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Claudia Roth über Julian Assange„Freilassung wäre ein gutes Signal“

Dass Angriffe auf Journalisten zunehmen, bereite ihr Sorgen, sagt Kulturstaatssekretärin Roth. Sie würde die Freilassung von Assange begrüßen.

Stella Assange kämpft für die Freilassung ihres Mannes, hier mit Claudia Roth Ende April Foto: Stephan Bodner
Interview von Michael Sontheimer

taz: Frau Roth, die Generalversammlung der UNO hat 1994 den 3. Mai zum Internationalen Tag der Pressefreiheit erklärt. Deutschland wird im vergangenen Jahr von der Lobbyorganisation Reporter ohne Grenzen nur auf Platz 16 gelistet, die neue Listung kommt am Mittwoch. Warum sind wir nicht weiter vorne?

Claudia Roth: Reporter ohne Grenzen und auch mir macht Sorgen, dass immer häufiger Jour­na­lis­t*in­nen bei Demonstrationen angegriffen werden; das war vor allem bei den Demos der Corona-Leugner*innen der Fall. Eine ganz gefährliche Entwicklung. Wer Jour­na­lis­t*in­nen verbal und physisch angreift und damit einschüchtern will, der hat keinen Respekt für die Demokratie. Demokratie funktioniert nur mit Pressefreiheit.

Wie kann sich Deutschland in puncto Freiheit der Medien verbessern?

Wenn es um die Angriffe auf Jour­na­lis­t*in­nen geht: Die Polizei vor Ort muss ganz unmissverständlich das Recht der Jour­na­lis­t*in­nen schützen, Demonstrationen zu beobachten und über sie zu berichten. Hier sind vor allem die Bundesländer gefragt, das Personal der Polizei zu sensibilisieren und zu schulen. Mein Haus unterstützt mit einem Förderprogramm unter anderem ein Projekt des Deutschen Presserats, der gemeinsam mit Jour­na­lis­t*in­nen an Polizeischulen über die Aufgabe von Medien, deren Arbeitsweisen und Berufsethik informiert.

Es gibt aber noch weitere Kritikpunkte von Reporter ohne Grenzen …

Ja, zum Beispiel dass die Auskunftsrechte der Presse gegenüber Bundeshörden noch nicht geregelt sind. Wir haben uns als Bundesregierung vorgenommen, diese auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Es gibt zwar Landesmediengesetze, und ein Auskunftsrecht wird auch direkt aus dem Grundgesetz abgeleitet. Dennoch braucht es hier auch eine Rechtsgrundlage auf Bundesebene.

Bild: Hendrik Schmidt/dpa
Im Interview: Claudia Roth

Die Grünen-Politikerin war Bundesvorsitzende ihrer Partei, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags und ist seit 2021 als Staatsministerin Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Wenn ein mächtiger Medienmanager wie Mathias Döpfner, Geschäftsführer beim Axel-Springer-Verlag, den Chefredakteur der größten Zeitung des Landes, der Bild-Zeitung, eindringlich auffordert, im Wahlkampf etwas für die FDP zu tun: Sehen Sie darin eine Verletzung der Pressefreiheit?

Hier versucht nicht der Staat die freie Berichterstattung zu verhindern, sondern ein Eigentümer und Verleger will offenkundig direkt Einfluss auf die journalistische Arbeit nehmen. Es geht um die Rolle von Medien in Wahlkämpfen in einer Demokratie. Da ist vor allem die Presse gefragt, sich damit kritisch auseinanderzusetzen, wenn das in ihren Reihen vorkommt – was viele Medien in diesem Land ja auch zu Recht getan haben.

In Ländern wie Russland oder China existiert keine Pressefreiheit. Wie steht es um die Pressefreiheit weltweit?

Die Pressefreiheit ist leider weltweit zunehmend unter Druck. Jour­na­lis­t*in­nen werden immer häufiger zur Zielscheibe von Diktatoren und Antidemokrat*innen. Sie sind für die potemkinschen Propaganda-Dörfer in Moskau, Kabul, Teheran und anderswo eine Gefahr. Gerade weil die Medienfreiheit die Lebensgrundlage der Demokratie ist, stehen wir auch in einer besonderen Verantwortung für die Journalist*innen. Wir haben das Thema unter der deutschen G7-Präsidentschaft auf die Tagesordnung gesetzt.

Was tun Sie noch?

Wir haben gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen, der Rudolf-Augstein- und der Schöpflin-Stiftung einen Fonds, den JX-Fund, geschaffen für Journalist*innen, die hier bei uns in Deutschland Aufnahme finden und ihrer journalistischen Tätigkeit in den Herkunftsländern weiter nachgehen wollen. Wir müssen beim Thema Pressevielfalt und Pressefreiheit auch die Entwicklungen in Deutschland und in Europa sehr wachsam verfolgen. Deswegen unterstütze ich zum Beispiel auch den aktuell durchaus kontrovers diskutierten Entwurf eines European Media Freedom Act. Denn auch wenn er noch verbesserungswürdig ist, ist er doch die konsequente europäische Antwort auf Entwicklungen, denen wir als europäische Demokraten nicht zusehen dürfen.

Der australische Journalist und Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, sitzt seit über vier Jahren in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis, weil ihn die US-Regierung ausgeliefert haben will. Er soll wegen angeblicher Spionage vor Gericht gestellt werden – zugleich lobt natürlich auch der amerikanische Präsident den Wert der Pressefreiheit. Ist das nicht eine peinliche Doppelmoral?

Legitime Sicherheitsinteressen des Staates an einer Geheimhaltung sind zwar anzuerkennen, sie dürfen aber nicht pauschal das öffentliche Interesse an Informationen überwiegen. Julian Assange hat über Wikileaks Kriegsverbrechen und Verbrechen der US Armee gegen die Menschlichkeit veröffentlicht. Wie ich finde: Zu Recht! Denn die Öffentlichkeit muss von solchen Verbrechen erfahren können. Ich kann mir kein Sicherheitsinteresse vorstellen, das im Fall solcher Verbrechen überwiegen könnte. Auf rechtsstaatlicher Ebene ist es derzeit Aufgabe der Gerichte, diesen Fall juristisch zu beurteilen. Hier muss klar sein, dass die Menschenrechte von Julian Assange gewahrt bleiben – dies gilt ebenso für seinen Anspruch auf ein faires Verfahren vor US-amerikanischen Gerichten als auch auf menschenwürdige Haftbedingungen in Großbritannien. In demokratischen Staaten muss auch psychische Folter ausgeschlossen sein. Berichte wie die des ehemaligen UN-Sonderbeauftragten für Folter, Nils Melzer, wonach Julian Assange in der britischen Einzelhaft die für Opfer psychischer Folter typischen neurologischen, kognitiven und emotionalen Symptome zeige, bereiten mir deshalb Sorge.

Fordern Sie die Freilassung von Assange, wie das auch bereits die Präsidenten von Brasilien, Mexiko und anderen Ländern getan haben?

Ich nehme das Thema sehr ernst und verfolge es stetig. Dennoch gehört zum Verständnis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch dazu, dass ich mich, als Teil der Exekutive, nicht zu anhängigen Gerichtsverfahren in anderen demokratischen Rechtsstaaten äußere, wozu ich Großbritannien und die USA zähle.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat vor der letzten Bundestagswahl die „sofortige Freilassung“ von Assange gefordert. Wie ist Ihre Position: Soll der Journalist Assange freigelassen werden, Ja oder Nein?

Eine Freilassung von Assange wäre ein gutes und wichtiges Signal für die Pressefreiheit.

Eine Gruppe von Journalist*innen, die Sie konkret unterstützen, sind nach Deutschland geflüchtete Jour­na­lis­t:in­nenn aus Russland und der Ukraine. Welche Auswirkungen auf die Pressefreiheit hat der Krieg in der Ukraine?

Der Angriff des Putin-Regimes ist auch ein Angriff auf die Pressefreiheit. Mein Haus hat dabei mitgewirkt, regimekritischen – und daher besonders von politischer Verfolgung bedrohten – russischen Medienschaffenden die Einreise sowie einen längerfristigen Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Sie können hier in ihrem Beruf weiterarbeiten. Ich bin froh, dass wir ihnen in Deutschland einen sicheren Ort bieten können und sich die Exilszene hier findet und vernetzt.

Demokratie und Medienfreiheit sind Schwestern. Sie gehören zusammen.

Claudia Roth, Kulturstaatsministerin

Aber können Sie damit nachhaltig helfen oder ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Mit der Förderung des Europäischen Fonds für Journalismus im Exil und des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit konnten wir 2022 über 900 Medienschaffenden Unterstützung anbieten. Das war schon mal nicht schlecht, und das können wir in diesem Jahr fortführen und weiter ausbauen. Wir haben zusammen mit dem Auswärtigen Amt die Hannah-Arendt-Initiative ins Leben gerufen. Sie soll Journalistinnen und Journalisten, Medienschaffenden sowie Verteidigerinnen und Verteidigern der Meinungsfreiheit in Krisen- und Konfliktgebieten im Ausland und im Exil in Deutschland unterstützen und schützen – in einem ersten Schritt geht es um gefährdete Journalistinnen und Journalisten aus Afghanistan, Ukraine, Russland und Belarus. Das ist ein guter Anfang, finde ich. Jour­na­lis­t*in­nen aus diesen Ländern machen uns noch stärker bewusst: Demokratie und Medienfreiheit sind Schwestern. Sie gehören zusammen.

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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Gewagtes Engagement für eine deutsche Grüne.



    Zum Glück folgenlos, die Grünen sind ja weder in der Regierung, noch besetzen sie das Außenministerium



    … Sarkasmus aus…

  • Die Freilassung wäre ein wichtiges Signal? Mehr sagt C.R.nicht dazu.



    Das zeigt mal wieder die Verlogenheit der westlichen "Guten"



    Assage sitzt seit vielen Jahren in Iisolationshaft. Das nennt man Folter. Wird totgeschwiegen.



    Wir sind politisch den Diktatoren näher als angenommen.

  • 'NeverEnding Story'



    //



    www.berliner-zeitu...hunderte-li.131817



    //



    "Der Fall Julian Assange ist der größte Justizskandal der modernen Demokratie



    /



    Der Wikileaks-Gründer hat in seinem Auslieferungsprozess einen Etappensieg errungen. Doch frei ist er noch nicht. Die Gerichte wollen ihn mürbe machen."



    16.1.21 Milosz Matuschek



    //



    Über die Haftfähigkeit dürfte es auch eine Kontroverse geben. Die vergangenen Jahre waren bereits wie Haft. Sontheimer hatte auch früher schon im SPIEGEL zur Sachlage publiziert.

  • Nochmal: bei Evan Geshkovich regen wir uns (zu Recht!) über das Putin-Regime.

    Assange ist seit 2012 nicht mehr in Freiheit, wegen einer möglicherweise konstruierten Anklage.

    Bitte nicht mit zweierlei Maaß messen.

    • @tomás zerolo:

      Zweierlei Mass ist Standard! Verlangt die Freundschaft und Werteteilung.

  • Sontheimer versäumt Roth zu fragen, warum die Bundesregierung sich nicht unmissverständlich bei der britischen und amerikanischen Regierung für die Freilassung von Assange einsetzt.



    Bereits im Vorfeld der Bundestagswahl - auf dem Bundesparteitag der Grünen - wurde ein kritischer Antrag eines Ortsverbandes zur Inhaftierung von Assange entschärft. War die Parteiführung eingebunden, Baerbock etwa, die schon damals den Außenministerposten im Auge gehabt haben könnte?

    Hier im Tagesspiegel (unten verlinkt) die ursprüngliche Forderung von Baerbock zu Assange, dessen veränderte spätere Positionierung durch Baerbock der Tagesspiegel zurecht als skandalös bezeichnet.

    www.tagesspiegel.d...-stich-8025328.htm

    Auch wenn sich Frau Roth lobenwerterweise im Fall Assange engagiert, hätte sie mit Verbündeten in der Partei schon lange eine kritische Diskussion zur Haltung von Baerbock zu Assange anstoßen können, stattdessen herrscht Ruhe, auch Roth folgt - bis auf ihre Stellungnahme als Abgeordnete in der taz - letztlich brav der Leitlinie von Baerbock zum Rechtsfall Assange (Abwarten und Teetrinken).



    Die logische Konsequenz, Asyl für Assange in Deutschland zu fordern, geht Roth nicht über die Lippen.



    Die Linke unterstützt klar ein Asyl von Assange in Deutschland und unternimmt in dem Fall relativ viel, während sich die anderen Parteien bedeckt halten.

    Konsequenz: Assange könnte aus Staatsraison (Rücksichtnahme auf die USA) bald in die USA ausgeliefert werden, weil nur einige wenige Bundestagabgeordnete sich für Assange einsetzen und die deutsche Presse keine große Kampagne für Assange schafft.

    Während Finanzminister Linder regelmäßig im Fall Nawalny postet, duckt sich die wertegeleitete Außenministerin Baerbock im Fall Assange weg.

    Die mit dem Fall Assange verbundene politische deutsche Doppelmoral fällt vor allen Menschen im Globalen Süden und in Asien auf, wo Assange enorm viele Unterstützer hat.

  • Erinnert sich noch jemand an den nicht enden wollenden Aufschrei der GRÜNEN als es Seitens der Bundesregierung hies:

    "Die Bundesregierung sieht gegenwärtig keinen Anlass, zu Äuße-



    rungen oder Maßnahmen Dritter in Bezug auf Wikileaks oder Part-



    nern von Wikileaks Stellung zu nehmen. Die Bundesregierung wird



    Julian Assange kein Asyl wegen politischer Verfolgung in Deutsch-



    land anbieten."

    (Antwort auf die Frage von Sevim Dag ̆delen (DIE LINKEN) an die Bundesregierung im Dezember 2010)

    Da gab es doch förmlich Tumulte von den GRÜNEN - oder täuscht mich da meine Erinnerung ?

  • Der Einsatz für Assange war mir jetzt etwas zu... wachsweich.

    Etwas mehr Wumms, bitte.

  • Die Freilassung Assanges ist überfällig, auch wenn sich Snowden von ihm distanziert hat. Die USA sollten sich bewegen.