CTM-Festival in Berlin: Neues von der Schwelle

Es verschaltet experimentelle elektronische Musik mit Performance-Kunst und gesellschaftlichen Diskursen: das CTM-Festival in Berlin.

Drei verkabelte Menschen bewegen sich in rotem Licht.

In „Inferno“ von Bill Vorn und Louis-Phillipe Demers werden Gäste in Exoskelette gesteckt Foto: Rafael Zajac

Cello-Konzert, Techno-Raves und Workshops zu politischer Theorie. Seit mittlerweile 21 Jahren ignoriert das CTM-Festival in Berlin musikalische, gesellschaftliche und nationale Grenzen und ist damit zu einem Knotenpunkt des kreativen Austauschs geworden. Deshalb werden ab Freitagabend wieder Menschen aus aller Welt in die Stadt kommen.

Angefangen hat das „Festival für aufregende Musik“, wie sich CTM selbst nennt, als unabhängige Begleitveranstaltung zum Medienkunstfestival transmediale. Zum Debüt „clubtransmediale“, wie die CTM 1999 noch hieß, trafen sich 54 DJs und A/V-Projekte im Club Maria am Ostbahnhof, in dem alles stattfand.

Mittlerweile hat sich das Festival von der Schwesterveranstaltung transmediale emanzipiert: An den zehn Tagen gastieren über 200 internationale Künstler:innen auf mehr als 100 Events in insgesamt 15 Locations, verteilt über die ganze Stadt Berlin. Damit ist das Festival der weltweit wichtigste Katalysator für elektronisch generierte Experimentalmusik und Clubkultur.

Dieses Jahr findet die CTM unter dem Motto „Liminal“ statt. Liminal ist ein abstrakte Vokabel aus der Ethnologie und bezeichnet einen Schwebezustand, den alle schon einmal erlebt haben: Beispielsweise während der Pubertät, der Phase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Eine unruhige Zeit also, in der man sich und seine Position in der Gesellschaft neu definieren muss. Wie das Festival den Begriff interpretiert, können transformative Prozesse immer dann angestoßen werden, wenn man sich auf neue Erfahrungen einlässt, sei es bei einer Kunstperformance oder eben auf der Tanzfläche eines Clubs.

Field-Recordings aus Leichenhallen

Wer bei einem Festival für elektronische Club-Kultur allerdings apathische DJs, bassbetonte Musik im straighten 4/4-Takt erwartet, irrt sich. Genregrenzen ignoriert CTM beharrlich. „Wichtig ist, dass die Künstler:innen etwas wagen“ und sich mit dem Motto des Festivals auseinandersetzen, wie CTM-Mitgründer und Kurator Jan Rohlf erklärt. Das bringt umgekehrt frischen Wind in exklusive Techno-Clubs wie dem Berghain, das seine Pforten während der Festivaltage einem breiteren Publikum öffnet und im Gegenzug wiederum vom Input der Künstler:innen profitiert. Neben den Club-Nächten stehen dabei vor allem Performances, Sound­installationen und Tanz im Vordergrund.

CTM-Festival: 24.1. bis 2.2., Berlin, www.ctm-festival.de

Der Aktionskünstler Karel van Laere gibt in seinem Stück „The Non-present Performer“ seinen hypnotisierten und scheinbar leblosen Körper in die Obhut von Choreograf:innen, um den Zustand der absoluten Wehrlosigkeit zu erforschen. Jakob Kirkegaard, macht in „Opus Mors“ mithilfe von Field-Recordings aus Leichenhallen, Krematorien und Friedhöfen den Tod in vier Akten hörbar. Und die oscar­nominierte Cellistin Hildur Guðnadóttir spielt zusammen mit Sam Slater und Chris Watson den Soundtrack zur Serie „Chernobyl“, in der sie den Reaktorunfall von Pripjat vertont hat.

Das Programm der CTM ist auch dieses Jahr sehr dicht getaktet. Neu ist nun, dass viele Auftritte mehrmals stattfinden. So können Gäste alle Kernveranstaltungen besuchen und sind nicht mehr gezwungen, sich zwischen zwei Terminen zu entscheiden.

Das CTM definiert Club-Kultur nicht nur als puren Hedonismus. Man sieht sich auch als Plattform, um die großen Umbrüche in unserer Gesellschaft zu diskutieren. Deshalb wird das Festival von Talk-Runden begleitet, in denen von Musik für Computerspielfiguren bis hin zu neu-rechter Metapolitik alles Mögliche aus der Perspektive von Club-Kultur diskutiert wird.

Professoren, kommt ins Berghain

Dazu gibt es Workshops, in denen Laien, Bedroom-Producer und Computernerds gleichermaßen auf ihre Kosten kommen. Wichtig ist, dass sich Künstler:innen, Journalist:innen und Gäste miteinander vernetzen. Jan Rohlf hofft, dass so „der Uni-Professor ins Berghain geht und der Gabber-Head zu einer Podiumsdiskussion kommt“, das sei von enormer kulturpolitischer und gesellschaftlicher Bedeutung.

Wie wichtig dieser Austausch ist, versteht mittlerweile auch die Politik. Die Kulturverwaltung des Berliner Senats sichert das Festival mit einer Basisförderung ab, die Bundeszentrale für politische Bildung kuratiert zusammen mit der Initiative Musik Workshops auf der CTM und der DAAD ermöglicht mit seinem Residenzprogramm den Auftritt der Komponistin Ashley Fure, deren Stück „Hive Rise“ im Berghain uraufgeführt wird.

Dass das Line-up auf der CTM divers ist, dafür sorgt ein Team aus Kurator:innen, das eng mit Kollektiven und Promotern aus verschiedenen Musik- und Kulturszenen zusammenarbeitet. So schafft das CTM Einblicke in Subkulturen aus allen Teilen der Welt, die sonst nie die Chance bekämen, vor einem internationalen Publikum zu spielen. Dieses Jahr wurden beispielsweise Künstler aus dem Umfeld des Nyege-Nyege-Festivals aus Uganda nach Berlin eingeladen, und die queere Partyreihe Puticlub veranstaltet einen inklusiven Reggeaton-Abend im Club Grießmühle.

Wer sich die 175 Euro für das Festival-Ticket nicht leisten kann, kriegt für die meisten Einzelveranstaltungen Tickets im Vorverkauf oder an der Abendkasse. Wem auch das zu teuer ist, der hat trotzdem die Möglichkeit, die CTM zu besuchen. Diskussionsrunden, Installationen und Ausstellungen sowie die Auftaktveranstaltung am 24. Januar im Kunstquartier Bethanien sind kostenlos.

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