Comic-Besprechung „They Called Us Enemy“: Erinnerungen an eine dunkle Zeit
In seinem neuen Comic erzählt George Takei von der Internierung japanischer US-Amerikaner 1942. Eine berührende wie aufschlussreiche Geschichte.
Die von Präsident Roosevelt erlassene „Durchführungsverordnung 9066“ wurde in aller Stille in der Nacht umgesetzt: Die Familie Takei schlief bereits, als zwei mit Bajonettgewehren bewaffnete Soldaten an die Tür ihres Hauses in Los Angeles klopften. Zehn Minuten hatte das Ehepaar mit drei kleinen Kindern Zeit, um ihr Haus in Los Angeles für immer zu verlassen.
Der Moment hat sich dem vier Jahre alten George tief ins Gedächtnis eingebrannt. Rund 120.000 japanischstämmige US-Amerikaner teilten seine Erfahrung: Wegen des kurz zuvor ausgebrochenen Krieges mit Japan, ausgelöst durch das Bombardement der Japaner auf den US-Stützpunkt in Pearl Harbor, Hawaii, am 7. Dezember 1941, wurden im Frühjahr 1942 die meisten Japano-Amerikaner, die in den Westküstenstaaten der USA lebten, aus ihrem bisherigen Leben gerissen, enteignet und interniert. Bis zum Kriegsende am 2. September 1945 durch die Kapitulation Japans mussten sie in abgelegenen Lagern verbringen.
Bekannt als Hikaru Sulu in der Serie „Star Trek“
Der 1937 geborene George Takei hat aus seinen Erinnerungen nun, zusammen mit zwei Co-Autoren und der Zeichnerin Harmony Becker, eine Graphic Novel gemacht. George Takei ist einer der bekanntesten US-Schauspieler mit japanischen Wurzeln. Seine berühmteste Rolle ist die des Hikaru Sulu in der Serie „Star Trek“ (Raumschiff Enterprise) von 1966 bis 1969. Seit Jahren setzt er sich für die LGBT-Bewegung und Antirassismus ein.
In „They Called Us Enemy“ erzählt George Takei detailliert, wie seine Familie diese dunkle Zeit durchstand, ergänzt durch die wesentlichen historischen Hintergründe. Den Rahmen bilden Sequenzen, die Takei schon in fortgeschrittenem Alter, etwa ab den 1980er Jahren bis heute, zeigen, wie er auf öffentlichen Veranstaltungen, Gedenkstunden oder Treffen mit Politikern an dieses Unrecht erinnert.
George Takei, Justin Eisinger, Steven Scott, Harmony Becker: „They Called Us Enemy. Eine Kindheit im Internierungslager“. Cross Cult, 208 Seiten, 25 €
Berührend sind vor allem die aus der kindlichen Perspektive des jungen George geschilderten Begebenheiten. Auch das Leben der Takeis vor diesem Einschnitt wird ausführlich geschildert: wie Georges Eltern, beide in den USA aufgewachsen, in Los Angeles heiraten, Kinder bekommen und mit einer Textilreinigung erfolgreich sind, ein eigenes Haus kaufen und so eine gutbürgerliche, quasi vorbildliche amerikanische Existenz führten.
Diskriminierung aller Japanischstämmigen
Nach dem Pearl-Harbor-Schock wurden mehrere Verordnungen erlassen, die zur Diskriminierung aller Japanischstämmigen beitrugen – die ohnehin aufgeheizte Stimmung, die sich in Slogans wie „Sperrt die Japsen ein!“ auf der Straße zeigte, wurde so offiziell bestätigt.
Meist aus politischem Kalkül: Earl Warren, Oberster Richter der Vereinigten Staaten, wollte Gouverneur Kaliforniens werden und nahm sich des „Japaner-Problems“ an, um eine „Wiederholung von Pearl Harbor“ zu verhindern. Die Betroffenen konnten an Schildern mit der Aufschrift „Keine Japsen“ sehen, von welchen Läden sie ausgeschlossen wurden.
Auch Fletcher Bowron, der Bürgermeister von Los Angeles, blies ins selbe Horn, behauptete, Japaner seien „nicht assimilierbar“. Über Nacht wurden die derart Stigmatisierten enteignet, ihre Konten eingefroren und beschlagnahmt. Sie mussten sich, nur mit dem nötigsten Hab und Gut, an Sammelpunkten einfinden, von denen man sie auf zehn speziell für sie errichtete Internierungslager verteilte.
1942 wurden die Takeis zusammen mit anderen zunächst in ein „Zwischenlager“, eine frühere Rennbahn, gebracht, wo sie sich notdürftig in engen, stinkenden Pferdeställen einrichteten. Erst nach Monaten kam die Familie Takei dann in ein riesiges Lager (Camp Rohwer) aus primitiven hölzernen Baracken in Arkansas, wo 8.500 Japano-Amerikaner unter schlechten hygienischen Bedingungen lebten.
Bewacht wie ein Gefängnis
Die Takeis mussten 1943 nach Tule Lake umziehen, das wie ein Gefängnis bewacht wurde. Da Georges Eltern einen Fragebogen negativ beantworteten – es ging darum, bereit zu sein, für die USA in den Kampf zu ziehen, dem Land Treue zu schwören und dem japanischen Kaiser abzuschwören –, wurden sie als „Illoyale“ behandelt. Im Comic wird erklärt, warum sie diese Fragen nicht bejahen konnten, da sie unter falschen Voraussetzungen gestellt wurden: Georges Vater wurde als asiatischem Einwanderer schon in der Vorkriegszeit die US-Staatsbürgerschaft vorenthalten – er wäre staatenlos geworden, hätte er „Ja“ angekreuzt.
Im August 1945 lebte die Familie immer noch in Tule Lake, als ein Gerücht die Runde machte, dass Hiroshima nicht mehr existierte. Nach Ende des Krieges sollte das Lager aufgelöst werden, doch Georges Mutter drohte nun die Ausweisung, da sie ihre US-Staatsbürgerschaft in einer Zeit der Hoffnungslosigkeit aufgegeben hatte. Nach dem Krieg musste die Familie in ein Armenviertel in Los Angeles ziehen und baute sich eine neue Existenz auf. Der kleine George wurde noch kurz nach dem Krieg von einer Klassenlehrerin gemobbt, die in ihm verächtlich den „Japsenbengel“ aus dem Lager sah.
George Takeis Erinnerungen geben einen eindringlichen Einblick in dieses dunkle, weitgehend vergessene Kapitel der US-Geschichte, das durch Schwächen in der US-amerikanischen Verfassung möglich wurde, die Diskriminierungen nicht ausreichend vorbeugt. Die Zeichnerin Harmony Becker findet unaufgeregte Bilder in einem leicht verwestlichten Manga-Stil für diese berührende wie aufschlussreiche Geschichte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen