Coming-Out: Draußen, Drinnen und die Tür
Die queere Teenie-RomCom „Heartstopper“ beschäftigt sich mit dem Coming-Out. Das tut sie mit viel Verständnis für das Drinnen und Draußen.
W ie lange her ist Ihr letztes Coming-out? Meins wenige Tage, bei so einem Honk an der Coronahotline. Es hört nicht auf, oder? Es läuft selten richtig doof ab, ist aber immer irgendwie existenziell. Ich find’s ermüdend. Drum erhebe ich mich manchmal über diejenigen, die (noch) nicht geoutet, also in the closet sind. Unsolidarisch, murmele ich in meinen Bart. Als wäre closet ein Fünfsterneresort.
Nun gucke ich auf Netflix die neue Adaption der Graphic Novel „Heartstopper“. Das ist die preisgekrönte queere Teenie-RomCom der britischen Autor*in Alice Oseman. Seit 2015 erscheinen die Zeichnungen episodisch im Netz (auf Deutsch beim Loewe Verlag). „Heartstopper“ handelt von Nerd Charlie, seinen Freund*innen – und seinem Schwarm: Nick, dem gutmütigen Rugbyspieler.
Ha, lol, der beliebte, „superstraighte“ Mitschüler, in den man sich mit 14 völlig unnötig verguckt, erwidert die Gefühle!? Wann ist das je passiert? Wunschtraumalarm! Scheißegal, denn Charlie und Nick (Joe Locke und Kit Connor) gucken einander acht Folgen lang so oft versonnen in die Augen, dass mein zynisches Herz dem keine Minute lang standgehalten hat.
„Heartstopper“ ist als „wohltuend“ beschrieben worden, als „queer-optimistisch“. Tatsächlich spricht viel für Alice Osemans Storytelling. Zum Beispiel, dass Trans- und Homophobie nicht für Effekte ausgebeutet werden. Beim Anschauen von „Heartstopper“ bin ich ständig überrascht, wie viele erzählerische Abzweigungen in Richtung „mehr Schmerz, mehr Drama“ oder „mehr Gewalt“ Oseman einfach links liegen lässt.
Umgebung für Coming-out bei Teens kaum verändert
Für mich besonders sticht in der Serie wie in der Graphic Novel aber der Umgang mit dem Coming-out heraus. Drei Figuren sind in the closet und gehen damit im Laufe der Geschichte unterschiedlich um. Tara verkündet die Liebe zu ihrer Freundin zunächst euphorisch, leidet aber unter den hämischen Reaktionen. Ben projiziert seinen Selbsthass auf Schwächere. Nick, schließlich, muss klarkriegen, was er ist und wem er das wann erzählt.
Vermeintlich wird es derzeit leichter, offen queer zu sein. Hie und da mag das stimmen. Gerade deshalb laufen wir Gefahr, als Gesellschaft oder Community Druck aufzubauen: „Steh gefälligst zu dir!“ Dabei hat sich die Umgebung für ein Coming-out zumindest bei Teens in vielen entscheidenden Punkten kaum verändert. Die Schule bleibt ein gnadenloses Panoptikum, „hetero“ die anstrebenswerte Norm, „queer“ ein gefundenes Fressen für Kids, die bei anderen nach sogenannten Makeln suchen. „Heartstopper“ entwirft eine Welt, die queerfreundlich ist, in der es aber trotzdem schwer ist, die Türen des closet aufzustoßen. Es ist okay, sich Zeit zu lassen!, betont die Serie – aber: Bedenke, dass deine Entscheidung andere mitbetrifft. Das tut sie mit viel Verständnis für das Drinnen wie das Draußen. Und mit den schönsten Händchenhalt- und Knuddelszenen sowieso.
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