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Chaotischer Wahltag in BerlinRespektlosigkeit vor dem Wähler

Anna Klöpper
Kommentar von Anna Klöpper

Die Landeswahlleitung mag vorerst keine Verantwortung für die Pannen übernehmen. Dabei ist es keine Lappalie, wenn Menschen nicht wählen können.

Warteschlange vor einem Wahllokal in Schmargendorf am Wahlsonntag Foto: picture alliance/dpa | Christoph Soeder

M an muss sich schon fragen, wo die Landeswahlleiterin den Wahlsonntag verbracht hat, ob sie überhaupt in Berlin war. Denn es grenzte schon an Realitätsverweigerung, wie Petra Michaelis am Montag in der Pressekonferenz nach der Wahl den Tag zusammenfasste. Die Wartezeiten seien in durchaus üblichem Rahmen gewesen, sagte die Landeswahlleitung, auch wenn sie dass später noch etwas relativierte. Überhaupt schien die Landeswahlleitung am Tag nach der Wahl vor allem eines zu sein: erschreckend fakten- und zahlenbefreit.

Wo die fehlenden Stimmzettel in manchen Wahllokalen eigentlich waren? Die Landeswahlleitung wusste es nicht. Wie viele WahlhelferInnen noch in letzter Minute abgesprungen waren? Auch das müsse man gemeinsam mit den Wahlleitungen in den Bezirken nun in Ruhe prüfen. Ob WählerInnen die Wahl anfechten, weil sie ihre Stimme nicht abgeben konnten? Man arbeite sich jetzt erst mal durch die „zahlreichen Mails“, die eingegangen seien. Ansonsten sei man aber wirklich „gut vorbereitet“ und mit einem „wirklich guten Gefühl“ in den Tag gegangen.

Offensichtliche Pannen

Da kann man sich als WählerIn schon fragen: Meint die Landeswahlleitung das ernst? Es zeugt jedenfalls von einer gewissen Respektlosigkeit gegenüber der demokratischen Willensbildung, wenn die verantwortliche Wahlleitung sich trotz offensichtlich gravierender Pannen erst einmal selbst ein tolles Zeugnis ausstellt – und sich dann noch dermaßen unvorbereitet den Fragen der Öffentlichkeit stellt.

Denn es ist ja durchaus keine Lappalie, wenn Menschen ihre Stimme nicht abgeben können. Selbst wenn die Wahl dadurch juristisch nicht anfechtbar ist, weil die Unregelmäßigkeiten in der Summe zu klein sind: Dass Michaelis dann auch noch die Schuld bei der WählerIn suchte, die einfach zu lange in der Wahlkabine gebraucht habe und deshalb lange Schlangen provozierte – das war schlechter Stil. Die Landeswahlleitung wirkte fast ein wenig beleidigt ob der Kritik an der Wahlorganisation. Ihre Position stelle sie jedenfalls nicht in Frage, sagte sie am Montag. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass das jemand tut.

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Anna Klöpper
Leiterin taz.eins
Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.
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6 Kommentare

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  • Wieso so zaghaft? Es muss aufgearbeitet werden ob fehlende Wahlzettel zur Enteignungsdebatte vielleicht andere Gründe und hatte. Korruption ist in der deutschen Politiklandschaft alltäglich und scheint immer schlimmer zu werden. Doch nicht nur in Berlin. Im ganzen Land mussten Menschen häufig fast eine Stunde warten um ihre Stimme abzugeben. Und das ohne Sitzmöglichkeiten oder so. Für Menschen mit körperlichen Problemen oder Ältere Mitbürger eine Zumutung. Das man das vorher wusste ist klar, also wieso hat man nicht mehr Wahllokale organisiert? Das sind Fragen auf die eine Antwort gefunden werden muss!

  • Ich empfehle künftig die Briefwahl!

  • Diese Respektlosigkeit erinnert doch sehr an den preußischen Obrigkeitsstaat.

  • Ich mag Berkin, aber diese Posse zeigt einmal mehr, dass die Administrationzutiefst marode und kaputtgespart ist.



    Dazu sond die Zuständigkeiten oftmals unklar.

    In anderen Ländern würde man un von Wahlbetrug reden...



    Failed State Berlin.

    • @J_CGN:

      Hier ist gar nichts kaputtgespart. Die Quote Beamter - Bürger ist in Berlin weitaus höher als anderswo.

      Es ist einfach so, dass in Berlin eine jahrzehntealte Kultur der Verantwortungsdiffusion und schlicht und einfach der rotzigen Gleichgültigkeit herrscht. Hier dauert es schon mal ein Jahr, Graffitti von einem öffentlichen Kunstwerk zu entfernen, und wenn es am nächsten Tag wieder beschmiert ist, zucken halt alle - Bürger wie Verwaltung - nur mit den Achseln. Das sei eben so, da könne man nicht das geringste tun, wie komme man denn darauf, und überhaupt: nur, wenn das woanders kein Problem sei, dann eben darum, weil Berlin Berlin sei und absolut anders und einzigartig, und sowieso sind Graffiti und Dreck und Müll doch irgendwie typisch Berlin...und wenn man gar keine Argumente mehr hat, heißt es, daß man doch zurückziehen solle in sein Heimatkaff.

      Blöd nur, wenn dieses Kaff tatsächlich Berlin ist und man alt genug ist, sich zu erinnern, dass es früher auch hier mal ganz anders ging und nicht jedes Versagen mit geradezu arrogantem Achselzucken beantwortet wurde.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @Suryo:

        Das liegt daran, dass die meisten Angestellten im öffentlichen Dienst eben gerade aus diesen Käfern kommen und gerade wegen der Anonymität in die Grossstadt zogen. Hier ist die soziale Kontrolle geringer und man kann die Ichbezogenheit ausleben. Kurz: Die 70% Nicht-Berliner( nicht in Berlin geboren) finden hier genau das was in den Käffern so schmerzlich vermisst wurde.