Comickünstler Will Eisner: Gezeichnete Regenfluten
Der Graphic Novel Godfather von Brooklyn: Eine Ausstellung über den wichtigen Comickünstler Will Eisner ist zu Gast im Jüdischen Museum Rendsburg.
„The Spirit“ – mal bildet der Schriftzug eine Treppe, mal ist er Teil einer Tür, mal steht er auf einem Buchdeckel. Dieses Spiel mit Formen und Grafik war ein Markenzeichen William Erwins Eisners, der 1917 in Brooklyn geboren wurde und 2005 in Florida starb. Der Sohn jüdischer Einwanderer besuchte eine Kunstschule, schloss sie aber aus finanziellen Gründen nicht ab. Stattdessen begann er in den 1930er-Jahren als freier Zeichner zu arbeiten. Von 1940 bis 1952 schuf er wöchentlich eine achtseitige Folge des „Spirit“ als Zeitungsbeilage. Titelheld ist der „Verbrechensbekämpfer“ Denny Colt, der sich mit einer Mini-Maske tarnt und von einem Geheimversteck unter einem Friedhof aus arbeitet.
Doch anders als „Superman“, der in den 1930er-Jahren entstand, oder „Batman“, der erstmals 1939 die Fledermausohren anzog, ist Eisners Held nicht sonderlich super, und in den besten Geschichten der Reihe spielt der Spirit sogar nur eine Nebenrolle. Will Eisners Interesse liegt erkennbar bei den Personen, auf die niemand schaut – den Armen, den Obdachlosen, den Losern. Zu den ungewöhnlichen Storys kommen die grafischen Mittel, der Einsatz von Licht und Schatten oder von Regen, der sich oft wie ein Vorhang über die Figuren ergießt: „Eisnspritz“ nannte der Comiczeichner Harvey Kurtzman (1924– 1993) diese gezeichneten Regenfluten, auch das ist nun in der Ausstellung „Will Eisner – Graphic Novel Godfather“ in Rendsburg zu erfahren.
Kuratiert hat sie der Kunsthistoriker und Künstler Alexander Braun bereits 2021, gezeigt wurde sie damals in Dortmund. Ein begleitend-gleichnamiges Buch ist im Avant-Verlag erschienen, dort aber schon gar nicht mehr lieferbar – das Rendsburger Museum gibt an, noch damit dienen zu können. Die Ausstellung springt mitten hinein in Eisners Werk, zeigt einzelne Spirit-Folgen in Gänze, aber auch Cover und Zeichnungen späterer Veröffentlichungen. Darunter ist „Ein Vertrag mit Gott“ von 1978: Die vier gezeichneten Kurzgeschichten, die alle im selben Mietshaus in der Bronx spielen, nannte der damals 61-jährige Eisner „Graphic Novel“, grafischen Roman – „in der letztlich vergeblichen Hoffnung, einen belletristischen Verlag für die Idee zu finden“, wie es im Vorwort der 2017 erschienenen deutschen Ausgabe heißt. Das Buch wurde dann zwar von keinem Verlag genommen, aber am Ende weltweit und in zahlreichen Auflagen verkauft.
Immer wieder mit Antisemitismus konfrontiert
Eisner war nicht nur Comic-Künstler, sondern zeichnete auch Auftragswerke, etwa Plattencover oder auch Plakate im Auftrag der US Army. Zudem betreute er 20 Jahre lang deren PS-Magazine – auch daraus zeigt die Ausstellung Bilder. Er unterrichtete Comic-Zeichnen und veröffentlichte eine Sammlung von Cocktail-Rezepten, sein bestverkauftes Werk. Mit seiner Familiengeschichte und dem Einsatz als Soldat im Zweiten Weltkrieg befasste er sich 1991 im zweibändigen Comic „Zum Herzen des Sturms“.
Die Ausstellung ist bis zum 7. Januar 2024 im Jüdischen Museum Rendsburg zu sehen
Eisner, der wenig religiös aufgewachsen war, wurde im Lauf des Lebens immer wieder mit Antisemitismus konfrontiert. Eine Szene zeigt er etwa in „Zum Herzen des Sturms“: Ein alter Bekannter fängt bei einem Kneipenbesuch an, über „die Juden“ zu hetzen, Eisner steht wortlos auf und geht im strömenden Regen davon. Gerade in seinen letzten Arbeiten dann steht das Judentum geradezu im Mittelpunkt: „Fagin the Jew“, zu Deutsch „Ich bin Fagin“, schildert das Leben des Bösewichts in Charles Dickens’ Roman „Oliver Twist“, der dort als geldgieriger Klischeejude dargestellt wird. Eisner gibt ihm eine Vorgeschichte und lässt ihn gar mit Dickens selbst zusammentreffen.
Sein letztes Buch, „Das Komplott“ von 2005, stellt die „Wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion“ vor, einer antisemitischen Hetzschrift, die unter anderem von der NS-Propaganda verwendet wurde. Aber Stereotype, wie Eisner sie darin ankreidet, hatte er einst beinahe selbst fabriziert, etwa bei den Frauengestalten in den frühen „Spirit“-Comics: Die stöckeln stets auf High Heels einher und warten nur darauf, dem Helden in die Arme zu sinken.
Und dann ist da noch – Ebony White. Der Schwarze Heldensidekick taucht bereits 1940 auf und wird rasch Spirits Helferlein. Als solcher ist er zwar durchaus positiv gemeint, sieht aber mit seinen Wulstlippen und Kulleraugen aus wie ein Bruder des Sarotti-Mohren in hässlicheren Klamotten. Das war selbst für Zeitgenoss*innen etwas viel. Nach Kritik schrieb Eisner die Figur aus der Serie: Ebony White durfte eine Schule besuchen und verschwand aus Spirits Umfeld. Diese Informationen verschweigt die Ausstellung allerdings – schade. Denn auch wenn die problematischen Ebony-Zeichnungen das Bild des „Paten der Graphic Novel“ etwas weniger hell strahlen lassen, sie würden es dennoch vervollständigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW