CDU-Fünfpunkteplan der CDU/CSU: Die letzte Merkelianerin
Antje Tillmann ist die einzige Christdemokratin, die bei der Abstimmung des Antimigrationsantrags der CDU/CSU mit Nein stimmte. Dafür bekommt sie viele Respektsbekundungen.
Sie ist vielleicht nicht die allerletzte Merkelianerin in der Bundestagsfraktion von CDU und CSU. Aber Antje Tillmann ist die Einzige, die diesem Anspruch auch klare Taten folgen ließ. Sie stimmte am Mittwochabend mit Nein – und damit gegen den von ihrem Kanzlerkandidaten Merz durchgepeitschten Fünfpunkteplan gegen Migration.
Weitere acht Unionsabgeordnete hatten am Mittwoch keine Stimme abgegeben. Darunter die Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas und Marco Wanderwitz aus Sachsen, der sich für den AfD-Verbotsantrag starkmacht und ebenfalls nicht mehr für den Bundestag antritt. Für die ehemalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters war die Stimmverweigerung eine Form des Widerstands. „Ich ertrage diese Nähe zur AfD nicht. Für mich ist eine rote Linie überschritten“, sagte Grütters dem Tagesspiegel. Auch sie kandidiert nicht erneut für den Bundestag. Aber zu einem konsequenten Nein konnte sie sich nur Tillmann durchringen.
Seit 22 Jahren sitzt die im Rheinland aufgewachsene Katholikin im Bundestag. Vor über 15 Jahren war sie Verhandlungsführerin ihrer Fraktion bei der Einführung der Schuldenbremse. Seit 10 Jahren ist sie finanzpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Aber einer breiten Öffentlichkeit wird die 60-Jährige erst jetzt mit ihrem Nein in ihren letzten Tagen als Bundestagsabgeordnete bekannt. Denn bei der vorgezogenen Neuwahl in gut dreieinhalb Wochen tritt sie nicht mehr an.
Schon als Teenagerin hatte sie eine Ortsgruppe der Schüler-Union gegründet. Durch ihr Elternhaus und ihre Schule bekam sie die Werte der Christlichen Soziallehre vermittelt: Humanität, Solidarität und Hilfe zur Selbsthilfe. Politische Karriere hat sie im Osten gemacht. Kurz nach dem Mauerfall war sie als junge Finanzbeamtin zunächst nach Brandenburg gegangen. 1993 wechselte sie aus privaten Gründen nach Erfurt. In der thüringischen Landeshauptstadt saß sie acht Jahre lang im Stadtrat, um die Jahrtausendwende herum auch Vorsitzende ihrer Fraktion, bevor sie 2002 erstmals in den Bundestag gewählt wurde.
Zu ihrem Abschied aus dem Berliner Parlament hatte sie Anfang Januar einen Gastbeitrag für die Thüringische Landeszeitung geschrieben. Darin mahnte sie unter anderem zu „Vorsicht bei pauschaler Rückführungsforderung“. 2015, also das Jahr der vielen Einwanderer aus Syrien, schrieb sie weiter, sei trotz allem „eine Erfolgsgeschichte: Aktuelle Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit zeigen, dass von den nach Deutschland geflüchteten Syrern über 60 Prozent erwerbstätig sind, bei den Männern sogar 85 Prozent. Bedenkt man, dass ein Großteil der Geflüchteten Kinder waren, ist das ein guter Schnitt.“
Tillmann wusste auch aus persönlicher Erfahrung, wovon sie spricht. 2015 hatte sie für einen damals 15-jährigen Syrer, der ohne Eltern nach Deutschland geflüchtet war, die Vormundschaft übernommen. Inzwischen beginne er „seine Meisterausbildung zum dringend gebrauchten Industriemechaniker“, schrieb Tillmann im Januar. „Unabhängig von der Frage, wie viele Menschen wir in Deutschland aufnehmen können, müssen wir uns um die, die hier sind, intensiv kümmern“, sagte Tillmann dazu schon 2016 der Bild.
Für ihr Nein bekam Tillmann viele Respektsbekundungen. Weniger aus der Union, dafür aber unter anderem von Martina Renner, der ebenfalls aus Thüringen stammenden Bundestagsabgeordneten der Linkspartei.
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