Bushido-Prozess: Die schlechte Gute-Nacht-Geschichte
Im Bushido-Prozess wurde sein Ex-Geschäftspartner Arafat Abou-Chaker in fast allen Punkten freigesprochen. Der Fall sagt viel über Projektionen aus.
D as gute Rotkäppchen gegen den bösen Wolf, die lieben Kinder gegen die mörderische Hexe. In Deutschland liebt man Märchen. Vor allem dann, wenn sie die eigenen Moralvorstellungen widerspiegeln. Wer sich die Fingernägel nicht schneiden will oder Rapper erpresst, stirbt einen grauenvollen Tod. Wer brav seine Großmutter besucht oder sich als gut integrierter Musiker um die Familie kümmert, lebt lang und glücklich. Und weil die ollen Kamellen der Brüder Grimm irgendwann auserzählt sind, muss neuer Stoff her.
Was klingt da vielversprechender als Bushi, der ehemalige „Rüpelrapper“ und mittlerweile geläuterte Vater von sieben Kindern, der sich mit der ehrenwerten Gilde der Polizei und der Staatsanwaltschaft zusammenschließt, um gegen das ultimativ Böse, den „Clanboss“ Ari und seine Schergen, in den Kampf, also vor Gericht zu ziehen? Eben.
Das Problem an dieser Geschichten ist nur: Am Ende war doch alles ganz anders. „Gut“ und „böse“ transzendierten. Denn Märchen sind Märchen, und Gerichtsprozesse sind Gerichtsprozesse. Und weil das so ist, rief Arafat Abou-Chaker am Montag – am Ende des letzten Verhandlungstags im knapp dreieinhalb Jahre andauernden Prozess am Amtsgericht Berlin gegen ihn und drei seiner Brüder –, nachdem er aus dem Gerichtsgebäude trat: „Endlich hat die Gerechtigkeit gesiegt!“
Zu geil auf die obergeile Geschichte
Was war passiert?
Der in bestimmten Kreisen eben als „Clanboss“ verschriene Abou-Chaker soll sich einiges zuschulden kommen lassen haben. Behaupteten zumindest der Nebenkläger und Kronzeuge, Rapper Bushido, und die Berliner Staatsanwaltschaft.
Die Anklagepunkte lauteten: schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung und Untreue. Ein dickes Ding.
Arafat Abou-Chaker und seine Brüder sollen Bushido an zwei Tagen in einem Büro eingesperrt, ihn angeschrien und bedroht haben. Am Ende soll Abou-Chaker unter anderem mit einer Hartplastikflasche zugeschlagen haben. Um viele Millionen Euro sei es gegangen und darum, wie man sie untereinander aufteilt. Bushido wollte sich von seinem alten Geschäftspartner, Manager und Freund lösen. Das ist der Ausgangspunkt des Streits und der Taten, die den Angeklagten vorgeworfen wurden.
Mehr als vier Jahre Haft forderte die Staatsanwaltschaft schließlich für Arafat Abou-Chaker. Freispruch forderten die Anwälte der Abou-Chakers. Und erreichten ihn – fast. Am Ende blieb von den Vorwürfen wenig übrig. Arafat Abou-Chaker muss 90 Tagessätze à 900 Euro zahlen, weil er Gespräche heimlich mit dem Handy aufgenommen hatte, und bekommt eine Entschädigung für seine Zeit in Untersuchungshaft. Der Vorsitzende Richter stellte außerdem die Glaubwürdigkeit von Kronzeuge Bushido infrage. O-Ton: „Die Aussage-Entstehung von Bushido regt zum Nachdenken an.“ Und das nicht im positiven Sinne.
Es stellt sich nun nach Ende des medial ausgeschlachteten Prozesses mit viel Rummel, vielen Rappern im Zeugenstand und Prozesskosten von rund 2,4 Millionen Euro die Frage: Sind Medien und die Berliner Staatsanwaltschaft ihren eigenen Vorurteilen aufgesessen? Haben sie womöglich ein paar Märchen zu viel gelesen? Waren sie zu geil auf diese obergeile Geschichte?
Fruchtbare Zusammenarbeit
Eigentlich ist bekannt, dass Bushidos Karriere schon immer auch auf seiner Märchenonkeligkeit und seinem Opportunismus aufbaute. Er wusste, wie er Medien und Journalist*innen mit seinem Charisma für sich einspannen konnte – von Markus Lanz bis zum Magazin Stern. Gleichzeitig gründete seine Karriere auf einem Gangsterimage, für das vor allem sein alter Kumpel Abou-Chaker und dessen Dunstkreis bürgten, auch wenn Bushido nie wirklich ein Schwerkrimineller war. Die Abou-Chakers bescherten ihm Glaubwürdigkeit und Narrenfreiheit in Berlin, er bescherte ihnen viel Geld. Eine fruchtbare Zusammenarbeit.
Einen Bambi für Integration kassierte Bushido trotzdem und machte später sogar ein Praktikum im Bundestag, ausgerechnet bei einem CDU-Abgeordneten. Denn Bushido weiß genau, wann der richtige Zeitpunkt ist, alle erbarmungslos zu beleidigen, und wann er lieber berlinernd ein paar Witzchen reißt.
Er war dabei immer der Herr seiner eigenen Geschichte, hat mittlerweile drei autobiografische Bücher veröffentlicht, von denen eines verfilmt wurde. Er ist, das kann man so sagen, ein Meister des Storytellings. Arafat Abou-Chaker hingegen, den man vor allem pöbelnd aus Dokumentationen von Spiegel TV und aus Boulevardberichten über sogenannte Clankriminalität kennt, der vor Gericht stand, weil er einen Hausmeister verprügelte, und der auf Tiktok Netanjahu mit Hitler verglich, ist in der Öffentlichkeit ein Unsympath sondergleichen; das „Clanmilieu“, in dem er sich bewegen soll, dazu ein beliebtes Feindbild. Dementsprechend klein war seine Lobby in den letzten Jahren.
Bushido inszenierte sich währenddessen als liebenswürdiger Daddy, sprach offen über seine Panikattacken, arbeitete mit dem Springer-Verlag zusammen, den er zuvor verteufelt hatte. In unzähligen Podcasts und soapartigen Dokuepisoden zeigte er sich geläutert, als Opfer eines Tyrannen. Viele Medien kauften es ihm ab und verkauften der Öffentlichkeit seine Version der Geschichte.
„Integrierter Ausländer“ versus „krimineller Ausländer“
Es ging in der Rezeption des Prozesses dabei unterschwellig auch um eine Gegenüberstellung „integrierter Ausländer“ versus „krimineller Ausländer“. Hier durfte man endlich mal Partei ergreifen. Viele wollten, so scheint es, Bushido auch deswegen glauben, weil es ihr Gut-böse-Weltbild bestätigt. Das wurde nun erschüttert. Denn so einfach ist das abseits von Märchen eben alles nicht.
Bushido ist nun womöglich erstmals an seinem Storytelling gescheitert. Die Berliner Staatsanwaltschaft erlitt einen Dämpfer und muss neue Wege finden, zu beweisen, dass „kriminelle Clans“ tatsächlich ein Problem sind. Medien müssen ihre eigene Gier nach einfachen Gut-böse-Geschichten hinterfragen. Nur die Abou-Chakers lachen sich ins Fäustchen. Ihren Erfolg feierten sie im eigenen Restaurant: Papa Ari.
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