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CDU-Krise in Sachsen-AnhaltZeit der Entscheidung

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff feuert seinen Innenminister Stahlknecht. Doch die Krise der CDU ist damit noch lange nicht vorbei.

Holger Stahlknecht muss gehen: Ministerpräsident Haseloff entlässt seinen Innenminister Foto: Hendrik Schmidt/dpa

R einer Haseloff moderiert, verzögert, vertagt gern. Er ist als Ministerpräsident wirklich nicht durch autoritäre Ansagen oder Lust an Konflikten aufgefallen. Der Rauswurf von Innenminister Stahlknecht war schlicht die letzte Rettung. Denn der Ex-Innenminister hat mitten in einer ziemlich aussichtslosen Regierungskrise offen zur Revolte gegen Haseloff aufgerufen und ein neues Ziel definiert – Zusammenarbeit mit der AfD. Was Höcke in Erfurt mit der Wahl von Kemmerich letztlich misslang, wäre mit Stahlknecht in Magdeburg Realität geworden: Die AfD in der Rolle des Königsmachers. Mit einem hochriskanten, aber überlegenswerten Experiment, die gemäßigten Kräfte bei den Rechtspopulisten einzubinden, hat das nichts zu tun gehabt. In der AfD in Sachsen-Anhalt haben die Radikalen das Sagen.

Man muss Stahlknecht insofern dankbar sein. Sein nicht abgesprochenes Interview zum Rundfunkbeitrags-Streit in der „Magdeburger Volksstimme“ zeigt, wie der rechte Flügel der Union tickt: Die Öffentlich-Rechtlichen sind nervige Moralapostel, und die Zeit, in der eine intellektuelle Elite dem Volk den Spaß verdirbt, muss endlich vorbei sein. Diese Äußerungen haben den Vorteil der Deutlichkeit. Der Zoff um Rundfunkgebühren ist nur der Vordergrund, in Wahrheit geht es um die strategische Richtung der CDU in Sachsen-Anhalt. Die Koalitionskrise in Magdeburg ist eine Krise der CDU, die nicht weiß ob sie in die Mitte oder nach weit rechts will. Wer so redet wie Stahlknecht, der hat mit Grünen oder SPD nichts gemein, mit der AfD schon.

Für Friedrich Merz ist es dabei völlig egal, wie die AfD in Sachen Staatsvertrag abstimmt. Das ist mehr als unberaten. Denn ein Nein von Union und AfD zum Staatsvertrag wäre ein Zeichen, dass Haseloffs Bollwerk gegen die AfD Risse hat. Dass Merz mit flotten Sprüchen den Konflikt noch anheizt anstatt zu helfen, das Feuer auszutreten, beleuchtet, welches Risiko die CDU eingeht, wenn sie ihn zum Chef macht. Nichts kann die Union im Wahljahr 2021 weniger gebrauchen als eine offene Flanke zu Rechtsextremen. Es ist bemerkenswert, dass diese Tatsache jenseits von Friedrich Merz' politischem Horizont liegt.

Also alles klar? In Magdeburg nicht. Das zähe Ringen geht wohl weiter. Es gibt, nach all den Schwüren der CDU-Fraktion, den Staatsvertrag auf jeden Fall zu kippen, keinen gesichtswahrenden Kompromiss mehr. Die Alternativen sind aber nicht besser. Eine Tolerierung einer CDU-Minderheitsregierung ist kaum vorstellbar. Und Neuwahlen, womöglich unter Pandemiebedingungen, würde wohl ähnliche Mehrheitsverhältnisse wie jetzt ergeben. Es bleibt die Wahl zwischen drei scheußlichen Möglichkeiten.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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6 Kommentare

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  • Hallo,

    ich will ja nicht nerven, aber bis heute ( 09.12., etwa 10:30 ) hat niemand meine Frage nach " ... belastbaren Quellen, welche eine Nähe der CDU ( Partei und/oder Fraktion ) in Sachsen-Anhalt zur AFD belegen ... " beantwortet. Ich bat am 06.12. um 09:34 " ... ausdrücklich um entsprechende Links, denn diese würde ich bitteschön wirklich mal selbst nachlesen wollen."

    Netter Gruß,



    Thomas Dräger, D-67098

  • 06.12.2020, 09:35

    Hallo,

    für mich gibt es hier den Lackmustest für eine seriöse Diskussion: wo sind die belastbaren Quellen, welche eine Nähe der CDU ( Partei und/oder Fraktion ) in Sachsen-Anhalt zur AFD belegen ? Ich bitte ausdrücklich um entsprechende Links, denn diese würde ich bitteschön wirklich mal selbst nachlesen wollen.



    Übrigens: Falls irgendwer hier mich der ( offenen oder heimlichen ) Unterstützung oder auch nur der ( offenen oder heimlichen ) Sympathie für irgendeine Partei verdächtigt, liegt er grundfalsch – falscher liegen könnte er/sie gar nicht.

    Das einzige, was für mich zählt, sind belastbare Quellen - selber lesen halte ich für wichtiger als Nachplappern.

    Netter Gruß, Thomas Dräger, D-67098

  • Es handelt sich im wesentlichen um eine Krise der ostdeutschen CDU und das ist das eigentliche Problem. Langsam aber sicher gibt es zwei CDUs, mit völlig unterschiedlichen Vorstellungen davon, was eine bürgerliche und demokratische Mitte ausmacht. Teile der CDU sind weit davon entfernt die AFD durch "Einbinden" entschärfen zu wollen, sie wollen die AFD sein. Das aktuelle Verhalten von Merz zu dem Thema beweist, dass der Mann dumm und verzweifelt ist und dass er schlichtweg überhaupt kein Politiker ist. Er hat weder ein Verständnis von noch ein Interesse an gesellschaftlichen und politischen Fragen wie den massiven Folgen, die eine Zusammenarbeit mit der AFD haben kann. Merz wird immer mehr zum Trump, er zerstört um an die Macht zu kommen. Dabei ist er selber ja noch nicht mal wirklich rechts, er ist wirtschaftsliberal. Aber er bedient zunehmend und immer populistischer die rechten Kräfte in der CDU. Man kann nur hoffen, dass er möglichst rasch auf dem Müllhaufen der Geschichte landet. Die CDU hat Wichtigeres zu tun als solchen Rattenfängern nachzulaufen.

  • 05.12.20, 08:20

    Hallo,

    man muß Herrn Stahlknecht nicht mögen. Aber es lohnt dennoch, das Interview nachzulesen, welches zur Entlassung führte [1 ]:



    > „ … Die Position der CDU zum Rundfunkstaatsvertrag ist seit mehr als zehn Jahren bekannt, da gab es die AfD noch nicht. … Es kann nicht angehen, dass sich die CDU dann von ihrer Position verabschiedet, nur weil sich die anderen aus taktischen Gründen... " ( lies: von ihrem Koalitionsvertrag ) " … von der CDU distanzieren. … Es kann nicht sein, dass die Landtage in Deutschland zu Abnickvereinen degradiert werden.“

    Daß Herr Stahlknecht dann eine „Minderheitsregierung“ in den Raum stellt, ist momentan seine Achillesferse. Er müßte erwarten, dann von allen anderen Fraktionen toleriert zu werden – was mehr als zweifelhaft ist.

    Daß aber SPD und Grüne ihrerseits einen Koalitionsbruch in den Raum stellen, zeigt deren Verantwortungsbereitschaft für das Ganze einer Landesregierung. Es gab einmal einen Werbeslogan, der tief blicken ließ: „Unter'm Strich zähl ich.“

    [1 ] www.volksstimme.de...du-ist-nicht-braun

    Netter Gruß,



    Thomas Dräger, D-67098

  • "Die Öffentlich-Rechtlichen sind nervige Moralapostel, und die Zeit, in der eine intellektuelle Elite dem Volk den Spaß verdirbt, muss endlich vorbei sein."

    Einerseits hat der Artikel recht, dass hier deutliche Positionen zum Vorschein kommen (und dass das in der Politik an sich durchaus zu begrüßen ist).

    Andererseits ist auch die Gegenposition "Wir stehen geschlossen gegen Rechts, von dort kommen die großen Probleme und gesellschaftlichen Brüche, alles andere sind Sachfragen, die Demokraten nach Faktenlage ruhig angehen, und Fragen des Aufeinanderzugehens" klar. Aber auch hier ist nicht offensichtlich, ob die Realität sich diesem Bild fügen will.

    Der Richtungsstreit wird uns wahrscheinlich noch eine Weile begleiten. Auf absehbare Zeit wird er wahrscheinlich auch nicht in einen neuen Konsens münden.

  • Wie wäre es denn, wenn SPD und Grüne nachgeben würden, es geht ja schliesslich nur um 86 Cent und die Rettung der Demokratie wäre das doch wohl wert, oder?