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Butterwegge über Bundespräsidentschaft„Ich vertrete SPD-Überzeugungen“

Christoph Butterwegge ist sicher, dass man Reichtum antasten muss. Rechtspopulisten würde er als Präsident klare Kante zeigen.

Mietfrei zu haben: Gute Lage, viel Platz, ideal für Besucher Foto: dpa
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Herr Butterwegge, Sie sind bei der Wahl für das Amt des Bundespräsidenten chancenlos. Warum tun Sie sich das an?

Christoph Butterwegge: Nicht nur ein Bundespräsident kann öffentlich wirken und auf bestimmte Probleme in der Gesellschaft hinweisen, sondern auch ein Kandidat für dieses Amt. Ich begleite als Forscher seit Jahrzehnten bestimmte Entwicklungen – etwa den Rechtspopulismus, die vermehrte Fluchtmigration sowie die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich – und schöpfe nun daraus, um für solche Probleme und Prozesse zu sensibilisieren oder die Menschen aufzurütteln.

Was würde Sie zu einem guten Bundespräsidenten machen?

Die Fähigkeit, gesellschaftliche Entwicklungen zu erkennen und darauf zu reagieren, besonders was soziale Benachteiligung angeht. Ich würde mir außerdem wünschen, dass ich die Menschen dazu motivieren kann, sich wieder mehr politisch zu engagieren. Viele haben das Gefühl, dass ihre Interessen von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten werden, womit sie ja keineswegs unrecht haben. Die einzige Möglichkeit, das zu ändern, ist, mehr außerparlamentarischen Druck zu machen – ob durch Demonstrationen und Kundgebungen, Arbeitslosenforen oder Bürgerinitiativen. Demokratie ist mehr, als alle paar Jahre zur Wahl zu gehen. Demokratie heißt, dass alle Menschen, die in einem Land leben, über dessen Zukunft mitentscheiden.

Sind Sie ein besserer Kandidat als Frank-Walter Steinmeier, der das politische Establishment repräsentiert?

Steinmeier hat mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen neoliberale Reformen angeschoben. Ich war immer ein Gegner dieser Politik, durch die Deutschland nicht eben gerechter, humaner oder demokratischer geworden ist. 2005 bin ich genau deshalb aus der SPD ausgetreten und seitdem parteilos. Denn die Grundüberzeugungen der SPD vertrete ich immer noch: mehr soziale Gerechtigkeit, Umverteilung von oben nach unten, die Macht des großen Kapitals beschränken. Eigentlich habe ich mich nicht von der SPD abgewandt, sondern sie hat ihre Ideale verraten.

Trotzdem könnte man Sie sich gut als Kandidaten für Rot-Rot-Grün vorstellen …

Ich fühle mich zwar als ideeller Gesamtlinker, erinnere SozialdemokratInnen und Grüne jedoch an ein dunkles Kapitel ihrer Geschichte, was sie lieber mir anlasten, als nötige Selbstkritik zu üben und Konsequenzen zu ziehen.

Bild: Anja Krüger
Im Interview: Christoph Butterwegge

geboren 1951, erforscht seit Jahrzehnten wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland. Bis 2016 lehrte der Politikwissenschaftler als Professor an der Universität Köln. Von 1970 bis 1975 und von 1987 bis 2005 Mitglied der SPD, kandidierte er als Parteiloser 2017 auf Vorschlag der Linkspartei für das Amt des Bundespräsidenten. Butterwegge hat zwei kleine Kinder und lebt mit seiner Familie in Köln. Gerade ist sein neuestes Buch „Ungleichheit in der Klassengesellschaft“ im PapyRossa Verlag erschienen.

Mal ganz präsidial: Wie geht es den Deutschen gerade?

Die Kanzlerin sagt, Deutschland geht es gut, was mir oberflächlich und undifferenziert erscheint. Es gibt natürlich Deutsche, denen es sehr, sehr gut geht. Man muss nur mal über die Autobahn fahren und schauen, wie viele dicke Limousinen man da sieht. Auf der anderen Seite gibt es einen breiten Niedriglohnsektor, das Haupteinfallstor für jetzige Erwerbs- und spätere Altersarmut. Wie sollen Multijobber genügend Rentenanwartschaften erwerben, wenn sie morgens Zeitungen austragen, mittags in einem Schnellrestaurant arbeiten und abends vielleicht noch Pizza ausfahren, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen? Aber niedrige Löhne bedeuten hohe Gewinne, und diejenigen, die als Kapitaleigentümer und Unternehmer von billigen Arbeitskräften profitieren, denen geht es sogar mehr als gut, zumindest finanziell.

Das Problem ist nicht nur die Armut, sondern vor allem die Spaltung der Gesellschaft?

Ja, die wachsende soziale Ungleichheit. Armut und Reichtum hängen zusammen: Wenn in der Finanzkrise mehr Menschen ihr Girokonto überziehen und hohe Dispozinsen zahlen müssen, werden diejenigen, denen die Banken gehören, noch reicher. Und wenn mehr Familien wegen wirtschaftlicher Probleme beim Lebensmitteldiscounter kaufen, dann werden die Eigentümer solcher Ketten wie Aldi und Lidl natürlich noch reicher. Das zu vermitteln wäre mir sehr wichtig: Man muss den Reichtum antasten, wenn man die Armut wirksam bekämpfen will.

Wie?

Ungleichheit ist in einer kapitalistischen Gesellschaft, wo sich die Produktionsmittel in den Händen privater Eigentümer befinden und die große Bevölkerungsmehrheit ihre Arbeitskraft verkaufen muss, strukturell angelegt. Ich sehe vor allem drei Prozesse, die eine Verschärfung der Lage bewirkt haben: die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Demontage des Sozialstaates und ein ungerechtes Steuersystem.

Diese Bereiche müssten reformiert werden?

Ja, die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Liberalisierung der Leiharbeit und die Erleichterung von Werk- und Honorarverträgen müssen rückgängig gemacht, ein Großteil der Mini- und Midijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse überführt werden. Der Mindestlohn ist viel zu niedrig, um vor Armut zu schützen. Zudem brauchen wir eine Steuerreform, die besonders finanzkräftige Teile der Gesellschaft stärker in die Pflicht nimmt.

Was wäre da wichtig?

Vor allem eine Wiedererhebung der Vermögensteuer – wohlgemerkt: sie steht noch im Grundgesetz – nicht bloß für Superreiche, aber mit hohen Freibeträgen, damit die Mittelschicht nicht sofort meint, sie würde erfasst. Außerdem eine Erbschaftsteuer, die verhindert, dass man einen ganzen Konzern erben kann, ohne einen einzigen Cent zu zahlen. Die Kapitalertragsteuer muss wieder an den persönlichen Einkommensteuersatz gekoppelt werden. Ohne Umverteilung von oben nach unten kann man den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht gewährleisten.

Klingt nach derzeitigem Stand ziemlich utopisch.

Natürlich kann man nicht alles durchsetzen. Aber es sind richtige Forderungen, wenn man den Staat befähigen will, seine drängendsten Aufgaben zu erfüllen. Wenn ich mir die marode Infrastruktur ansehe, die Situation der Kindergärten und Schulen, die Defizite in Kultur oder Pflege, dann bin ich mir sicher, dass man dafür vielGeld in die Hand nehmen muss. Zwar ist die Situation noch nicht ganz so schlimm wie in denUSA …

wo gerade Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde …

… was Ausdruck davon ist, dass viele Menschen unzufrieden mit der Gesellschaftsentwicklung sind und Angst vor dem sozialen Abstieg haben.

Sehen Sie dort ähnliche Mechanismen wie in Deutschland?

Vieles ist sicher ähnlich, zum Beispiel die sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich. Auch, dass der Unmut sich dann in Richtung rechtspopulistischer Parolen bewegt, dort personifiziert durch Trump, bei uns eher von der AfD oder Pegida repräsentiert.

Trump wurde nicht nur von Prekarisierten gewählt, sondern auch von sehr gut situierten WählerInnen …

Das ist richtig. Ich halte auch nichts von dem Bild, dass der weiße, schlecht qualifizierte Arbeiter, die Konkurrenz der Migranten fürchtend, zu Trump geflüchtet hat. Das ist ein Teil seiner Klientel, aber es gibt eben auch bei besser Gebildeten und Wohlhabenden rassistische und sexistische Ressentiments, die Trump bedient hat. Ich glaube aber, dass er mit seinen Forderungen etwa nach einem großen Infrastrukturprogramm und dem Ausbau der Kindertagesbetreuung an legitime Bedürfnisse von AmerikanerInnen angeknüpft hat. Das ging im Trump-Bashing bei uns völlig verloren.

Trotzdem: Woher kommt es, dass diese Ressentiments auf einen so fruchtbaren Boden fallen? Das ist hier ja nicht anders.

Vor allem in den sozialen Medien herrscht ja zum Teil richtiger Hass. Wenn sich eine Gesellschaft tiefer spaltet, dann führt das auch zu politischen Verwerfungen, zu einer Repräsentationskrise. Sozial Benachteiligte gehen weniger zur Wahl und manche Angehörige der Mittelschicht, die Angst vor dem sozialen Abstieg haben, folgen rechtspopulistischen Demagogen.

Nicht alle Nazis sind sozial benachteiligt.

Nein, ich behaupte auch nicht, dass Rechtsextremismus nur ein soziales Problem sei. Ich erkläre ihn auf drei Ebenen: Erstens lässt sich die ethnische Differenz zwischen Einheimischen und MigrantInnen leichter rassistisch aufladen, wenn die Konkurrenz zunimmt, was seit der letzten Finanzkrise der Fall ist. Zweitens ist es eine Frage des sozialen Klimas: Wie werden Krisenverlierer von der Gesellschaft behandelt? Bei uns werden sie seit Hartz IV als Sozialschmarotzer verteufelt. Dadurch ist unsere Gesellschaft unfriedlicher geworden.

Und die dritte Ebene?

Das ist die der politischen Kultur: Welche Traditionslinien des Bewusstseins sind in einer Gesellschaft vorhanden? Wenn Rassismus, Nationalismus oder Sozialdarwinismus historisch betrachtet stark verwurzelt sind, können Vorurteile und Ressentiments eher aktiviert werden. Das gilt in der amerikanischen Gesellschaft für die weiße Dominanzkultur, in der hiesigen für den Deutschnationalismus. Durch die Erfahrung der Niederlage des Faschismus und auch durch 68 ist diese Tradition zwar gebrochen worden. Aber der Überlegenheitsdünkel, „wir“ seien ein besonders fleißiges und tüchtiges Volk, besteht fort, und sei es als Standortnationalismus. Bei der AfD ist das ein Wiederaufleben völkischen Denkens in neuem Gewand.

Wie würden Sie dem als Bundespräsident begegnen?

Ich würde kein Verständnis für rassistische Positionen zeigen und keine Vertreter von Pegida oder der AfD ins Schloss Bellevue einladen, sondern klare Kante zeigen. Bei solchen Grundwerten wie der Würde des Menschen, Respekt gegenüber Minderheiten oder dem Grundrecht auf Asyl darf man nicht mit sich reden lassen. Denen, die von rechts Stimmung machen, muss klargemacht werden, dass sie die Verfassung verletzen, und ein Bundespräsident hat diese zu schützen.

Wie macht man das am besten klar?

Wir brauchen ein breites Bündnis, das von links bis in die bürgerliche Mitte reicht und alle Kräfte vereint, die die Demokratie bewahren und schützen wollen. Man muss in der parlamentarischen Auseinandersetzung mit der AfD zeigen, dass alle Parteien als Verteidiger der Demokratie und der Verfassung gegen diese rechtspopulistische Gruppierung stehen. Das erreicht man aber leider nicht, wenn man wie die CSU in Asylfragen selbst auf die rechtspopulistische Schiene setzt. So betreibt man nur das Geschäft der AfD.

Letzte Frage: Ist das Amt des Bundespräsidenten denn überhaupt noch wichtig? Oder sollte man es nicht viel eher abschaffen und das Jahresgehalt spenden?

Wenn eine Person dieses Amt bekleidet – ich wünsche mir übrigens, dass es möglichst bald eine Frau wird –, die die etablierten Parteien auf die sozialen Nöte vieler Menschen aufmerksam macht, hat sie eine wichtige Funktion. Ich täte mich deshalb schwer damit, das Amt abzuschaffen, so toll die Idee wäre, Sozialwohnungen im Schloss Bellevue unterzubringen.

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22 Kommentare

 / 
  • "disse Pison"

     

    Einfach - mal - den - Rand - halten! Besser is das!

    Danke. &

     

    "…ihr - die ihr mal anders ward -

    Was soll man euch nur raten!"

    Dege hat sowas von recht.

    Sozialdemokraten solcher Couleur

    "Wir lassen uns die rote Farbe nicht wegnehmen!" - Willy Brandt -

    Auch wenn er solche via Extremistenbeschluß aus seiner Partei wieder vertrieb.

    "Die drücken uns an die Wand"

    Der Handschlag - KPD:SPD= SED

    Da verstand ich noch kein Wort - inne Kök.

    Dann die hitlergeschaßten SPD/SAPler etc als Wollevertreter etc - inne Kök - "Soone Ohren" - ikke.

    Der Dummersdorfer Fischer Willi Stoß(?) -

    "ich hatte doch keine Ahnung - wer das war" -

    Als Schlepper von Herbert Frahm -

    Ja. FrozenThomas herchehört! - & er - ?

    Trat aus seiner Partei aus wg

    Nato-Doppelbeschluß. - Schmidt? - Schnauze!

    & die Weggefährten? - rausgeflogen wg s.o. &

    Später - "Mensch biste immer noch drin? -

    HartzIV! - Essen auf Kante - aber nur für Arbeit?

    Kosovo/Irak? - Rentenklau? usw usf ?"

    - ? - ? - ? … kurz -

    Ist doch mal Klasse - wenn wenigstens mal einer -

    Einer wie er - hier Rückgrat zeigt -

    Farbe bekennt - & Tacheles redet.

     

    Die Nacht des Uhus - fällt doch -

    Nach DompfaffKuckuck mit Ray Ban-Brille

    Noch früh genug nieder - über Bollevue.

    Punkt.

     

    Ende des Vorstehenden.

  • Hat sich Herr Butterwegge eigentlich jemals zu seinen höchst problematischen Äußerungen bzgl. der parlamentarischen Demokratie, dem Mauerbau und der Verteidigung des "Sozialismus" notfalls mit Gewalt distanziert?

     

    Falls nein, ist er als Bundespräsidentenkandidat vollkomnen untragbar!

  • Zum Glück wird diese Person weder Bundespräsident noch Bundeskanzler.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @DiMa:

      Zu wessen Glück?

    • @DiMa:

      Zu welchem Glück?

      • @Rainer B.:

        Zum Glück des Amtes des Bundespräsidenten.

        • @Trango:

          Es soll ja durchaus glückliche Kühe geben, aber glückliche Ämter - nee.

  • Immerhin ist Herr Butterwegge nicht so naiv, sich als angehender Bundespräsident zu fühlen. Aber selbst wenn er vor allem ein Zeichen für eine linke Alternative setzen will, wird wohl am Wahltag nur herauskommen, dass diese Alternative nicht mehrheitsfähig ist. Mehr noch. Kandidat Steinmeier wird für sich in Anspruch nehmen können, dass er sich in einer „echt“ demokratischen Wahl (d. h. mit Gegenkandidat) durchgesetzt hat.

    Ist das Herr Butterwegges Ziel?

     

    Dass eine Direktwahl des BP, die oft gefordert wird, ein besseres Ergebnis für Herrn Butterwegge brächte, möchte ich bezweifeln. Denn dann könnten auch die nicht im Bundestag vertretene Parteien Kandidaten aufstellen, z. B. die AfD, und der AfD-Kandidat würde wohl mit ähnlichen Argumenten wie der Linken-Kandidat Butterwegge deutlich mehr Wähler für sich gewinnen. Die letzten Landtagswahlen haben es bereits gezeigt.

    • @Pfanni:

      Zitat: "...ein Zeichen für eine linke Alternative setzen will, wird wohl am Wahltag nur herauskommen, dass diese Alternative nicht mehrheitsfähig ist."

       

      Ob eine "linke Alternative" in diesem Land "mehrheitsfähig ist" oder nicht, wird nicht entschieden am Tag der Bundespräsidentenwahl. Der Bundespräsident wird nämlich nicht direkt vom Volk gewählt, sondern von der Bundesversammlung. Dieses Gremium aber besteht lediglich aus den 630 Bundestagsabgeordneten und weiteren 630 Wahlmännern und -frauen, die von den 16 Landesparlamenten bestimmt werden und Mitglieder der Landesparlamente, der Landesregierungen, der Bundesregierung oder Persönlichkeiten des sogenannten öffentlichen Lebens sind.

       

      1.260 Menschen, von denen nur die Hälfte tatsächlich gewählt wurde (und zwar von gerade mal der Hälfte aller deutschen Wähler und nicht etwa aller Einwohner dieses Landes), tun so, als wären sie repräsentativ für eine 82-Millionen-Bevölkerung. Was wirklich "mehrheitsfähig" ist und was nicht, wollen diese Leute gar nicht wissen. Sie entscheiden lieber, was sie selber wollen.

       

      Übrigens: Ganz offiziell wird der Bundespräsident "ohne Aussprache und geheim gewählt". Deswegen kommt es im ersten Wahldurchgang mitunter zu Überraschungen. Im vorliegenden Fall besteht allerdings nicht die Gefahr, dass die Wahl spannend wird, da muss ich Ihnen leider recht geben. Die Leute, die das Deutsche Volk vertreten bei dieser Wahl, haben hinreichend bewiesen, dass sie von "linken Alternativen" nicht all zu viel halten. Sie wären sonst gar nicht berechtigt, beim Präsidentenwählen mitzumachen.

      • @mowgli:

        Sie lassen ein wenig unter den Tisch fallen, dass die Zusammensetzung der Bundesversammlung sich nach dem - durchaus direkt demokratisch legitimierten - Parteienproporz in Bundes- und Landesparlamenten richtet. Insofern reden wir hier nicht von einer reinen, abgehobenen Luft-Wahl.

         

        Sie ist nur - da würde ich Ihnen Recht gegen - SEHR indirekt. Und das ist auch gut so. Ein Präsident mit einer spürbareren (oder gar direkten) demokratischen Legitimation wäre automatisch ein Machtfaktor im tagespolitischen Geschäft - Verfassung hin oder her. Er würde Wahlkampf machen, Positionen vertreten und diese dann mit dem Gewicht seiner von Volkes Stimme genährten Autorität auch durchzudrücken versuchen. Man will ja schließlich seine Wähler nicht enttäuschen. Die Kandidaten wären dann auch nicht irgendwelche wohlmeinenden Professoren (oder verdiente Politiker, die ihren Zenit überschritten haben,) sondern aktive, ehrgeizige Machtmenschen. Die würden dann auch nicht so schön rückhaltlos vom Guten, Wahren und Erstrebenswerten schwadronieren, wie sich das der von jeder politischen Verantwortung befreite "Grüßonkel und Staatsnotar" leisten kann, sondern relativiert-realpolitischen Funktionärssprech vom Allerfeinsten an den Tag legen.

  • ...und wieder einmal ist die Frage: Wer ist dieser "man"?

     

    "Man" könne sich Ch. B. "gut als Kandidaten für Rot-Rot-Grün vorstellen", schreibt Patricia Hecht. So ein Mann war Sigmar Gabriel leider nicht. Er ist an seinem engen Freund Frank-Walter nicht vorbei gekommen. Cem Özdemir und Simone Peter ist es nicht anders ergangen. Sie waren, hört man, dermaßen angetan von der angeblich alternativlosen Wahl des SPD-Chefs, dass sie den Außenminister am liebsten sofort von seinem Posten abberufen und ins Schloss Bellevue versetzt hätten.

     

    Herr Butterwegge mag sich ja "als ideeller Gesamtlinker" fühlen. SPD- und Grünen-Führer wollen ihn aber trotzdem nicht. Teil einer "Gesamtlinken" zu sein, ist wohl nichts, was sie reizt. Und Selbstkritik war ihre Stärke nie. Wäre es anders, müsste Butterwegge gar nicht kandidieren. Dann nämlich wäre der "außerparlamentarische[] Druck", den der Kandidat als "einzige Möglichkeit" ansieht, überflüssig. An die Stelle von "Demonstrationen, Kundgebungen, Arbeitslosenforen oder Bürgerinitiativen" könnte dann ein sogenanntes "Machtwort" treten.

     

    Das "Machtwort" wird nicht kommen. Demokratie muss also doch mehr sein, "als alle paar Jahre zur Wahl zu gehen". Wieso nicht die Gunst der Stunde nutzen und selber Lobby werden? Wer auf den sogenannten "Druck" setzt, ist auch nur Populist und also pfui. Die SPD steht, hörte ich, gerade auf ganz hohen Absätzen unter der Laterne. Die "Gesamtlinken" könnten also zusammenlegen und „1 x Gabriel+Steak" ordern. Dann können sie dem Manne bei gedämpftem Licht daran erinnern, was die Linke eigentlich sein soll.

     

    Bleibt nur die "dritte Ebene", die der politischen Kultur: Die bürgerliche "Traditionslinie" schließt käuflichen Sex offiziell aus. Die Linken, die die besseren Bürger sein wollen, müssen also das dreckige Geschäft den Deutschen überlassen, die ihr "Überlegenheitsdünkel" als "besonders fleißig[] und tüchtig[]" ausweist.

     

    Der Preis fürs Steak wär' ja auch unverschämt. Dann doch lieber die AfD.

  • Der Mann hat super Ansichten, kommt aber so unscheinbar rüber. Das bringt nichts.

  • Das Amt des Bundespräsidenten ist NICHT als politisches Gegengewicht zu Bundestag und Bundesregierung ausgestaltet. Die Verfassung der Bundesrepublik nimmt davon (im Kontrast zur Weimarer Verfassung) ganz bewusst Abstand. Wer dieses Amt in erster Linie mit Blick auf seine politischen Wirkungsmöglichkeiten anstrebt bzw. definiert, befindet sich damit auf Gegenkurs zum Grundgesetz - was der Präsident genau nicht sein sollte.

     

    Denn (Zweitens): Der Bundespräsident ist in seiner Amtsführung - eigentlich ausschließlich - der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet. Zu der gehört für den obersten Vertreter des Staates auch und vor allem, demokratische Machtverhältnisse zu akzeptieren und sich nicht über die Entscheidung der Wähler zu stellen. Das gilt auch für Wähler der CDU/CSU, der SPD oder der AfD.

     

    Es steht ihm also weder zu, einer von der Bundestagsmehrheit gestützten Regierung querzusteuern (so gutwillig und fundiert das auch geschehen mag), noch demokratisch legitimierten Vertretern einer von ihm abgelehnten Politik die Anerkennung zu verweigern. Pegida mag er ausschließen (was Gauck oder Steinmeier im Zweifel auch tun/täten), aber der AfD, einer nicht verbotenen Partei, die mit großer Wahrscheinlichkeit im nächsten Bundestag sitzen wird, kategorisch vorab die Tür zu weisen, widerspräche seinen Amtspflichten.

     

    Politisch gesehen spricht Butterwegge daher in diesem Interview als engagierter Aktivist, der in den Wahlprozess für den Bundespräsidenten deutliche linke Töne streuen will, aber nicht als ernsthafter Kandidat für das Amt. Denn dass er nicht begreift, welche Grenzen dem Bundespräsidenten von der Verfassung gesetzt sind, wird man ihm wohl kaum unterstellen wollen.

    • @Normalo:

      Mit Verlaub, das hört sich doch eher nach Quatsch an:

       

      Sie versuchen, aus dem zeitgenössischen Bilde des Bundespräsidenten eine grundgesetzgenaue Arbeitsplatzbeschreibung zu basteln und verheddern sich in einigen Widersprüchen:

       

      1. Selbstverständlich steht es dem Bundespräsidenten zu, seine Meinung in aller Deutlichkeit zu sagen, auch wenn sich das nicht mit der Mehrheitsmeinung in Deutschland oder in dessen Parlament deckt. Er soll halt keine direkte Parteipolitik machen. Wenn die AFD oder andere Menschenwürde relativieren, so darf und soll man ruhig den Mund aufmachen.

       

      2. Ernstgemeinte Frage: Was soll 'Gegenkurs zum Grundgesetz' sein? Soll das Unvereinbar mit dem GG heißen?

       

      3. Mein GG Kommentar (Dieter Hesselberger; 10. Aufl. 1996) bietet übrigens noch diesen schönen Satz:

      "Über diese Einzelbefugnisse hinaus ist er die AUSGLEICHENDE GEWALT (Herv. im Original), der Schlichter von Gegensätzen und Wahrer der Einheit." (S. 250)

       

      Gruß

       

      pit

      • @pitpit pat:

        Ich weiß nicht, was Sie mit "zeitgenössischem Bild" meinen. MEIN Bild vom Amt des Bundespräsidenten ist insofern "zeitgenössisch", als es sich an der Verfassungsrechtslage seit 1948 bis heute orientiert.

         

        Zu ihren Punkten:

        1. Dasss der Bundespräsident eine kompletten Maulkorb hat und nur "Weißbuch zitieren" darf, würde ich auch nicht behaupten. Aber dass er seine AUFGABE darin sieht, die politische Willensbildung in seinem Sinne zu beeinflussen, entspricht nicht der Rolle, die die Verfassung für ihn vorsieht. Es geht dabei nicht nur um formale Parteipolitik, sondern um den demokratischen Entscheidungsprozess insgesamt. Der findet im Parlament statt und nicht im Schloss Bellevue.

        Zum zweiten Satz: Ob eine Partei Verfassungsgrundsätze wie die Unantastbarkeit der Würde des Menschen nicht in ihrer Gesamtheit akzeptiert (und daher verboten gehört) oder nicht, entscheidet - ausschließlich - das Bundesverfassungsgericht.

         

        2. Sie wissen, was ich meine, denn aus Ihren Äußerungen spricht, dass Sie z. B. der AfD einen solchen "Gegenkurs zur Grundgesetz" ebenfalls unterstellen: Man kennt das Grundgesetz, weiß, was es bezweckt, und handelt dagegen. Vielleicht geschieht das unter Bruch der Verfassung, vielleicht auch einfach nur durch kontinuierliches Kratzen an den Grenzen der Verfassungsmäßigkeit, wo sie einem nicht passen.

         

        3. Schlichten und Einheit Wahren ist genau das, was ich vom Präsidenten erwarte. Unter eigener politischer Agenda den Konflikt mit anderen Verfassungsorganen Suchen bzw. Austragen fällt da aber genau nicht drunter.

      • @pitpit pat:

        Normalo,

         

        übrigens ist eine Verpflichtung zur 'freiheitlich-demokratischen Grundordnung' weder ein Verbot zu irgendeinem weiteren Thema zu reden, noch habe ich einen ensprechenden Passus im GG gefunden. Könnten Sie mir den Paragraphen nennen?

        • @pitpit pat:

          Der Präsident leistet seinen Amtseid nicht nur auf das Wohl des Volkes etc., sondern auch auf das Grundgesetz, das die FDGO als Kernbestandteil enthält (vgl. Art. 21 Abs. 2 GG). Wenn Sie also so wollen: Art. 56 GG in Verbindung mit Art. 20 GG.

           

          Zur FDGO gehört der Prozess der demokratischen Willensbildung über politische Entscheidungen, an dem der Präsident als solcher nicht teilnimmt und durch den er deshalb als Teil der Exekutive ohne ein amtsbezogenes Mitspracherecht schlicht gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG). Er ist in diesem Prozess nur ein einfacher Bürger, der bei Wahlen eine Stimme hat. Die ist seine Privatsache und sollte in seiner Amtsführung außen vor bleiben. Das ist kein Redeverbot, aber eines, die politischen Entscheidungen, die so zustande kommen, nicht zu untergraben (, indem er z. B. ihre Ausfertigung verweigert oder im Rahmen seiner Amtsführung dagegen redet, wenn sie nicht in seine politische Agenda passen).

          • @Normalo:

            Ich meinte mit zeitgenößischem Bild genau das, was sie jetzt machen: Ein Bild zeichnen, von dem, was ein Bundespräsident ihrer Meinung nach tun oder lassen sollte und es etwas mit faktischen Gesetzen anreichen .

            Ein Beispiel:

            Sie meinen, ein BP solle seine eigene Meinung hinten anstellen, vor allem, wenn es der Mehrheitsmeinung entgegensteht. Ich bin nicht dieser Meinung und dass GG ist es auch nicht. Für mich ist es damit erledigt.

            Im übrigen bedeutet Schlichter von Gegensätzen eben nicht (!), dass man keine extreme Position einnimmt, denn manchmal ist die vermittelnde Position die extremste. ZB beim Thema der Armut.

            • @pitpit pat:

              Nachtrag:

               

              Ich halte es für schlechten Stil, wenn man auf eine ernstgemeinte Frage nur antwortet 'Sie wissen was ich meine'. Da kann man schlecht diskutieren.

              Sie wissen, was ich meine, gell?

               

              Gruß

               

              pit

  • während herr gabriel und freund_innen am heutigen morgen im bundestag von einer situation fabulieren, die mit der realität einfach nichts mehr zu tun hat, ist dieser artikel doch sehr wohltuend. diese ignoranz vor der wirklichkeit im bundestag führt zu weiterer politikverdrossenheit. viele menschen geht es so schlecht wie noch nie. wenn mensch, die wirklichen arbeitslosenzahlen sieht (nicht die aus der monatlichen märchenstunde aus nürnberg) denn haben wir wohl die höchste arbeitslosigkeit, die wir jemals hatten. hinzu kommt noch der größte niedriglohnsektor ( werk- und leihverträge, zeitarbeit, 1-euro-jobs) eine schlechte gesundheitsversorgung für arme menschen, volle tafeln etc. herr butterwegge ist ein würdiger kandidat für das bundespräsidentenamt. was ist aus den sozialdemokraten geworden,

    die ehemals die arbeiterInnenklasse vertreten hat? die gegen das ermächtigungsgesetz gestimmt hat?

  • 7G
    75880 (Profil gelöscht)

    Sehr gute Antworten,

    Herr Butterwegge wäre der bessere Bunderspräsident, Oder sogar Kanzler ?

    Leider wird dies ein Traum bleiben in unsrer ach so tollen Demokratur. Der übernächste BuPrä heißt dann Alexander Gauland :-((