Comedian İdil Baydar über Morddrohungen: „Das ist Teil meines Alltags“
Von einem Polizeirechner wurden persönliche Daten der Kabarettistin İdil Baydar abgerufen. Sie ist schon länger Anfeindungen ausgesetzt.
taz: Frau Baydar, bevor Sie im November 2019 in Mölln Ihre Rede zum Gedenken an die Opfer des Brandanschlags 1992 gehalten haben, gab es rechte Todesdrohungen gegen Sie. Jetzt bekommen Sie wieder welche: Gehört das mittlerweile zu Ihrem Alltag?
İdil Baydar: Schon vor meiner Rede in Mölln habe ich acht Todesdrohungen erhalten. Die Drohung, dass ich abgeknallt werde, wenn ich dort im November 2019 meine Rede halte, war die letzte der Reihe. Jetzt bekomme ich seit Monaten wieder Drohungen per SMS. Sie kommen von der Plattform 5 vor 12, worüber man anonym SMS verschicken kann. In meinem Fall sind sie nicht mit „NSU 2.0“ sondern immer mit „SS Obersturmbannführer“ unterzeichnet, wie auch schon damals. Und ja, das ist ein Teil meines Alltags.
Laut Medienberichten wurden Ihre persönlichen Daten von einem Rechner der hessischen Polizei abgerufen. Vertrauen Sie diesem Staatsorgan noch?
Was ich wirklich seltsam finde, ist, dass sich kein einziger Polizist bei mir meldet. Dass keiner sagt: Wir haben die Sache im Griff, machen Sie sich keine Sorgen, wir beschützen Sie. Ich fühle mich alleingelassen, meine Bedrohungslage scheint der Polizei egal zu sein. Stattdessen sind sie eher eingeschnappt, dass ich jetzt an die Öffentlichkeit gehe. Ich habe das Gefühl mit einer Polizei zu tun zu haben, die sich in einer Trotzphase befindet.
Wenn die Polizei sich nicht bei Ihnen gemeldet hat, wie haben Sie davon erfahren?
Auch ich musste das in der Presse lesen, dabei hätte ich es gerne von der Polizei erfahren.
Haben sich denn Menschen aus der Politik gemeldet?
Presse hat sich gemeldet, und Orkan Özdemir von der SPD. Aber sonst niemand. Auf den Anruf von Seehofer warte ich noch.
Ist das aktuelle polizeiliche Versagen ein spezifisch hessisches Problem?
Man sollte auf jeden Fall speziell dort einmal ermitteln, was vor sich geht. Aber wir wissen ja, dass die Polizei generell ein Problem mit Rechtsextremismus und Rassismus hat.
Sie beobachten das also schon länger?
Aus eigener migrantisierten Perspektive habe ich das Gefühl schon seit einiger Zeit. Spätestens seit dem NSU bin ich aufgeschreckt und mir wird bewusst, wie die Polizei arbeitet. Nämlich gegen die migrantische Geschichte: Bevor die Polizei überhaupt guckt, ob man Opfer einer Straftat geworden ist, wird man als migrantischer Mensch schon kriminalisiert. Wir werden in Tätersippenhaft genommen, das ist nicht Neues. Ich muss da an Oury Jalloh denken. Diesem Mann hat man alle Knochen gebrochen und ihn dann abgebrannt, damit man alle Beweise vertuschen kann. Das ist doch kein Einzelfall mehr. Was ist mit Amad Ahmad, der in seiner Zelle verbrannt ist? Das betrifft so viele Leute mittlerweile: Journalisten und migrantische Menschen, die auf Todeslisten stehen. Und man hat das Gefühl es passiert nichts, es gibt keine Aufklärung. Die Polizei versucht nur gute PR zu machen und wer es nicht macht, der bekommt auf die Fresse.
Was wünschen Sie sich denn konkret von der Polizei?
In erster Linie wünsche ich mir eine lückenlose Aufklärung der Dinge. Das kann nicht sein, dass man in Deutschland als Rechter in der Polizei ist und es keine Konsequenzen gibt. Man kann nicht das Grundgesetz schützen, wenn man dagegen ist. Ich wünsche mir, viel mehr Aufklärungswillen und dass sie ein echtes Signal setzen und sich nicht beleidigt in eine Ecke stellen, weil sie Vorwürfe bekommen. Denn mein Fall – und nicht nur der – zeigt, dass das die Realität ist und der kann man nicht aus dem Weg gehen. Jetzt muss Schluss sein mit „der böse Migrant“. Endlich mal ehrlich sein, statt dieses ständige Leugnen, Wegrennen und Beleidigt-sein.
geboren 1975 im niedersächsischen Celle, lebt und arbeitet als Comedian in Berlin. Bekannt ist sie vor allem für ihre Kunstfiguren Gerda Grischke und Jilet Ayşe.
Wie können wir uns als Gesellschaft solidarisch zeigen?
Ich erfahre von vielen Seiten Solidarität, das ist schön. Doch ich habe das Gefühl, dass Betroffene und die Presse die einzigen sind, die sich für rechte Strukturen in der Polizei interessieren. In der Politik scheint sich da niemand einen Kopf machen zu wollen, wie das ganze in so einer aufgeheizten gesellschaftlichen Situation weitergeht. Das finde ich schon befremdlich. Denn Solidarität zu bekommen, nützt mir ja nicht viel. Walter Lübcke hat sicherlich auch viel Solidarität erfahren und der liegt jetzt im Grab. Da will ich jetzt noch nicht hin.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hat vor ein paar Wochen gesagt, auch in Deutschland gebe es „latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte“. Dafür hat sie starke Kritik bekommen. Darf man die Polizei in Deutschland nicht kritisieren?
Ob man das darf, weiß ich nicht. Aber ich halte Kritik an der Polizei für notwendig. Die Polizei ist ein bewaffnetes Staatsorgan und kein Schützenverein. Wir alle in Deutschland sind davon betroffen. Und gerade nach den Morden des NSU ist Kritik berechtigt. Wir müssen alle reagieren, wenn solche eklatanten Dinge passieren.
Ein Generalverdacht gegen die Polizei ist also angebracht?
Es geht nicht um einen Generalverdacht. Es geht um Strukturen, die begünstigen, dass es rechten Terror sogar aus den Reihen der Polizei geben kann. Die Strukturen sind die, die ins Auge fallen müssen, nicht die einzelnen Polizisten, die ihren Dienst so tun, wie sie es für richtig halten. Dass beispielsweise in Stuttgart jetzt „Stammbaumforschung“ gemacht wird. Echt jetzt? Was haben denn die Eltern mit der Tat eines mutmaßlichen Straftäters zu tun? Selbst immer schreien: Wir wollen nicht in Sippenhaft genommen werden wegen Hitler, aber selbst ständig alle möglichen Leute in Sippenhaft zu nehmen. Wie soll ich denn mein Gegenüber ernst nehmen, wenn er etwas von mir verlangt, das er selbst gar nicht einhält und dann auch noch eine Struktur daraus macht.
Wie kann man diese Strukturen verändern?
Das Berliner Landes-Antidiskriminierungsgesetz ist schon mal eine Unterstützung, weil die Polizei in ihrer Willkür nicht mehr alleine gelassen wird. Jetzt gibt es die Möglichkeit, Rechte aus der Polizei zu bekommen. Denn nicht ich bewerfe die Polizei mit Dreck, das macht sie selbst. Auch der Polizist hat eine Pflicht, dass er seine Arbeit richtig macht. Und die Polizisten, die das nachweislich nicht machen – also die mit rechten Devotionalien, Sprüchen oder Zitaten erwischt werden –, die müssen einfach raus. Das ist keine Polizei fürs Volk. Das ist eine Polizei die in alter Tradition vielleicht Weiße schützt, aber keine Migranten.
Beeinflussen die Bedrohungen ihre Arbeit als Comedian?
Nicht das ich wüsste. Das ist eher umgekehrt.
Also jetzt erst recht?
Ich habe ja gar keine andere Wahl, denn ich bin nicht bereit, in Terror zu leben. Ich gebe mein Leben wieder in die Hände Gottes. Anders kann ich nicht leben, denn es geht ja nicht nur um mich. Statt über mich nachzudenken, frage ich mich viel eher: Was ist eigentlich mit der nächsten Generation? Was passiert eigentlich mit denen? Und wieso haben wir – also quasi deren Vorgänger – nichts dafür getan, dass sie beschützt werden und ihr Recht bekommen? Das ist das, was mich antreibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja