Chemikalien in Outdoorkleidung: Praktisch und schmutzig
Die Outdoor-Branche sucht nach Alternativen zu giftigen Fluor-Chemikalien. Dabei ist die behandelte Kleidung nicht einmal das größte Problem.
PFC – also Perfluorierte Chemikalien – sind eines der Top-Themen auf der „Outdoor“, der großen Messe der Branche, die am heutigen Mittwoch in Friedrichshafen beginnt. Bis Samstag zeigen 940 Aussteller aus 40 Ländern ihre Neuheiten; 10,2 Milliarden Euro setzen sie in Europa jährlich um, davon 2,5 Milliarden in Deutschland.
Seit Jahren kratzen umweltschädliche Stoffe am grünen Image der Branche, zuletzt vor allem Per- oder polyfluorierte Chemikalien (PFC). Die Verbindungen aus Fluor- und Kohlenstoffatomen kommen in der Natur nicht vor und stehen unter Verdacht, die Fortpflanzung zu gefährden und Krebs zu erregen. Seit 50 Jahren werden sie industriell hergestellt – und in der Natur nicht wieder abgebaut. Sie reichern sich an, mit bislang ungeklärten Folgen. Unterschieden wird zwischen den besonders schädlichen langkettigen PFC und kurzkettigen PFC aus höchstens sechs Kohlenstoffatomen. Sie gelten bislang als weniger gefährlich. Ob das stimmt, wird noch erforscht.
Die Unternehmen mit den berg- und wasserreichen Werbeplakaten geraten von zwei Seiten unter Druck: Zum einen zwingt sie der Gesetzgeber zur Suche nach Alternativen: Die langkettige Perfluoroktansulfonsäure (PFOS) etwa ist seit einigen Jahren verboten, Perfluoroktansäure (PFOA) droht mittelfristig dasselbe. Doch auch viele Verbraucher stört die Chemie in ihrer Kleidung, informiert und aktiviert vor allem von der „Detox-Kampagne“ von Greenpeace, mit der die Umweltorganisation bis 2020 die Textilindustrie „entgiften“ will.
Das aber ist schwierig, solange Hersteller und Verbraucher auf die kombinierten Funktionen setzen, die Fluorchemikalien bieten: Sie lassen nicht nur Wasser, sondern auch Schmutz und Fett abperlen. „Das bekommen Sie mit anderen Chemikalien nicht hin“, sagt Stefan Stolte, Leiter der Forschungsabteilung „Nachhaltigkeit in der Chemie“ der Universität Bremen. Stolte sucht für die Industrie nach unschädlichen Alternativen zu PFC – etwa Wachse oder Silikone. Mit ihnen lässt sich bislang nur wasserdichte Kleidung herstellen.
Kein Verhältnis zum Nutzen
„Reicht doch“, sagt Christoph Schulte, Chemikalienexperte am Dessauer Umweltbundesamt. Der Nutzen allseits geschützter Textilien stehe in keinem Verhältnis zum Schaden durch die Chemikalien in der Umwelt. „In den kommunalen Kläranlagen sehen wir seit einigen Jahren erhöhte Werte von PFC“, so Schulte. Je Klärwerk seien diese zwar gering, doch in der Gesamtheit nicht zu unterschätzen.
Nun ist Wäschewaschen nicht der einzige Weg, durch den PFC in Wasser und Boden gelangen. Heute weitgehend ersetzt, waren sie früher häufiger Bestandteil von Feuerwehr-Löschschäumen. Es gibt wohl im ganzen Land Orte mit hohen Konzentrationen der Chemikalien, an Flughäfen, Ex-Militärstandorten oder Raffinerien. Die Länder sammeln Daten, sie werden aber nicht bundesweit zusammengefasst. Lokal poppt das Thema immer wieder auf, weil im Grundwasser PFC auftauchen, ob in Düsseldorf oder Rastatt.
Die Entgifter von Greenpeace zielen vorerst weiter auf die Textilbranche, „wohl wissend, dass es eine Reihe weiterer Anwendungsbereiche für PFC gibt, die thematisiert werden sollten“, sagt ihr Chemikalienexperte Manfred Santen. „Wenn PFC aus der Textilproduktion verschwinden, wird das positiv auf weitere Bereiche wie Teppiche, Auto-, Bus-, Bahn- oder Flugzeugsitzbezüge wirken“, so Santen. Vielleicht werden sich auch die Hersteller von Pizzakartons und Kaffeebechern irgendwann technisches Know-how von Vaude holen – denn viele Lebensmittelverpackungen sind mit Fluorchemikalien beschichtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis