CSD in Berlin: Du bist nicht allein
CSD und Pride-Paraden sind heute Megapartys mit Spaßgarantie. Und sie bleiben Orte für Selbstfindung – auch auf dem Weg vom Dorf in die Großstadt.
E in Lied, das schon mal eine Richtung vorgibt: Mother will never understand why you had to leave / But the answers you seek will never be found at home / The love that you need will never be found at home.
Und: Run away, turn away, run away, turn away, run away …
Diese Zeilen stammen aus einem Lied, das für viele schwule Männer aus der Babyboomer-Generation – so wie mich – enorm wichtig war (und vielleicht immer noch ist). „Smalltown Boy“ ist die Debütsingle der britischen Synthi-Popband Bronski Beat mit ihrem charismatischen Sänger Jimmy Somerville, im Dezember 1984 veröffentlicht.
Ich war damals 18 Jahre alt. Der Song traf mich mitten ins Herz. Denn hier wurde genau meine Lebensrealität beschrieben: Antworten gab es hier eben nicht und die Liebe, nach der im Song gesucht wird, eben auch nicht. Ich war zwar kein „Smalltown Boy“, also kein Kleinstadtjunge, sondern noch schlimmer: ein Dorfkind. Ich war in meinem Mecklenburger Kaff mutterseelenallein, weil ich auf Jungs stand und das niemanden anvertrauen konnte, weder in der Familie noch bei den Klassenkameraden oder später in der Lehre. Ich versteckte mein Schwulsein, verpackte mein wirkliches Ich hinter einer dicken Schale. Und hielt das einfach viele Jahre aus.
Bis ich alt genug wurde, eigene Wege zu gehen. Die Wende spielte dabei eine wichtige Rolle, weil mir diese Zeitenwende neue, vorher nie geahnte Möglichkeiten bot. Zugang zu schwuler Literatur und – ja, auch das war wichtig: schwuler Pornografie, die ich mir (es waren analoge Zeiten) in Hamburg oder Berlin besorgte. Ein Studium wurde möglich. Und damit gelang mir der Absprung aus Mecklenburg.
Es sollte Berlin sein, wohin sonst? Die schwule Szene, so groß und vielfältig und bunt wie in sonst kaum einer deutschen Großstadt lockte – natürlich auch die Aussicht, endlich auf Gleichgesinnte zu treffen, und klar, auch die Verheißungen der Anonymität. Bloß raus aus der sozial kontrollierten Enge.
An meinen ersten CSD in Berlin kann ich mich gut erinnern: Anfang der 1990er Jahre. Wie aufgeregt ich war, wie angespannt, als ob ich etwas Verbotenes, Unerhörtes vorhatte. Immerhin wollte ich zum ersten Mal in meinem Leben auf einem CSD mitlaufen und damit offen bekunden, dass ich schwul bin. Heute muss ich selbst darüber lachen (und bin zugleich erschrocken über den Einfluss meiner Sozialisation, die mich damals so empfinden ließ).
Dabei war ich nicht allein, das half über die Unsicherheit hinweg. Meine Kommiliton:innen von der Humboldt-Universität und ich liefen im Block der damals gerade neu gegründeten Gruppe „Mutvilla“, einer studentischen Aktionsplattform für alle Studierenden, egal ob lesbisch, bi, schwul, trans oder queer (wobei: queer war damals noch nicht in unserem Wortschatz angekommen). Gemeinsam waren wir stark.
Warum ich das so ausführlich erzähle? Weil mein Weg, mein spätes Coming-out, meine Selbstfindung beispielhaft für viele andere Geschichten von Menschen wie mich steht. Weil das Private eben doch politisch ist. Und weil sich diese Lebens- und Leidensgeschichten so oder ähnlich wiederholen. Immer wieder. Generation für Generation. Okay, es mag heute leichter sein mit einem Coming-out, weil wir in einem Land leben, in einem gesellschaftlichen Klima, das sich in weiten Teilen tolerant gibt. Doch mit der Sprache herauskommen, den Eltern, den besten Freunden etc. zu sagen, dass man lesbisch oder trans ist, also zu sich selbst zu stehen, ist nach wie vor ein emotional gewaltiger Akt, der Mut braucht.
Und so ein CSD kann diesen Mut machen. Auch und gerade in der deutschen Hauptstadt, die weltweit wie ein Magnet auf queere Menschen aus aller Welt wirkt. „Jeder nach seiner Fasson“: Diese charmante wie liberale Geisteshaltung der allermeisten Berliner:innen macht vieles so ungemein leichter im zwischenmenschlichen Umgang. Die Redensart soll ein Zitat Friedrichs des Großen sein, der sich 1740 zur Zulassung des katholischen Glaubens im protestantischen Preußen äußerte, religiöse Toleranz befahl und meinte, hier – also in Preußen und damit auch in Berlin – muss ein jeder nach seiner Fasson selig werden.
Aber wer hat jetzt den Größten?
Der CSD in Berlin gilt als einer der größten seiner Art in Europa. Okay, es gibt seit Jahren eine Art realisierenden Wettbewerb, wer die größte Parade in Deutschland veranstaltet: Köln oder Berlin. Und ist es nicht wunderbar, dass es zu solchen harmlos nebensächlichen Debatten kommen kann?
In Köln demonstrierten bereits am 3. Juli rund 1 Million Menschen. Das Motto 2022 war erneut „Viele. Gemeinsam. Stark für Menschenrechte“. Uwe Weiler vom Kölner Lesben- und Schwulentag hält das für aktueller denn je, wie er im WDR sagte: „Wenn man sich die Situation in der Ukraine anguckt, sind wir sehr, sehr froh mit dem Motto und haben gesagt, dass dieses eigentlich universelle Motto nicht nur für die queere Community zählt, sondern auch für die heteronormative Gesellschaft. Und das eben nicht nur in Köln.“
Eröffnet wurde die Kölner CSD-Parade übrigens von Henrik Wüst (CDU): Das erste Mal in der rund 30-jährigen Geschichte des CSD in der Domstadt, dass diese Aufgabe von einem Ministerpräsidenten übernommen wurde.
Die Million war auch in Berlin schon auf der Straße – 2019 zum Beispiel. Hier, oder besser: im Westteil der Stadt, fand 1979 der allererste CSD statt. Es gab damals gleich zwei Losungen, unter denen demonstriert wurde: „Mach dein Schwulsein öffentlich!“ und „Lesben erhebt euch und die Welt erlebt euch!“ 400 Personen sollen daran teilgenommen haben, glaubt man Wikipedia.
Die diesjährige Parade am 23. Juli wird erstmals nach zwei Jahren Pandemie wieder ohne größere Einschränkungen stattfinden: gleich mehrere Jahrgänge, die jetzt endlich zu ihrer allerersten richten Pride-Parade gehen können. Das Motto – die Findung war viele Jahre ein Politikum – leuchtet in diesen Zeiten ein: „United in LOVE! Gegen Hass, Krieg und Diskriminierung“. Der veranstaltende CSD Berlin e. V. erwartet 500.000 Menschen – vielleicht werden es aber auch viel mehr. Denn der CSD hat nach wie vor Strahlkraft und dürfte wie alle Jahre zuvor auch Demonstrierende und Feierwütige aus der ganzen Republik, vor allem aber aus den nahen ostdeutschen Bundesländern anziehen. Denn so ein CSD ist beides, wie es Malte Göbel Mitte Juni in einem Beitrag für die taz so treffend formuliert hat: „Ausgelassenheit und Freude haben auf Pride-Demos und Christopher Street Days ihren Platz, sie werden aber immer noch als politische Demonstrationen gebraucht.“
Am 23. Juli ist es der große CSD in Berlin, der Christopher Street Day, der an die gewalttätige Unterdrückung Homosexueller erinnert – und an ihren Widerstand. Am 28. Juni 1969 setzten sich Besucher der New Yorker Schwulenbar Stonewall in der Christopher Street gegen eine Razzia zur Wehr. Erstmals solidarisierten sich damals weite Teile der Anwohnenden mit den militanten Protesten, die sich über fünf Tage zogen.
Schon im Vorfeld hatte sich die Justiz mit willkürlichen Razzien und Festnahmen auseinandergesetzt und etwa das bis 1965 übliche Zwangsouting von Inhaftierten unterbunden. Der Aufstand folgte auf eine zunehmend lautere Debatte.
Heute steht der CSD für einen gesellschaftlichen Wandel und die Notwendigkeit, ihn auch zu verteidigen. Er wird inzwischen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, Intersexuellen und queeren Menschen gemeinsam gefeiert.
So ein CSD kann Glückshormone freisetzen. Wer einmal im Strom der Hunderttausenden mitgelaufen ist, kann erahnen, warum: Die schiere Masse lässt das Herz höher schlagen. „Du bist nicht allein“, lautet die so einfache wie tröstliche Botschaft so einer Massenparade. Ein manifestes Zeichen von Stärke, Zusammenhalt und Gemeinsinn. Hier macht das abgenutzte Wort von „der Community“ einen Sinn.
Warum abgenutzt? Nun, weil es die queere Community gar nicht gibt. Weil es unzählige Subszenen innerhalb der queeren Gemeinde gibt. Die Größe Berlins macht es möglich. Hier gibt es einerseits genügend Freiräume, andererseits genügend Individuen, die die gleichen Ideale leben, sich ähnlich definieren, das Gleiche wollen, ja fordern.
Das kann man allein an der Zahl der verschiedenen Prides – wie in aller Welt die CSD-Paraden genannt werden – in der Stadt ablesen. Eine an dieser Stelle unumgängliche Auflistung verdeutlicht die unglaubliche Vielfalt: Bereits am 9. Juli dieses Jahres fand der Tuntenspaziergang statt, der unter anderem am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen vorbeiführte. Was für ein starkes Zeichen.
Zwei Wochen zuvor: die East Pride Demo, deren Veranstalter sich auf die Tradition der unabhängigen Lesben- und Schwulenbewegung in der DDR berufen – mit besonderer Aufmerksamkeit für die Lage von Queers in Osteuropa, wo der homo- und transphobe Backlash grassiert – und in der Ukraine kämpfen LGBTIQ* mit an vorderster Front. Sage noch einer, es gehe in der Berliner Pride-Saison nur um Party, Frohsinn, Sex und so weiter, um mal ein gängiges Klischee zu benennen: Und ja, es geht auch darum, aber eben auch um Politik.
Auch zur Marzahn-Pride ein paar Tage zuvor stand in diesem Jahr die Solidarität mit der Ukraine im Mittelpunkt, organisiert vom Quarteera e. V., einem Verein für russischsprachige LGBTIQ* in Deutschland.
Am vergangenen Wochenende lockte das Lesbisch-schwule Stadtfest nach zwei Jahren Pause rund 350.000 Menschen in den Schöneberger Kiez. Das Lesbisch-schwule Stadtfest gilt als Europas größtes queeres Stadtfest, und wer noch nie da war, hat etwas verpasst. Mehrere Bühnen bieten ein abwechslungsreiches Programm, das von Polittalk bis Entertainment reicht; Vereine und Initiativen und Firmen (auch die taz) präsentieren sich mit Ständen, alles hat einen hohen – sagen wir mal – Schauwert: „Sehen und gesehen werden, ähnlich wie beim CSD“, ist die Devise, meinen die einen, und haben ihren Spaß. „Immer das Gleiche“, beklagen die anderen und gehen gar nicht mehr hin. Die Berliner Mischung aber ist auffallend wie interessant: Auf dem queeren Stadtfest tummeln sich alle, auch Heterofamilien, sozusagen mit Kind und Kegel. Man ist hier heterofreundlich.
Am Sonntag, dem 17. Juli, fand außerdem der Anarchistische CSD statt. „Mehr als nur safe spaces: wir wollen die Welt!“ war das Motto. Statt Parade gab es eine lange Kundgebung am Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg mit politischen Redebeiträgen und Performances und Musik: „Für einen gemeinsamen, intersektionalen und grenzenlosen antikolonialen Kampf gegen Staat(en), Eliten und Regierungen“, hieß es auf der Webseite des Anarchistischen CSD.
Und weiter geht’s: Vergangenen Donnerstagabend schipperte kurz vor dem eigentlichen Pride-Wochenende wieder die Regenbogenflotte über die Spree – und am Freitag zog der traditionelle Dyke* March für mehr lesbische Sichtbarkeit durch die Stadt.
Hier wird auf Reden verzichtet“, sagte Mitorganisatorin Manuela Kay im letzten Jahr der taz in einem Interview. „Wir haben nur eine Botschaft: lesbische Sichtbarkeit“.
Politik wieder in den Fokus rücken
Tja, und der Berliner CSD? Auf einer Pressekonferenz im Vorfeld des Events wurde vom Vorstand des Berliner CSD e. V. betont, dass die politische Dimension des CSD wieder mehr in den Fokus rücken soll – was erfreulich ist. Etliche Jahre zuvor gab es immer wieder hitzige Debatten darüber, ob der CSD nicht zu kommerziell und damit zu unpolitisch – und ja: auch überflüssig geworden ist.
Der Verein steuert, so haben wir in der taz vergangene Woche berichtet, nun gegen, und hat über sechs Monate hinweg in einem offenen Prozess einen Forderungskatalog erstellt, der sich direkt an Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft richtet.
Die Pride-Parade markiert das Ende des ersten „Pride Month Berlin“, in dessen Rahmen bereits seit Anfang Juli täglich diverse Workshops, Talks und Partys stattfinden. Der Fokus der Angebote lag dabei auf den Themen Religion und Spiritualität, FLINTA* und lesbische Sichtbarkeit, Trans* und PoC, aber auch auf mentaler Gesundheit und Inklusion.
„Über 60 Events wurden von der Community oder durch uns kuratiert“, sagt Zoe Rasch, Kuratorin des Pride Month Berlin. „Das große Highlight ist das Finale unserer Fokusthemen auf dem CSD selbst. Jedes Thema erhält einen eigenen Vereinstruck, welche wiederum den Kreis schließen und den CSD damit zum Abschluss der Inhalte bringen.“
Beinahe wäre der inzwischen schon 44. CSD Berlin am 23. Juli um 11.30 Uhr in Anwesenheit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey eröffnet worden. Aber auch wenn sie sich wegen eines positiven Coronatests vom linken Kultursenator Klaus Lederer vertreten lässt, ist die Botschaft klar: Das offizielle Berlin ist queerfreundlich. Schon vor zwei Wochen hatte Giffey so medienwirksam wie symbolträchtig die Regenbogenfahne vor dem Roten Rathaus gehisst.
Die Regenbogenfahne weht nicht nur vor dem Kanzleramt und den Ratshäusern der Berliner Stadtbezirke – sondern überall in Deutschland, auch in kleineren Städten wie Wetzlar in Hessen oder einem noch kleineren Städtchen wie Leun mit rund 5.700 Einwohnern (wo der Autor dieses Textes das letzte Wochenende verbrachte), dort weht die Fahne der LGBTIQ*-Bewegung vor dem örtlichen Rewe-Supermarkt.
Das Herumwedeln mit Regenbogenfarben allerorten und auch zu kommerziellen Zwecken sollte aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass auch hierzulande queere Menschen noch immer gefährlich leben. Auch in den Großstädten. Auch in Berlin. Die Zahlen zu queer- und vor allem transfeindlichen Beleidigungen und Gewalttaten steigen, kaum eine Woche ohne neue Vorfälle.
Wachsende Stärke oder Zerfaserung?
Auch in der Welt liegt vieles im Argen. In Polen gibt es immer mehr LBGTIQ*-freie Zonen – mitten in der EU ist das ein Skandal. Ebenso in Ungarn: Dort gelten Gesetze, die es untersagen, Kindern andere Familien- und Lebensmodelle als die der heterosexuellen Kernfamilie nahezubringen. Und anders als in Berlin werden in anderen Städten und Ländern überhaupt keine Regenbogenfahren von staatlicher Seite als Zeichen des Respekts gehisst. Im Gegenteil: In Madrid zum Beispiel bekommen die dortigen Pride-Veranstalter von Bürgermeister José Luis Martínez Almeida Steine in den Weg gelegt, wo es nur geht. Oder Istanbul: Dort wurden im Juni bei einer Demonstration in Erinnerung an die Stonewall-Proteste über 200 Menschen festgenommen. Diese Aufzählung ließe sich beliebig verlängern.
Die folgende Aufzählung aber auch: denn in der Bundesrepublik ist es umstandslos möglich, für queere Belange auf die Straße zu gehen. Was mit starrem Blick auf die Metropolen wie Köln, Hamburg, München und eben Berlin und ihre großen queeren Szenen und CSDs aus dem Blickwinkel gerät: In ganz Deutschland finden CSDs statt, in vielen kleineren Großstädten und auch Kleinstädten.
Die Saison startete in diesem Jahr bereits am 23. April in Schönebeck, einer 30.000-Einwohner-Stadt in Sachsen-Anhalt. Im Mai gingen neun CSDs über die Bühne, im Juni waren es schon 31 Pride-Paraden. Allein im Juli gab und gibt es 36 CSDs, von Frankfurt bis nach Lüchow im Wendland – in Mönchengladbach, Marburg und Neustrelitz.
Im August und September geht es mit 36 Pride-Paraden weiter – im Oktober noch 6, bevor die Saison am 5. November ihr Ende findet: in Herleshausen, einer Gemeinde mit rund 2.800 Einwohner:innen.
Apropos ländliche Strukturen: Die Initiative Dorfpride organisiert seit 2020 CSDs in den ländlichen Regionen Baden-Württembergs. Die Parade findet jedes Jahr in einem anderen Ort statt. Dieses Jahr kam die Dorfpride nach Ladenburg, eine Kleinstadt mit rund 12.000 Einwohner*innen.
Die Dorfpride sei wie der CSD in einer Großstadt – nur in klein, hat Patrick Alberti, Mitglied der Initiative Dorfpride, dem Deutschlandfunk Nova erzählt. Die Menschen in den Dörfern hätten ihre Einfahrten geschmückt, Bierbänke entlang der Kundgebungsroute aufgestellt und sich auf den Tag vorbereitet. Auch die Vereine der Orte ziehen mit. „Am Ende ist es so, dass das ganze Dorf mit uns mitfeiert.“
Bleibt eine Frage, und damit zurück nach Berlin: Ob die vielen verschiedenen Prides nicht längst zu einer Zersplitterung der Community geführt haben und damit nicht kontraproduktiv sind – ganz im Sinne der Schlagkraft, der politischen Power, die geschmälert wird.
Die Veranstalter*innen des Trans* Pride Berlin haben kollektiv auf die Frage geantwortet. „Ganz im Gegenteil zu was Du* Dir* vorstellst, sind die viele Pride Paraden (ganz ohne Sternchen) einfach wunderbar, aus mindestens zwei Gründen“, schrieb nonbinary.berlin, eine aktive Gemeinschaft von nichtbinären Menschen, die es seit 2018 gibt, per E-Mail. „Erstens: Je mehr Pride, desto besser! Mehr Prides heißen mehr Visibility und mehr Gelegenheiten, einander zu treffen und in der Gemeinde zu feiern. Zweitens: Die unterschiedlichen Prides machen es möglich, für jede Person mindestens eine zu finden, wo sie sich wohlfühlt und repräsentiert wird. Also: the more the merrier, und wir freuen uns darauf!“
Ganz anders argumentiert Stephanie Kuhnen, eine gut vernetzte Autorin und Projektmanagerin bei Lesbisch*Sichtbar.Berlin, einem von der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung geförderten Projekt von Lesben Leben Familie (LesLeFam) e. V. zur Vernetzung der L*-Communities und Lesben* in Berlin.
Man müsse sich in Erinnerung rufen, so Kuhnen, wie die CSD-Tradition entstanden ist, „warum nach zahlreichen kurzlebigen Straßenschlachten an anderen Orten im Jahrzehnt davor ausgerechnet Stonewall die Initialzündung für eine weltweite Bewegung wurde: Solidarität. Anwohnende, Angehörige anderer sozialen Bewegungen, Wohnungslose, die Inhaftierten des anliegenden Frauengefängnisses und viele andere wehrten sich zusammen gegen institutionalisierte Homophobie. Man musste nicht gay sein, um Queerfeindlichkeit falsch zu finden“, sagt Kuhnen. „Es war nicht wichtig, wer als Individuum dabei war, sondern dass eine Zivilgesellschaft den Umgang mit einer Minderheit nicht mehr hinnehmbar fand. Stonewall war auch ein Kampf um Zusammenhalt unterschiedlicher marginalisierter Menschen.“
Und genau das könnten auch kleinere CSDs an allen Orten zeigen: solidarische Gemeinschaften. „Dazu braucht es kein zentrales Gedenkereignis mit politischen Forderungen. Die Dezentralisierung zeigt eine politische Bewegung, eine alleinige Konzentration auf Großveranstaltungen in Metropolen bleibt letztlich nur ein Kulturevent.“
Der große CSD als bloßes Kulturevent, hier im Text schon thematisiert, steht seit Jahren in der Kritik. Wie sehen dessen Veranstalter die – wenn man so sagen will: zunehmende Konkurrenz?
„Für uns als Verein und Team des historischen CSD Berlin ist es wichtig zu sagen, dass alle CSD-Demonstrationen in Berlin ihre absolute, richtige und wichtige Berechtigung haben“, sagt Monique King, Vorständin des Berliner CSD e. V. „Wir schaffen es als Community und Teile der Community, genau durch diese Schritte einen größeren Bezug zu Inhalt und Belange von marginalisierten Gruppen herzustellen. Daher freut es uns, dass der Marzahn Pride, der Trans Pride, der Dyke March und auch der East Pride so einen richtigen und wichtigen Bestandteil neben unserem historischen CSD ausmachen, und laden diese immer ein, Bestandteil des Berliner CSD e. V. zu sein.“
Was sicher ist: Das alte Sprichwort, wonach weniger mehr ist, hat lange ausgedient. Freuen wir uns auf das Mehr, auch wenn es gerade für Außenstehende mitunter arg unübersichtlich wirkt. An den Regenbogenfahnen kann man uns erkennen.
Also feiern wir die Bereicherung. Gehen wir doch gemeinsam auf die Straße. Und demonstrieren für unsere Rechte, kämpfen gegen ein Rollback, das rechte Kräfte auch hierzulande anstreben, und feiern wir errungene Siege – wie jüngst das neue Selbstbestimmungsgesetz. Denn ja: Es darf einfach sein, den Vornamen und das eingetragene Geschlecht zu ändern.
Also feiern wir uns selbst. Und tanzen auf Berlins Straßen und überall sonst in Stadt und Land. Und kämpfen dabei für unsere Rechte. Es gibt in diesen Wochen ja wahrlich genug Gelegenheiten dazu. Vielleicht läuft dann ja auch irgendwo „Smalltown Boy“ oder eine andere queere Hymne. Es gibt auch davon mehr als genug (aber das ist eine andere Geschichte). In diesem Sinne: Happy Pride!
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