Manga über japanische Heimkinder: Die Starkids und der alte Sunny

Taiyo Matsumoto hat mit „Sunny“ eine außergewöhnliche Manga-Reihe geschaffen. Die Serie erzählt einfühlsam vom Leben japanischer Kinder in Heimen.

Blumen, ein Auto und um es herum meherere Menschen auf gelbem Hintergrund

Die Farbe steigert das melancholische Grundgefühl: Taiyo Matsumotos „Sunny“ Illustration: Carlsen Verlag

Wer traurig ist, darf in den Sunny. Und die Sternkinder aus dem Kinderheim sind regelmäßig traurig. Sie alle suchen von Zeit zu Zeit Zuflucht in dem alten Nissan-Pkw Sunny, der auf dem Gelände des Kinderheims steht. Taiyo Matsumos „Sunny“ ist eine ganz außergewöhnliche Manga-Serie. Wer nicht häufig Mangas liest und sie nur als kunterbunte Erzeugnisse in Bahnhofsbuchhandlungen kennt, der wird von Stil und Inhalt dieses Mangas überrascht sein. „Sunny“ ist erzählerisch wie visuell sehr anspruchsvoll umgesetzt.

Matsumo folgt in seiner Erzählung den Geschichten von Kindern, die nicht im eigentlichen Sinne verwaist sind. Ihre Eltern sind keineswegs verstorben. Sie haben sich vielmehr von ihren Kindern getrennt. Sie sind überfordert, verarmt oder alkoholabhängig. Die Eltern tragen ihr Päckchen, und die Kinder werden ihnen zur untragbaren Last.

Mit ihren traumatischen Erfahrungen gehen die Kinder auf sehr unterschiedliche Weise um. Matsumos „Sunny-Bände“ – zwei sind bereits auf Deutsch erschienen, Band 3 folgt im Sommer – stellen eine Sammlung von Episoden rund um die Sternkinder dar; in jeder der Geschichten steht ein anderes Kind im Fokus. Die Kinder unterscheiden sich nicht nur deutlich psychologisch, jeder hat auch charakteristische Marotten und visuelle Marker.

Die Mutter kam nie wieder

Junsuke hat eine ewige Rotznase und hasst es, seine Nägel zu schneiden (seine langen Nägel und sein buschiges Haar erinnern ein wenig an Bob Dylan). Sei, der kleine Junge mit der großen schwarzen Kastenbrille, ist traurig und fatalistisch. Seine Mutter hat ihn vor Jahren im Kinderheim abgegeben mit dem Versprechen, ihn bald wieder abzuholen. Sie kam nie wieder.

Taiyo Matsumoto: „Sunny“, Band 1 und 2, übersetzt von Martin Gericke. Carlsen Verlag, Hamburg. Jeweils 224 Seiten, jeweils 16 Euro. Ab 14 Jahre

Kenji ist ein fast erwachsener junger Mann, dessen Vater schwer alkoholabhängig ist. Er betrachtet ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung. Die vorlaute Kiko flüchtet sich in eine Fantasiewelt, mal ist sie das Opfer des bösen Wolfs, mal spielt sie die Möglichkeiten der Dame von Welt durch. Und im Sunny darf jeder sein, was er will.

Das Pflegeheim der Kinder und Jugendlichen ist ein Ort mit festen Strukturen und Regeln. Die Erzieher sind bemüht, aber natürlich können sie den fundamentalen Vertrauensverlust in die Welt nicht ausgleichen. Wie biologische Geschwister zanken sich auch die Sternkinder untereinander.

Sanfte Komik

Und trotzdem gibt es Momente überraschender Solidarität. Beispielsweise wenn die ansonsten eher brave Megumu Kiko mit einer Notlüge beispringt, als eine ihrer Geschichten als Lüge enttarnt zu werden droht. Erstaunlich ist nicht nur die psychologische Tiefe der Figurenzeichnung oder die Art, wie es Matsumoto gelingt, Geschichten zwischen sanfter Komik und ausgeprägter Melancholie zu erzählen. Auch Matsumotos grafischer Stil ist kraftvoll und subtil zugleich.

Einige Szenen sind in ruppigen Tuschestrichen gehalten. Dann wieder taucht verdünnte Tusche die ganze Szenerie in ein weiches Sfumato. Eingestreut sind einige farbige Darstellungen, in den dominierenden Farben Ocker und Braun mit eingelegtem Gelb und Orangetönen wirken sie keineswegs fröhlich, sondern steigern das melancholische Grundgefühl noch einmal.

Und auch haptisch sind die Bände der deutschen Ausgabe ein Ereignis, der dicke Cover-Karton und das glatte feste Papier der Seiten unterstützen auf sensorischer Ebene den visuellen Eindruck.

Mehr als ein klassischer Manga

Der Schutzumschlag kennzeichnet Sunny als Graphic Novel. Sunny basiert zwar auf dem klassischen Manga-Lesemuster – für europäische Augen also von hinten nach vorne, von rechts oben nach unten links –, aber er überschreitet sichtlich die Grenzen der klassischen Manga-Form.

Autor Taiyo Matsumoto übrigens wuchs selbst in einem Kinderheim auf. Sunny ist der gelungene Versuch, das biografisch Erlebte künstlerisch zu verarbeiten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.