CDU-Kandidat Armin Laschet: Der Beharrliche
Der NRW-Ministerpräsident will CDU-Chef und Kanzler werden. Der konservative Jens Spahn unterstützt ihn dabei. Wer ist dieser Armin Laschet?
D ienstagmorgen, 9.30 Uhr: Vor der Berliner Bundespressekonferenz wagt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet den größten Sprung seiner Karriere. Eine Woche nach seinem alten Rivalen Norbert Röttgen, aber 90 Minuten vor seinem größten Konkurrenten Friedrich Merz erklärt der 59-jährige Katholik aus dem Rheinland, dass er seine Zukunft in Berlin sieht – zunächst als Bundesvorsitzender der CDU. Nach Absprache mit CSU-Chef Markus Söder könne er aber auch das Kanzleramt in den Blick nehmen, erklärt Laschet: Mit der Wahl des neuen Vorsitzenden, den die Christdemokraten auf dem Sonderparteitag am 25. April küren wollen, sei doch völlig klar, „wer der CDU-Vorschlag“ für die Nachfolge Angela Merkels als Kanzlerin werde. Gibt Söder sein Okay und geht es nach Armin Laschet, ist der nächste Kanzlerkandidat – Laschet selbst.
Passend zum großen Auftritt trägt der Regierungschef, der sich in Kleidungsfragen von seinem Sohn Johannes beraten lässt, einen tief dunkelblauen Anzug, dazu eine seiner geliebten violetten Krawatten und ein weißes Einstecktuch. An seiner Seite sitzt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Wie die Konkurrenten Merz und Röttgen stammt auch der aus Nordrhein-Westfalen. Aber anders als diese stellt Spahn seine eigenen Ambitionen hintan und unterstützt seinen Landesvorsitzenden. Besorgniserregend seien die Grabenkämpfe, die aktuell die CDU beherrschten, erklärt Spahn dazu: „Manche haben wohl vergessen, dass der politische Gegner außerhalb der eigenen Partei steht“ – deutliche Kritik an Merz und Röttgen.
Zu Beginn der Pressekonferenz wirkt Laschet angespannt. Für ihn geht es heute um alles. Immer wieder wandert der Zeigefinger seiner linken Hand ins Gesicht, manchmal nimmt er die Nasenspitze zwischen Daumen und Zeigefinger – Gesten, die der erfahrene Spitzenpolitiker sonst vermeidet.
Der konservative Spahn und der liberale, schwarz-grün angehauchte Laschet suchen einen unerwarteten Schulterschluss: Sie präsentieren sich als Teamlösung, wollen die gesamte Breite der Volkspartei abbilden.
Zunächst darf Spahn für einen starken Staat, Marktwirtschaft und einen „weltoffenen Patriotismus“ werben. Erst danach stellt Laschet sein Großthema vor: Als Mann der Mitte will er nichts weniger als den Zusammenhalt der bundesrepublikanischen Gesellschaft sicherstellen. In Berlin spricht der Ministerpräsident, der in seinem Nordrhein-Westfalen mit seinen 18 Millionen Menschen fast ein Viertel der Deutschen regiert, über die Ängste der Bürger*innen: die vor dem sozialen Abstieg, die vor dem Klimawandel, die vor Jobverlusten durch Digitalisierung – aber auch über die Ängste von Migrant*innen und von Muslimen und Juden vor rechtsextremer Gewalt. Immer wieder gestikuliert der Mann aus Aachen dabei mit der rechten Hand – auch das ein Zeichen des Drucks, der gerade auf ihm lastet.
Seinen rheinischen Dialekt hört man in Berlin kaum durch. Dabei redet Laschet vor der Hauptstadtpresse viel, vielleicht zu viel über Nordrhein-Westfalen: Wie das größte Bundesland müsse die ganze Bundesrepublik „Industriestandort bleiben“ – lang, vielleicht zu lang hat der Ministerpräsident deshalb die klimaschädliche Braunkohle verteidigt. Mittlerweile aber bekennt sich Laschet zur „Energiewende“, zu „guter Infrastruktur“ etwa durch den Ausbau schneller Bahnverbindungen. Laschet, der Mann der Mitte, verspricht „null Toleranz gegenüber Kriminellen“ und „Respekt“ vor Religionen wie dem Islam und Judentum ebenso wie beste Schulen, die gerade in sozialen Brennpunkten „strahlen“ müssten.
Glasklar ist Laschet an diesem Dienstagmorgen in Berlin in seiner Abscheu vor der AfD. Jeder Kollaboration mit den Rechtsextremen hat er in den vergangenen Wochen immer wieder Absagen erteilt: „Keine Zusammenarbeit, keine Kooperation, auch nicht zufällig: Das wird es in Nordrhein-Westfalen nicht geben“, ruft er Mitte Februar bei einer Aktuellen Stunde des Düsseldorfer Landtags zum Thüringen-Desaster. Den FDP-Mann Thomas Kemmerich, der sich dort mit Stimmen von CDU und AfD zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten wählen ließ, verteidigt er trotzdem: Den gebürtigen Aachener Kemmerich kenne er, sagt Laschet: „Der war bei mir auf der Schule. Das ist kein Rechter.“ Hätte Kemmerich die Wahl abgelehnt, wäre er der Held der Republik geworden, glaubt Laschet.
Für den immer freundlich und zugewandt wirkenden Rheinländer ist die Relativierung typisch. Auch mit seiner Entscheidung für Berlin hat sich der Taktiker, dessen Weg nach oben von vielen frühen Niederlagen und späten Siegen gekennzeichnet ist, Zeit gelassen. In Düsseldorf haben seine engsten Vertrauten seit langem Strategien und Szenarien ent- und wieder verworfen, die Laschet den Weg vom Rhein an die Spree ebnen sollten.
Laschet selbst hat den Karneval genutzt, um seien Marktwert zu testen: Wer denn nun als Nachfolger der Kanzlerin „Deutschlands next Mutti“ werden solle, hat er bei seiner Büttenrede bei der Verleihung des Ordens „Wider den tierischen Ernst“ in seiner Heimatstadt Aachen gefragt. „Armin!“ und „Armin, du musst es machen“, ruft das Publikum. „Nein, nein, nein, nicht ich. Quatsch!“, gibt Laschet da noch geplant bescheiden zurück.
Das Publikum zu Armin Laschet
17 Tage ist das jetzt her. Vor 15 Tagen eröffnet Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer mit ihrem Rückzug vom Bundesvorsitz die Chaostage der CDU. Seitdem bringt sich Laschet in Stellung. Schon die Münchener Sicherheitskonferenz Mitte Februar nutzt der einst stramme Merkelianer, um sich von der Kanzlerin abzusetzen und als potenziellen Nachfolger in Stellung zu bringen.
Zu langsam, zu träge sei die Europapolitik der Regierung Merkel, kritisiert Armin Laschet da in München: „Heute macht der französische Präsident Vorschläge, wir brauchen zu lange, bis man reagiert.“ Vom Motto des schwarz-roten Koalitionsvertrags „Ein neuer Aufbruch für Europa“ sei in Berlin nicht viel zu spüren. Und statt über die amtierende Kanzlerin spricht Laschet lieber über deren Vorvorgänger Helmut Kohl: „Das muss man sich mal vorstellen, dass man den Leuten gesagt hat: Gebt die D-Mark auf. Solchen Mut bräuchte man heute.“ Die CDU hat das Signal prompt verstanden: Mit Laschet ist im Rennen um Parteivorsitz und Bundeskanzleramt zu rechnen, wissen seitdem alle – auch seine Konkurrenten Merz und Röttgen.
Röttgen reagiert prompt: Ausgerechnet am 18. Februar, Laschets 59. Geburtstag, erscheint der alte Rivale als überraschender vierter Kandidat, den niemand auf dem Zettel hatte. „Ich bin nicht der Vierte, ich bin der Erste“, erklärt Röttgen mit Blick auf Laschets Zurückhaltung. „Ich bin der Erste und Einzige, der seine Kandidatur erklärt hat“, stellt der frühere Bundesumweltminister trocken fest – und wirkt trotzdem wie ein kleiner Junge, der sich freut, als Erster durchs Ziel gegangen zu sein.
Dabei ist Laschets langes Zögern verständlich. Der Aachener, der von seinem Haus im Stadtteil Burtscheid in einer Stunde bequem in die Landeshauptstadt Düsseldorf pendeln kann, hat viel zu verlieren. Zwar hat Laschet am Dienstag in Berlin verkündet, erst einmal am Amt des Regierungschefs von Nordrhein-Westfalen festhalten zu wollen. Doch selbst in seiner Staatskanzlei bestehen Zweifel, ob der Ministerpräsident die Bundes-CDU quasi nebenbei vom Rhein aus führen kann.
Schon am Tag von Kramp-Karrenbauers Rückzugsankündigung hängt Laschet im Rheinland fest – an der Sitzung des CDU-Bundespräsidiums kann er wegen des Sturms „Sabine“ nicht teilnehmen. Außerdem ist er mit der Hauptstadtpresse längst nicht so gut verdrahtet wie mit den Journalist*innen an Rhein und Ruhr – wer ihn gut kennt, kann am Dienstag sehen, wie angespannt er zumindest zu Beginn seines Auftritt vor der Bundespressekonferenz ist.
Laschet selbst kennt diese Zweifel nur zu gut. Schon 2018 galt er neben Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn als heißer Kandidat für die Nachfolge Merkels im Parteivorsitz – und sagte ab: „Ich halte, bei der jetzt geplanten Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz, diese Konstruktion für nicht vereinbar mit der Position des Regierungschefs im größten Bundesland“, erklärte Laschet damals. Jetzt sagt er, die Situation habe sich geändert: Als Regierungschef, der mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit regiert, sitze er nach fast drei Jahren heute fester im Sattel. Und die CDU, die brauche für ihre Zukunft als Volkspartei Einheit und Geschlossenheit – repräsentiert durch das „Team“ zwischen ihm und Spahn.
Dennoch geht Laschet volles Risiko. Als neuer Parteivorsitzender dürfte er bis zur Bundestagswahl im Herbst 2021 neben der amtierenden Kanzlerin bestehen müssen. Wie schwierig das ist, hat zuletzt Kramp-Karrenbauer gezeigt – selbst wenn sich die Saarländerin auch selbst demontiert hat. Was folgte, war ein massiver Autoritätsverlust der Parteichefin. Zuletzt wurde der in der Krise um den mit AfD-Stimmen gewählten Thüringer Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich sichtbar: In Erfurt musste Kramp-Karrenbauer lange warten, bevor sie überhaupt zur eigenen CDU-Fraktion vorgelassen wurde – und erreichte danach nichts.
Allerdings: Laschet weiß, wie sich Niederlagen anfühlen. Seine gesamte Karriere ist von Fehlschlägen geprägt, die Laschet aber in späte Siege verwandeln kann: Nach seinem ersten juristischem Staatsexamen 1987 – Volljurist ist er nicht – ging er als Volontär zum Bayerischen Rundfunk, arbeitete danach als freier Journalist etwa für den „Party-Hit-Mix“-Privatsender Radio Charivari, aber auch für das ARD-Politmagazin „Report München“. Parallel beriet er CDU-Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth als Referent.
Zurück in Aachen, schaffte er 1994 den Sprung in den Bundestag. Dort gehörte er zu denen, die sie in der CDU-Bundestagsfraktion tatsächlich „junge Wilde“ nannten. Doch Laschet verlor sein Direktmandat 1998 an die Sozialdemokratin Ulla Schmidt.
Ein Jahr später ging er als Europaabgeordneter nach Brüssel – und wurde 2005 im Kabinett des christdemokratischen NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers Deutschlands erster Integrationsminister überhaupt. Dort räumte er mit der „Gastarbeiter“-Lüge der Union auf – also der noch von Helmut Kohl vertretenen Fiktion, nach Deutschland geworbene Migrant*innen würden in ihre Herkunftsländer zurückkehren müssen. Laschet erklärte die Bundesrepublik dagegen zu einer „de facto multikulturellen Gesellschaft“ – und wurde von manchen xenophoben Parteifreunden prompt „Türken-Armin“ genannt.
Kämpfen musste der Sohn eines Bildungsaufsteigers – sein Vater Heinz war Steiger im rheinischen Steinkohle-Bergbaurevier, wurde dann nach einer Zusatzausbildung Lehrer – auch nach der Niederlage von Rüttgers 2010. Den Machtkampf um den Landtagsfraktionsvorsitz verlor er denkbar knapp gegen seien heutigen Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. „Lusche Laschet“ wurde er damals von Parteifreunden hämisch genannt. Einfach zu nett, zu jovial, zu harmlos – und politisch wohl zu nah bei den Grünen: Dieses Image besaß Laschet bei vielen.
Auch Vorsitzender des größten CDU-Landesverbands wurde er erst im zweiten Anlauf: Ausgerechnet Norbert Röttgen, den er jetzt als Rivalen wiedertrifft, setzte 2010 eine Mitgliederbefragung durch. Dabei entschieden sich knapp 55 Prozent der Christdemokrat*innen für den damaligen Bundesumweltminister. In Nordrhein-Westfalen hinterließ Röttgen freilich ein Desaster. Als Spitzenkandidat im Landtagswahlkampf 2012 weigerte er sich zu versprechen, auch im Fall einer Niederlage in Düsseldorf zu bleiben. Die CDU stürzte auf historisch schlechte 26,3 Prozent ab. Erst danach wurde Laschet Landesvorsitzender. An die Fraktionsspitze schaffte Laschet es erst 2013, nachdem Merkel Laumann vorübergehend als Gesundheits-Staatssekretär und „Pflegebeauftragten“ nach Berlin geholt hatte.
Nach einer Aufholjagd gegen seine SPD-Vorgängerin Hannelore Kraft im Jahr 2017 regiert Laschet jetzt seit zweieinhalb Jahren mit einer schwarz-gelben Koalition. Die arbeitet trotz knappster Mehrheit erstaunlich geräuschlos: Der Taktiker Laschet hat aus seinen Niederlagen gelernt. Gerade wegen seines ökoliberalen Images darf Ex-Landesgeneralsekretär Herbert Reul als Innenminister den Hardliner geben, das Polizeigesetz verschärfen und den Hambacher Wald räumen. Auch Laschets Ex-Konkurrent Laumann ist in die Kabinettsdisziplin eingebunden, hat als Bundesvorsitzender der CDU-Sozialausschüsse in NRW einen zweiten Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose schaffen dürfen. Sein Konkurrent Merz sollte als „Brexit-Beauftragter“ an sein Kabinett gebunden werden.
Als CDU-Landesvorsitzender unangefochten ist Laschet allerdings noch immer nicht. Anders ist nicht zu erklären, warum mit Merz und Röttgen gleich zwei prominente Christdemokraten aus NRW gegen ihren eigenen Ministerpräsidenten antreten.
Lange, fast zu lange hat Laschet deshalb damit kokettiert, in Düsseldorf zu bleiben. Wie stark verankert er in Nordrhein-Westfalen wirklich ist, zeigt sich im Karneval: Für den Rheinländer ist das ein Pflichttermin. In Düren nimmt er sich vergangene Woche fast drei Stunden Zeit, um 27 Kinderprinzenpaare zu empfangen. „Einer der schönsten Termine der Woche“ sei die Feier in der 92.000 Einwohner*innen zählenden Stadt zwischen Köln und Aachen, ruft er dem Karnevalsnachwuchs und dessen Eltern zu. Er selbst dagegen müsse wegen der CDU-Bundespräsidiumssitzung „Rosenmontag in Berlin sein“, klagt er jeck – „das ist total bescheuert“.
Jetzt hat er sich für den Sprung in die Bundespolitik entschieden – und wirbt für sein „Team“ mit Spahn. Es sei immer seine Stärke gewesen, einstige innerparteiliche Konkurrenten einzubinden, erklärt er in Berlin. Der Sieg der Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen 2017 sei erst nach langen Gesprächen mit seinem früheren Rivalen Laumann möglich gewesen, und in seinem Kabinett sei Laumann als Chef der CDU-Sozialausschüsse ebenso vertreten wie mit Verkehrsminister Hendrik Wüst der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung.
Klar ist aber schon heute: Auf Röttgen und Merz setzt das Team Laschet nicht mehr. „Ich will nicht über Norbert Röttgen sprechen“, stöhnt er auf Nachfrage in Berlin auf. Und Merz? Ob der überhaupt teamfähig sei, will Laschet nicht beantworten: „Das können Sie ihn selber fragen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen