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Chat-Theater aus BerlinEs ist ein Schock

Das Stück „Die härteste Tochter Deutschlands“ erzählt von Reichsbürgern im Netz. Dort wird es vom Deutschen Theater Berlin auch inszeniert.

Von Zeit zu Zeit gerät alles in einen Strudel Foto: Roman Kuskowski

Das Stück beruht auf einem autobiografischen Text von Katharina Köth und sollte eigentlich in der Box des Deutschen Theaters uraufgeführt werden. Eine Tochter begegnet ihrem Vater wieder, mit dem sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hat: und zwar in einem Youtube-Video, das plötzlich in ihrer Timeline bei Facebook auftaucht.

Ein Schock für die bürgerlich unauffällige Tochter – denn der Vater erscheint darin als wirrer Nazi, vollgepumpt mit Hass und reichsbürgerhaften, antisemitischen Verschwörungstheorien, gegen die sich ein Xavier Naidoo fast wie ein Waisenkind ausnimmt. „Kein LSD für Nazis“ hat jemand als bösen Scherz unter das Video gepostet, das sich als viraler Hit wie ein Lauffeuer im Netz verbreitet.

Der Text ist eine Auseinandersetzung mit Tochtergefühlen zwischen Ekel, Scham und Abscheu, aber auch der Frage, ob man für einen solchen Mann Empathie, ja Gefühle der Zugehörigkeit entwickeln kann. Schließlich bleibt es der eigene Vater.

Jenes abgründige Etwas

Aber dann kam Corona – so wurde das Stück nun von Sarah Kurze im Internet inszeniert. In jenem abgründigen Etwas also, in das dieser Tage auch die Theater gestoßen wurden – aufgrund der Pandemie plötzlich der plüschigen Safe Spaces ihrer Kunstform beraubt.

Die härteste Tochter Deutschlands

Wieder digital zu sehen: 11. und 13. Mai, jeweils um 20 Uhr

Die drei Schauspieler Elias Arens, Edgar Eckert, Annemie Twardawa bauen ihre Bühnen also in ihrem häuslichen Umfeld auf, auf das sie zurzeit beschränkt sind, wie man aus einem die Onlineaufführung begleitenden Livechat erfahren kann, wo auch einige Assoziierte des Deutschen Theaters mitchatten. In der zurzeit allgegenwärtigen Zoom-Ästhetik (live gemixt von Roman Kuskowski) schauen wir also meist auf vier Videofenster, in denen parallel agiert und der Text auf drei unterschiedliche Figuren verteilt gesprochen wird.

Sofort mit Atmosphäre bedrohlich aufgeladen wird das Tableau auf dem Monitor mit einschlägigem Rechts- und anderem Rock. Ein Fenster bleibt Funden aus dem Netz vorbehalten: mal Wikipedia-Infos zu einschlägigen Suchwörtern wie „Reichsbürger“ oder „Viertes Reich“, dann aber auch Banal-Blödes wie Hamster- oder Katzenbilder – diese Dinge eben, die in den Hochkulturblasen oft für die gleiche Verstörung wie die Nazis sorgen. Leider rauschen die Infos viel zu schnell durch, als dass man sie aufnehmen könnte.

Futter für Verschwörungstheorien

In Annemie Twardawas Zimmer entsteht aus Tausenden Papierschnipseln (ihre Gedanken?) eine Art Iglu aus Pappmaschee, während sie (gelegentlich fast delirierend) reflektierende Texte zur Figur der Tochter und dem irren Vater spricht.

Trotzdem funktioniert der Abend als kurze Bildbeschreibung dieser Zeit ganz gut

Edgar Eckert sitzt brav gescheitelt an einem Schreibtisch und verliest als Verwaltungsbeamter der Krise trocken (dem Text hinzugefügte) Hygiene- und Coronavorschriften – die ja inzwischen auch beliebtes Futter für Verschwörungstheorien sind. Das Virus als Erfindung von Bill Gates, um die Menschheit zu unterjochen. Im Keller seines Wohnhauses irrt Elias Arens umher, schreit, schaut ziemlich irre und verstört. Einmal stellt er auch das Originalvideo nach, das am Anfang ebenfalls zu sehen ist.

Trotzdem verkörpert niemand eine Figur. Es ist ein schnelles Switchen zwischen Gedanken, Sätzen, Bildern, die wohl die große Diffusion und Disruption abbilden sollen, die das Internet als Zumutung für ein einziges Bewusstsein auch darstellen kann – besonders in diesem merkwürdigen Bias, das für das Leben dieser Tage kennzeichnend ist: zwischen der eigenen Reduktion auf das enge private Umfeld und dem täglich zu sortierenden Bild- und Info-Chaos aus dem Internet.

Ein großer Strudel

Bilder, die immer nur Bilder bleiben, selbst wenn uns in ihnen Menschen real begegnen. In dem gut einstündigen Video-Chat-Theater von Sarah Kurze geraten die Bilder und Figuren zwischendurch in einen großen, bildschirmfüllenden Strudel. Manchmal laufen auch nur grüne Datencodes tsunamihaft über den Bildschirm. Denn das ist der Stoff, aus dem das Internet ist.

So recht formt sich kein Bild, keine Deutung heraus. Aber das liegt vielleicht in der Natur der Sache. Ein bisschen bedauert man, dass die Entgleisung des Vaters am Ende einem biografischen Trauma, ja einer möglichen bipolaren Störung zugeordnet wird. Auch wenn die Figuren psychologische Einfühlungsmöglichkeiten bieten, fühlt man nicht so recht mit ihnen. Trotzdem funktioniert der Abend als kurze Bildbeschreibung dieser Zeit ganz gut.

Im Livechat irrlichtert eine Figur mit dem Nickname 0III0II 0III 0II zwischen den eingeloggten Chatter*innen (aka Zuschauer*innen) umher und stellt Fragen. Vielleicht, um ihre Anfälligkeit für Verschwörungstheorien zu testen: „Glauben Sie daran, dass Sie Ihre eigenen Entscheidungen treffen?“ „Glauben Sie an das Ende der menschlichen Spezies?“ Die Antworten können nur innerhalb des binären Codes erfolgen: I = Ja, 0 = Nein. Am Ende rechnet der Algorithmus aus allen Antworten angeblich sogar ein Ergebnis aus, das hier aber nicht gespoilert werden soll.

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