „Mit dem Deal verkauft ihr unseren Kiez, unser Vertrauen und eure Seelen“. Einige Demonstrant*innen tanzen, trinken Bier, dennoch sind die Wut und Unverständnis gegenüber der geplanten Bebauung groß. „Das, was jetzt gebaut werden soll, ist völliger Schwachsinn“, sagt Anwohner und Demoteilnehmer Michael Schönstedt, „wahrscheinlich werden wir es uns hier in ein bis zwei Jahren nicht mehr leisten können.“
Die Polizei ist schon frühzeitig mit mehreren Einsatzhundertschaften vor Ort und sperrt den Campus großräumig ab. Die Hochschule sagt alle Lehrveranstaltung nach 16 Uhr ab, die Sitzung wird aus Sicherheitsbedenken von der Aula ins Audimax verlegt. Obwohl die Sitzung öffentlich ist, werden nach kurzer Zeit nur noch Pressevertreter und Bezirksverordnete durchgelassen, nur ein kleiner Teil der Aktivist*innen kommt in den Saal. Die, die es nicht schaffen, stehen vor dem Eingang und skandieren: „Kein Gott, kein Staat, kein Aquapark!“
Eine junge Frau wird von der Polizei aus dem Saal getragen
Drinnen im Sitzungssaal ist die Stimmung aufgeheizt. Der Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses, Jürgen Hofmann (Linke), verteidigt die Empfehlung, dem B-Plan zuzustimmen. Sonst würde ein „stadtplanerischer Missstand an exponierter Stelle über Jahre verfestigt“. Eine Ablehnung des B-Plans hätte mehrere Jahre Stillstand zur Folge, an den Eigentumsverhältnissen würde sich nichts ändern. Die nötigen Schul- und Kitaplätze seien bereits an anderer Stelle geplant.
Den Kaufvertrag rückgängig machen können sowieso nur die Investoren, so Hofmann. Seine Rede wird von Protestrufen unterbrochen: „Verräter!“ oder „Korruption!“ sind immer wieder zu hören. Eine junge Frau wird nach mehrmaliger Ermahnung unter Polizeieinsatz aus dem Saal getragen.
B-Plan XVII-4 „Ostkreuz“: Um die Zukunft der rund 30.000 Hektar großen Brache in der Nähe des Ostkreuzes wird schon seit 1992 diskutiert. Der am Montag beschlossene Bebauungsplan stammte in seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahre 2003. Der damals noch rot-schwarze Senat verkaufte 2016 die Fläche für insgesamt 20 Millionen Euro deutlich unter Marktwert an verschiedene Investoren, darunter „Coral World“-Investor Benjamin Kahn und Immobiliengrößen wie Padovicz oder die Streletzki Gruppe.
Aquarium und Wohnraum: Das Aquarium „Coral World“ soll bis zu 500.000 Besucher*innen pro Jahr anziehen. Darüber hinaus, befürchten die Kritiker*innen, wird vor allem hochpreisiger Wohnraum durch private Investoren entstehen. Lediglich 80 preisgebundene Wohneinheiten werden sicher durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge entstehen. (jw)
Vielen Linken ist die Situation sichtlich unangenehm. „Dieser Bebauungsplan ist nicht das perfekte Produkt“, so Fraktionsvorsitzender Norman Wolf, „aber das Beste, was wir unter gegebenen Umständen erreichen konnten.“ Mehrere Mitglieder der Linksfraktion betonten während der Sitzung, vom Senat vor vollendete Tatsachen gestellt worden zu sein, da dieser mit dem Verkauf der Grundstücke an die Investoren bereits 2016 Fakten geschaffen habe.
Der Antrag der Bezirksverordneten Daniela Ehlers (Grüne), die Sitzung zu vertagen, wird mit tobendem Applaus begrüßt. So könnten auf Landesebene die Entwicklungsziele für das Gebiet noch mal überprüft werden. Und es bestünde keinerlei Dringlichkeit, den B-Plan jetzt zu beschließen. Ehlers kritisiert die CDU-Fraktion, die die Sondersitzung einberufen hat, vorschnell Fakten schaffen zu wollen. Doch Ehlers’ Antrag wird abgelehnt, kurz nach 23 Uhr stimmt die BVV-Lichtenberg mit nur fünf Gegenstimmen für den Bebauungsplan Ostkreuz.
Aktivist*innen wollen lieber bezahlbaren Wohnraum
Obwohl die Aktivist*innen mit diesem Ergebnis gerechnet hatten, sind sie sichtlich enttäuscht. „Es ist politisch ein fatales Signal, was gesendet worden ist“, sagt Florian Hackenberger, Mitinitiator der Initiative „Rummelburger Bucht retten!“ Er kritisiert vor allem, dass die Stimmen der Kritiker*innen auf Bezirksebene ignoriert worden sind: „Es ist faktisch nie passiert, dass mit uns gesprochen worden ist. Es gab nie eine sachliche Auseinandersetzung.“ Eine Infoveranstaltung, die zuletzt im März im Cinestar in Treptow stattfinden sollte, wurde abgesagt, weil die Kinomitarbeiter streikten.
Seit Monaten schon gibt es massive Proteste, den Bebauungsplan zu verhindern. Aktivist*innen der Initiative „Rummelsburger Bucht für alle“ sammelten über 40.000 Unterschriften in einer Online-Kampagne und 20.000 weitere in den letzten drei Wochen für eine Volksinitiative, organisierten zwei Großdemos mit über tausend Teilnehmern und arbeiteten mithilfe von Expert*innen einen alternativen Bebauungsplan aus.
Michael Schönstedt, Anwohner und Demoteilnehmer
Ginge es nach den Aktivist*innen, würden an der Rummelsburger Bucht statt eines Aquariums viel bezahlbarer Wohnraum, mehr Schul- und Kitaplätze sowie Natur- und Kulturräume entstehen. Derzeit wird die Brache von einem Obdachlosencamp genutzt, ebenso befinden sich auf der Fläche eine Kulturstätte, ein Bootsverleih sowie drei Wohnhäuser, die dem B-Plan weichen müssten.
Unterdessen wuchs auch der Widerstand auf Landesebene. Grüne- und Linksfraktion beschlossen Anfang März einen Antrag mit dem Ziel, die Entwicklungsziele des Gebiets noch einmal zu überprüfen. Denn nur so könnten die Investoren zu einem Rücktritt vom Kaufvertrag bewegt werden. Dieser scheiterte jedoch an mangelnder Unterstützung der SPD.
Nicht zuletzt sorgte die Kontroverse um den B-Plan auch innerhalb der Linken für Streit – denn Lichtenberg wird von der Linken regiert. Über 50 Mitglieder der Linkspartei wandten sich in einem offenen Brief mit deutlichen Worten an Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke): „Die geplante Beschlussfassung […] ist jedoch eine Ohrfeige für alle, die sich tagtäglich für ein anderes, demokratisches, alternatives, buntes und soziales Berlin einsetzen“, heißt es in dem Schreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen