CSU-Parteitag in Nürnberg: Söder – wohlhabend, sexy und klug?
Die CSU hat ihren Spitzenkandidaten für die Landtagswahl gekürt. Das Rennen macht ein Anwärter mit einer unspektakulären Bewerbungsrede.
Nun also gilt es, einen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 8. Oktober zu küren, und freilich ist die Versuchung groß, Parallelen zu einer zeitgleich in London stattfindenden Krönungsmesse zu ziehen. Immerhin: Im Direktvergleich nehmen sich die Feierlichkeiten in Söders Heimat geradezu bescheiden aus. Dabei gehört Bescheidenheit zu den Eigenschaften, die den Christsozialen, allen voran Söder, doch recht selten zugeschrieben werden.
So kommt denn auch seine gut anderthalbstündige Bewerbungsrede nicht komplett ohne Superlative aus. Eine kleine Auswahl: 90 Prozent der Menschen hier lebten gern in Bayern. Sagt Söder. In jeder Statistik liege man auf Platz eins oder zwei. Der Freistaat sei das sicherste Land, habe den besten Innenminister Deutschlands, und Kreuzberger Nächte werde es hier ganz bestimmt nicht geben. Bayern habe mehr Menschen aus der Ukraine aufgenommen als Frankreich und als einziges Land Pflegegeld, Familiengeld und die kostenlose Meisterausbildung eingeführt. Hier befänden sich die meisten Dax-Unternehmen und die meisten Meister. Es sei „quasi notariell belegt“, dass sein Land Nummer eins bei den erneuerbaren Energien sei, behauptet Söder. Hier werde Supercomputing auf dem Level von Südkorea entwickelt, und selbstverständlich bleibt auch das in Bayern geplante Mondkontrollzentrum nicht unerwähnt. Kurzum: „Wir sind wohlhabend und sexy und klug.“
Söder wettert gegen Berlin
Das Wir-Bayern-sind-immer-und-überall-die-Besten-Mantra ist den Zuhörern nicht gänzlich unbekannt. Die Rede hat Söder so oder so ähnlich in der jüngeren Vergangenheit schon öfter gehalten. Je nach Anlass mal dezenter, mal deftiger. Der Parteichef trägt sie routiniert und souverän vor, besondere Aufbruchstimmung versprüht er nicht. Muss er vielleicht auch gar nicht. Die Umfragen wiesen zuletzt darauf hin, dass Söder und seine CSU auf einen klaren Wahlsieg zusteuern, die Schmach von 2018 hinter sich lassen können. Damals landete die Partei bei einem historischen Tief von 37,2 Prozent und in einer Koalition mit den Freien Wählern. Jetzt erscheint sogar eine Rückkehr zur absoluten Mehrheit als ein zwar unwahrscheinliches, aber nicht unmögliches Szenario.
Auf seine bayerischen Mitbewerber geht Söder in seiner Rede gar nicht weiter ein, kokettiert allenfalls damit, noch nicht einmal ihre Namen zu kennen. Stattdessen arbeitet sich der Ministerpräsident an der Bundesregierung ab – gewissermaßen als die Blaupause für das, was die bayerischen Wähler erwartet, sollten sie ihr Kreuz an der falschen Stelle machen.
Auch hier sind es die altbekannten Kampfbegriffe, mit denen Söder um sich wirft. Gegen Wokeness wettert er und stellt ihr als vermeintliches Gegenmodell die Liberalitas Bavariae gegenüber. Er malt das Horrorszenario einer bayerischen Ampelregierung an die Wand – als ob diese eine realistische Aussicht sei. Bayern müsse Freistaat bleiben und kein Verbots- oder Zwangsstaat werden, fordert Söder.
„Nichts anderes als grüne Korruption“
Die Ampel sei das „größte Armutsrisiko der jüngeren deutschen Geschichte“, durch ihre Fehlentscheidungen maßgeblich an Inflation und hohen Energiepreisen schuld. Es sei ein Fehler gewesen, die Kernkraftwerke abzuschalten. Die Grünen hätten das aus reiner Ideologie durchgesetzt. Dabei sei es ihnen weder ums Klima gegangen, wie der verschobene Kohleausstieg gezeigt habe, noch um die Sicherheit, denn nun, so Söder, müsse Strom aus Frankreich und Tschechien importiert werden. „Wer Doppelmoral hat, soll endlich von seinem hohen moralischen Ross heruntersteigen.“
Von Wirtschaftspolitik habe die Ampel ohnehin keine Ahnung. Wirtschaftsminister Robert Habeck sei lediglich ein erfolgreicher Kinderbuchautor, das Hirn seines Ministeriums sei Patrick Graichen, wobei Söder auch gleich bei der Trauzeugenaffäre um den Staatssekretär angelangt ist. „Die ganze grüne Sippe wird da irgendwie beschäftigt“, schimpft er, und das sei „nichts anderes als grüne Korruption“.
Und um den Rundumschlag komplett zu machen, folgt natürlich stehenden Fußes auch die Klage über und gegen den Länderfinanzausgleich, diesen „PCR-Test der Ehrlichkeit und Leistungsfähigkeit“: „Habt ihr das schon mal erlebt, dass ihr jemandem alles gebt, was ihr habt, und trotzdem macht er euch nieder?“ Dazu noch das Bekenntnis zum Auto („Die CSU bleibt Autopartei!“), zur Tierhaltung („Jeder soll essen, was er will!“) und zur bäuerlichen Lebenskultur. Auch die Krankenhausreform der Ampel sei verfassungswidrig, und mit der deutschen Staatsangehörigkeit gehe sie zu freigiebig um: „Staatsbürgerschaft erfordert Bekenntnis zu Werten und Sprache. Wer Deutscher werden will, der muss Deutsch oder zumindest Bairisch sprechen können.“ Der Bairisch-Gag geht bei Söders Tempo etwas unter – oder wird von den Delegierten gar nicht als solcher verstanden.
Söders Gänsehautmoment
Natürlich kommt auch die Wahlrechtsreform zur Sprache, die Bayern diskriminiere. Gegen sie werde man ebenfalls klagen. Dass Söder auch gegen Cannabis, Wolf und Fischotter ist, muss nicht weiter erwähnt werden.
Aber selbst ein Söder kommt nicht ganz ohne Pathos aus. Von der weinenden Landfrau berichtet er, die vor ihrem Haus das vom Wolf gerissene Schaf gefunden habe. „Wir blicken nicht nur ins All, sondern auch tief ins Herz der Menschen“, sagt er an anderer Stelle. Und dann berichtet er noch von einem echten „Gänsehautmoment“: als die mitgebrachte Blaskapelle beim Requiem für Benedikt XVI. auf dem Petersplatz die Bayernhymne angestimmt habe.
Bevor dann das neue Grundsatzprogramm der CSU verabschiedet wird, das selbst der Münchner Merkur als „dünn“ bezeichnet, als „eine Umformulierung bekannter Positionen, nichts, was neue Wählerschichten anzöge“, lässt Innenminister Joachim Herrmann noch schnell über den Spitzenkandidaten für die Landtagswahl abstimmen. Es wird offen abgestimmt, die Delegierten recken ihre Stimmkarten für Söder in die Höhe. Gegenstimmen? Keine. Enthaltungen? Keine.
Jetzt sind es nur noch 3726 Stunden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja