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Campusroman „Missouri“Schwebe, Stella, schwebe!

Sprechakte und übernatürliche Fähigkeiten: Gregor Hens hat ein Buch mit Theorieeinschüben geschrieben. Es ist auch eine Liebesgeschichte.

„Missouri“ ist kein Romeo-und-Julia-Roman – aber eine Liebesgeschichte ist es schon Foto: frank mckenna/Unsplash

Er dachte, er hätte es hinter sich gelassen, den ganzen alten „Krempel, den ich schon vor Jahren wie Sperrmüll an den Bordstein gestellt hatte, zusammen mit der Jungfrauengeburt und der Transsubstantiation“. Aber die neun Jahre in einem katholischen Internat hatten bei Karl, dem Erzähler und Helden aus Gregor Hens Roman „Missouri“, offenbar doch Spuren hinterlassen. Als er seine Schülerin und Freundin Stella über den Boden schweben sieht, beginnt er an seinen aufgeklärten Überzeugungen zu zweifeln. Zumal andere, unter ihnen Stellas Eltern, ihre übernatürlichen Fähigkeiten nicht infrage stellen.

Wir schreiben das Jahr 1989. Es ist Sommer, bald würde die Mauer fallen. Karl, 23 Jahre alt, war vor seiner unglücklichen Kindheit im Internat und der „deutschen Schaurigkeit“ geflohen. „Waldsterben“ war das Wort, das diese Stimmung am besten für ihn ausdrückte. In den USA schien alles anders, heller. In der kleinen Provinzstadt Columbia, Missouri, beginnt er an der Universität Deutsch zu unterrichten. Gleich in seinem ersten Kurs sitzt sie, Stella. Die beiden werden ein Paar. Und das, obwohl der Dekan gedroht hatte, jeden Dozenten sofort rauszuschmeißen, der sich mit einer Studentin oder einem Studenten einlässt.

Aber „Missouri“ ist kein Romeo-und-Julia-Roman. Der Dekan redet Karl zwar ins Gewissen, entlässt ihn aber nicht. Und es ist auch keine „Lolita“-Geschichte, auch wenn Stellas Mutter Janet noch jung und attraktiv ist und Karl zu verführen versucht. Am ehesten ist es ein Campus-Roman, durchsetzt von den Theorien, die zu dieser Zeit an amerikanischen Universitäten diskutiert wurden. Theorien, mit denen Karl sich auch die schwebende Stella zu erklären versucht.

So zum Beispiel in einem Gespräch mit Lawrence, einem Philosophieprofessor, mit dem sich Karl anfreundet. Lawrence bezieht sich auf Ludwig Wittgenstein und die Sprechakttheorie J. L. Austins: „Wir haben die Sprache, also schaffen wir die Welt. … Schwebe! Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Das sind Sprechakte, die nicht nur etwas bedeuten, sondern auch etwas bewirken.“

Gespräche in Berkeley

Auch eine Theorie des literarischen Erzählens dient dem Versuch der Aufklärung von Stellas übernatürlichen Fähigkeiten. Lawrence hatte Karl einem Sprachwissenschaftler an der Universität von Berkeley empfohlen. Der bat ihn gleich um einen Aufsatz. „Es ging um Deixis, Sinn und Bedeutung von Wörtern wie hier, du oder gestern, Wörtern also, deren Bedeutung sich ändern, je nachdem, wer sie verwendet, in welchem Kontext dies geschieht, zu welchem Zeitpunkt und so weiter.“

Ein Gespräch in Berkeley dreht sich dann um ein Beispiel aus der Literatur: „Es war jetzt dunkel. Wie kann das sein“, sagt Karl. „Wie kann man „jetzt“ und die Vergangenheitsform zusammen verwenden.“ Und kommt zu dem Schluss, dass das „mit der Logik der Tempora“ nichts zu tun hat. „Autor und Leser haben eine Vereinbarung: Du machst mir nichts vor, und ich lese es, als wäre es passiert. … Die fiktive Welt ist eine alternative Welt, eine Art Gegenwelt. Wir können gar nicht genug kriegen von diesen Gegenwelten.“

Letztlich aber kann keine dieser Theorien die übernatürlichen Kräfte Stellas erklären. Denn auch im Sinne einer literarischen Vereinbarung zwischen Autor und Leser wird nicht klar, weshalb Gregor Hens diesen Einfall hatte. Und die zahlreichen anderen Figuren, die Karl in dieser Phase seines Lebens kennenlernt, haben nur einen funktionalen Charakter. Sie sind für ihn als Erfahrung wichtig oder treten als Stichwortgeber für die unterschiedlichen Theorien auf.

Das Buch

Gregor Hens: „Missouri“. Aufbau, Berlin 2019, 284 Seiten, 22 Euro

Trotzdem: „Missouri“ ist ein gut zu lesender Campus-Roman, bei dem man sich besonders dann nicht langweilt, wenn man sich für die verhandelten Theorien interessiert. Man erfährt einiges über das akademische Leben in den USA und über die Stimmung der Zeit um die Wende herum. Und es ist natürlich auch ein Liebesroman.

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1 Kommentar

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  • Nun ja. Wer ist der Mensch, dass er sich einbilden dürfte, es gäbe nicht mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als seine Schulweiheit sich träumen lässt?