Busstreik in Neumünster: Mit harten Bandagen für 35 Stunden
In Neumünster ist der Tarifkonflikt zwischen Ver.di und den Stadtwerken eskaliert. Die Rede ist von Streikbruch und Aussperrungen.
Ver.di verhandelt seit Anfang Februar mit den öffentlichen Busunternehmen in Kiel, Flensburg, Lübeck und Neumünster über einen Flächentarifvertrag für die Nahverkehrsbranche. Die Gewerkschaft fordert kürzere Schichten und eine Senkung der Wochenarbeitszeit von 39 auf 35 Stunden.
Die SWN, die in Neumünster im Auftrag der Stadt den Busverkehr betreiben, kündigten als Reaktion auf die ersten Warnstreiks an, am ersten Märzwochenende einen „Notverkehr“ einzurichten. Man könne den Streik verstehen und unterstütze die Mitarbeiter*innen, aber „gleichermaßen ist es uns auch wichtig, dass wir die Menschen in Neumünster nicht vergessen“, sagte damals Pressesprecherin Saskia Ullrich. Und sie stellte klar: „Wir haben keine Streikbrecher, sondern Menschen, die die Wichtigkeit des öffentlichen Nahverkehrs für unsere Gemeinschaft erkennen.“
Notverkehr mit Mitarbeiter:innen aus der Verwaltung
Dass es sich nicht um einen Streikbruch handelt, begründet Ullrich gegenüber der taz damit, dass der Notverkehr von Mitarbeiter*innen aus der Verwaltung bestritten worden sei, die zwar auch Busführerscheine hätten, aber – auf Grund ihrer Verwaltungstätigkeit – andere Verträge als die Busfahrer*innen.
Hier widerspricht Frank Schischefsky von Ver.di. Aus seiner Sicht ist der Notverkehr sehr wohl ein Streikbruch. Denn man verhandele keinen Tarifvertrag für einzelne Berufsgruppen, sondern für die ganze Branche. Die Verwaltungsmitarbeiter*innen hätten laut Ver.di also auch streiken können.
Arbeitssoziologe Stefan Schmalz von der Uni Erfurt beantwortet die Frage, ob die Stadtwerke Neumünster einen Streikbruch organisiert haben, mit Ja. Seiner Meinung nach ist auffällig, wer den möglichen Streikbruch organisiert: „Das Besondere scheint mir zu sein, dass das die öffentliche Hand macht“, sagt Schmalz. „In der Privatwirtschaft ist das üblicher.“
Auch um den Termin für die fünfte Verhandlungsrunde gab es Streit. Die Arbeitgeberseite habe den 27. März vorgeschlagen, sagt die Gewerkschaft. Ver.di wollte früher verhandeln, als die Arbeitgeber*innenseite das ablehnte, habe Ver.di weitere Warnstreiks an den Wochenenden angesetzt, um einen früheren Verhandlungstermin zu erzwingen, sagt Schischefsky.
Für die Stadtwerke geht es um Vertrauensbruch
Schriftlich angekündigt hat Ver.di diesen Warnstreik am 20. März. Aus Sicht der SWN hat die Gewerkschaft damit die Vereinbarung gebrochen, vor dem 27. März nicht mehr zu streiken. Die Stadtwerke werfen Ver.di deshalb Vertrauensbruch vor. Aus Sicht von Ver.di gab es jedoch keine solche Vereinbarung.
Am vergangenen Wochenende eskalierte der Streit: Die SWN nahmen als Reaktion auf den aus ihrer Sicht erfolgten Vertrauensbruch den Notverkehr am Wochenende wieder auf. Ver.di kündigte daraufhin noch am Sonntag Abend an, dass es nun auch unter der Woche zu Warnstreiks kommen könne. Ab Montagmorgen rief Ver.di dann in Intervallen von zwei Stunden zum Streik auf. „Das war eine Spur zu hart“, sagt SWN-Sprecherin Ullrich dazu. Durch den Intervallstreik seien Schulkinder auf der Straße stehen gelassen worden. Die SWN organisierten also wieder den umstrittenen Notverkehr.
„Ein bisschen sehr überspitzt dargestellt“
Gegen Mittag wollte Ver.di den Streik nach eigenen Angaben beenden. Die Kolleg*innen hätten ihre Arbeitskraft wieder angeboten, sich aber vor verschlossenen Werkstoren wiedergefunden, so Ver.di. Man könne vermuten, dass es sich um eine Aussperrung handelte. Bei Aussperrungen werden alle Beschäftigten daran gehindert, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, um Druck auf die Streikenden auszuüben. Allerdings: „Aussperrungen sind schon sehr selten“, sagt der Kasseler Politikwissenschaftler Alexander Gallas. „Das war ein Mittel in der Industrialisierung und im Kaiserreich.“
„Das ist alles ein bisschen sehr überspitzt dargestellt“, sagt Ullrich der taz am Montag. Denn: Die Schicht der Streikenden sei eh zu Ende gewesen, diese seien schlicht in den Feierabend geschickt worden. Ver.di-Verhandlungsführer Sascha Bähring widerspricht: „Die Kollegen haben noch den ganzen Tag über Dienste“, sagt er der taz ebenfalls am Montag. Auf die Frage der taz, bis wann die Schichten der Streikenden am Montag planmäßig gelaufen wären, antworten die SWN weder am Dienstag noch am Mittwoch. Auch die Frage, nach welchen Tarifverträgen die Beschäftigten, die den Notverkehr bestritten haben, bezahlt werden, lassen die SWN bis Mittwoch unbeantwortet.
Am Mittwoch sind die Verhandlungspartner*innen wieder an einem Tisch zusammengekommen. Ergebnisse gab es bis Redaktionsschluss noch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid