CDU-Bürgermeister über Seenotrettung: „Wir meinen es ernst“
Menschen in Seenot zu helfen sei Pflicht, sagt Rottenburgs Oberbürgermeister Stephan Neher. Er will Gerettete aus dem Mittelmeer aufnehmen.
taz: Herr Neher, zusammen mit anderen Städten will Rottenburg am Freitag das Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ gründen. Was ist Ihr Ziel?
Stephan Neher: Es kann nicht sein, dass wir uns in einem wohlhabenden Land wie Deutschland verwehren, Menschen aus Seenot zu retten. Es gilt der Marinegrundsatz: Jeder, der in Seenot gerät, muss gerettet werden. Unabhängig davon, wie er in diese Lage gekommen ist. Erst im zweiten Schritt gilt es dann zu gucken, ob die Geretteten hier ein Bleiberecht haben oder nicht.
Sie sagen ja, Seenotrettung ist Pflicht. Wieso diskutiert man überhaupt darüber?
Ein Teil der Politik glaubt: Wenn wir weniger Seenotrettung betreiben, sind die Gefahren höher – und das schreckt die Menschen in den Herkunftsländern ab . Man glaubt, so könne man Schleusern das Handwerk legen. Die Zahlen belegen aber, dass die Not der Menschen so groß ist, dass sie selbst bei geringen Chancen in die Boote steigen. Für uns ist klar: Das Ende der Flucht muss in Europa liegen, wo Menschen ein rechtsstaatliches Asylverfahren bekommen – und nicht auf hoher See.
Seit Sommer 2018 haben sich mehr als 50 deutsche Städte zu „Sicheren Häfen“, erklärt. Wozu braucht es noch Ihr Bündnis?
All diese Städte haben erklärt: Wir wollen ein sicherer Hafen für Flüchtlinge in Seenot sein. Jetzt vernetzen wir unsere Einzelbeschlüsse und schicken ein deutliches Signal an die Politik: Wir meinen es ernst. Das waren nicht bloß Lippenbekenntnisse der Gemeinderäte.
45, ist Oberbürgermeister von Rottenburg und Kreisvorsitzender der CDU Tübingen. Bei einem „Seebrücke“-Kongress in Berlin gründen Rottenburg und 11 weitere Städte am Freitag das Bündnis „Städte Sicherer Häfen“.
Ist das mehr als ein Symbol?
Es ist das eine, gegen das Sterben auf dem Mittelmeer zu sein. Das andere ist, auch tatsächlich etwas anzubieten, um Abhilfe zu schaffen. Wir alle haben gute Erfahrungen mit der Integration gemacht und haben kein Problem, über die üblichen Kontingente hinaus Geflüchtete aufzunehmen. Wir haben unseren Gemeinderatsbeschluss an das Bundes- und Landesinnenministerium geschickt. Dass wir diesen Weg gehen, wurde begrüßt, sogar mit einem Schreiben. Es wurde aber abgelehnt, vom Verteilschlüssel abzuweichen und Sonderkontingente für aus Seenot Gerettete zu schaffen. Es reicht aber nicht, wenn alle bemängeln, dass Tausende Menschen im Meer ertrinken, weil zu wenig Hilfe angeboten wird. Wir haben ein Angebot gemacht. Wer es ernst meint, muss das annehmen.
Sie sind CDU-Mitglied, im Rottenburger Gemeinderat hat die CDU die Mehrheit. Der Beschluss, Sicherer Hafen zu werden, fiel einstimmig. Im Bund hingegen hat die Union einen Fokus darauf, Menschen aus dem Land heraus zu bekommen statt hinein. Wie passt das zusammen?
Ich sehe da keinen Widerspruch. In Rottenburg als Bischofsstadt sehen wir auch die christliche Verantwortung. Und es soll ja ein ganz formales rechtsstaatliches Asylverfahren stattfinden. Wer seine Fluchtgründe nachweisen kann, soll in unserem Land dann auch Schutz erfahren. Wer das aber nicht kann oder wer kriminell in Erscheinung tritt oder nicht bei der Feststellung seiner Person mithilft, der muss wieder gehen. Abschreckung mit möglichst harten Fluchtrouten oder Todesgefahr sind aber nicht die Lösung.
Erst vergangene Woche haben sich Bund und Länder nach langem Gezerre auf die Verteilung der Integrationskosten geeinigt. Sie wollen noch zusätzlich zum Königsteiner Schlüssel Menschen aufnehmen. Wie steht es um die Finanzierung?
Wir fordern, dass die Kosten ebenso gehandhabt werden wie bei den Menschen, die nach dem Schlüssel verteilt werden. In Rottenburg haben wir aber schon sehr früh eine Unterkunft gebaut und zum Beispiel aus städtischen Mitteln Kleinbusse angeschafft, um die Kinder auf Schulen verteilen zu können. Da wussten wir auch nicht, ob wir das Geld je wiedersehen. In wirtschaftlich guten Zeiten darf man nicht auf den Euro gucken. Zuerst gilt es, die Not der Menschen zu lindern.
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