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Burkina Faso vor der WahlAbstimmung in Zeiten des Terrors

Die Opposition in Burkina Faso will mit islamistischen Terrorgruppen verhandeln, Präsident Kaboré ist dagegen. Die Sicherheitslage bleibt angespannt.

Wahlkampf der Opposition: „Gemeinsam retten wir das Vaterland!“ Foto: Katrin Gänsler

Ouagadougou taz | Plötzlich kommt im Zentrum von Ouagadougou doch noch Wahlkampffieber auf. Durch die engen Straßen des riesigen Marktviertels schlängeln sich rund 20 Unterstützer*innen von Zéphirin Diabré und dessen Union für den Fortschritt und den Wandel (UPC).

Sie sind zu Fuß und auf gelben Fahrrädern unterwegs und recken Plakate mit dem Parteiemblem in die Höhe, ein Löwenkopf vor blauem Hintergrund. Ihre Hoffnung ist groß, dass der 61-jährige Diabré als wichtigster Oppositionskandidat bei den Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag in die Stichwahl gegen Amtsinhaber Roch Marc Christian Kaboré von der Volksbewegung für den Fortschritt (MPP) einzieht. Neugewählt wird auch das Parlament.

Einer Umfrage zufolge lag der 63-jährige Kaboré im Oktober bei 42 bis 43 Prozent, weit entfernt von der absoluten Mehrheit im ersten Wahlgang. Vor fünf Jahren besiegte Kaboré noch Diabré mit 53,5 zu 30 Prozent – in Burkina Fasos ersten freien Wahlen seit dem Volksaufstand, der ein Jahr zuvor dem Regime des Langzeitpräsidenten Blaise Compaoré ein Ende gesetzt hatte.

Damals herrschten Hoffnung und Aufbruchstimmung. Heute herrscht Ernüchterung. Der Machtwechsel hat weder mehr Arbeit für die junge Generation gebracht noch einen nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung.

Ausnahmezustand in vielen Provinzen

Stattdessen ist Burkina Faso zur „roten Zone“ geworden im Kampf gegen islamistische Terrorgruppen, unter die sich längst bewaffnete Banditen gemischt haben. In 14 von 45 Provinzen gilt der Ausnahmezustand. Die nichtstaatliche Organisation ACLED zählt in den vergangenen zwölf Monaten 2.730 Tote durch Überfälle, Ausschreitungen und Gewalt gegen Zivilisten. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) sind in Burkina Faso 1.049.767 Menschen auf der Flucht, bei 21 Millionen Einwohnern. Schon jetzt ist klar, dass mehr als 1.330 der knapp 22.000 Wahllokale am Sonntag aus Sicherheitsgründen nicht öffnen werden.

Eddie Komboïgo spricht unverblümt von Krieg. Der 56-jährige Geschäftsmann, der Finanzbuchhaltung studiert und an der Universität von Ouagadougou unterrichtet hat, sitzt auf seinem hellgrauen Ledersofa in seiner Villa im Stadtteil Zone de Bois. Ein junger Mann trägt große Koffer ins Haus. Komboïgo ist gerade von seiner Wahlkampftour zurückgekommen, in Gourcy und Ouahigouya, Hunderte Kilometer Autofahrt. Jetzt, bei seiner Rückkehr, warten zahlreiche Menschen auf ihn und wollen etwas. Eine Gruppe junger Leute vertröstet er auf den nächsten Tag.

In Burkina Faso sind die Kämpfer keine Rekruten von außerhalb. Sie sind Teil der Bevölkerung

Komboïgo mischt die Wahl auf. Er führt Compaorés Partei Kongress für Demokratie und Fortschritt (CDP), die jahrzehntelang praktisch die Alleinherrschaft ausübte. 2015, nach Compaorés Sturz, stellte sie keinen Kandidaten auf. Jetzt will sie mit Komboïgo zurück an die Macht. Seine Chancen stünden gut, findet er, würde Präsident Kaboré doch eine „katastrophale Bilanz“ vorweisen.

Das beherrschende Thema im Wahlkampf ist die Sicherheitslage. Komboïgo wirft dem Amtsinhaber vor, dass dieser in den vergangenen fünf Jahren keinerlei Anstrengungen unternommen habe, um in Erfahrung zu bringen, wer das Land angreift und wieso.

Er spricht sich für Dialog mit den Terrorgruppen auf: „Wie lassen sich sonst Geiseln befreien? Doch nicht etwa durch Waffengewalt.“ Tatsächlich wurden in Mali im März und Oktober nach Verhandlungen mit islamistischen Gruppen mehrere Geiseln freigelassen, die zum Teil in Burkina Faso entführt worden waren. Auf die Frage, worüber verhandelt werden soll, reagiert er verärgert: „Man muss erst einmal wissen, was sie überhaupt fordern.“

Einheimische Kämpfer mit kaum Perspektiven

Gespräche mit dem islamistischen Untergrund: Im Wahlkampf ist das die Kernfrage. Auch Diabré betonte kürzlich, dass mit Waffengewalt allein Terrorismus nie erfolgreich bekämpft wurde. Ein Dialog ist aus seiner Sicht unvermeidlich.

In Burkina Faso handelt es sich bei den Kämpfern nämlich nicht um Rekruten aus Nordafrika oder dem Nahen Osten, sondern um Einheimische oder allenfalls Malier. Sie sind Teil der Bevölkerung in einer Region, die kaum Perspektiven zu bieten hat und außerdem stark vom Klimawandel und der damit einhergehenden Verschlechterung der Lebensbedingungen betroffen ist.

Präsident Kaboré hat indes mehrfach gesagt, dass es unter ihm keine Deals geben werde. Sich nun anders zu positionieren, wäre das Eingeständnis einer falschen Strategie. Dabei klingt in Gesprächen in Ouagadougou immer wieder durch: Frieden und Sicherheit sind vielen Menschen wichtiger als starre Positionen. Ohnehin spielen Konsenslösungen in Burkina Fasos politischer Kultur eine wichtige Rolle.

Expräsident Compaoré hielt immer Gesprächsdrähte zu islamistischen Terrorgruppen und soll mit diesen mehrfach Abkommen geschlossen haben. Unter ihm galt Burkina Faso noch als stabil, als das benachbarte Mali ab 2012 längst gekippt war. Erst ab Ende 2015 nahmen die Anschläge massiv zu.

Zur Frage des Umgangs von Compaoré mit den Islamisten winkt Komboïgo allerdings ab: „Da wurde nichts unterzeichnet.“ Lediglich vor den Wahlen in Mali 2013 habe es ein Übereinkommen mit Tuareg-Gruppen gegeben. Doch sei es Compaoré gelungen, in Burkina Faso für Frieden zu sorgen, betont sein Nachfolger als Parteichef. Wie weit der in der Elfenbeinküste im Exil lebende Ex-Präsident noch als Strippenzieher bei der CDP fungiert, ist unklar. Komboïgo hält sich bedeckt und antwortet knapp: „Er erteilt Ratschläge.“

Gerüchte um Deals mit Islamisten

Ob es unter Kaboré tatsächlich keinerlei Gespräche zwischen Regierung und Islamisten gibt, ist fraglich. Ein Beobachter in Ouagadougou spricht von möglichen Nichtangriffspakten in der Nordregion Sahel, die an Mali und Niger grenzt. Nahe der dortigen Stadt Djibo lassen sich angeblich staatliche Sicherheitskräfte und mutmaßliche Terroristen in Ruhe. Welcher Gruppe diese angehören und ob sie überhaupt organisiert sind, ist aber nicht klar.

Ohnehin lassen sich viele Gerüchte nicht überprüfen. Anders als etwa in Niger hat es in den vergangenen Monaten allerdings keine Entführungen von Mitarbeiter*innen nichtstaatlicher Organisationen gegeben, dafür aber Angriffe auf die Armee. Ins Visier geraten sind auch als moderat bekannte Religionsvertreter wie der Imam von Djibo, dessen Leiche Mitte August wenige Tage nach seiner Entführung durch Bewaffnete gefunden wurde.

Dass sich die Sicherheitslage dringend verbessern muss, fordert auch Issa Diallo, Präsident der nationalen Kommission der Sprache der Peul (im anglophonen Westafrika als Fulani bekannt). „Alle Peul, die in ländlichen Regionen leben, fühlen sich derzeit terrorisiert. Sie schlafen schlecht oder gar nicht mehr“, sagt er. Angegriffen würde die ethnische Gruppe, die in der ganzen Region für ihren Viehbesitz bekannt ist, von staatlichen Sicherheitskräften.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet von Massakern in Djibo. Gefahr gehe außerdem von den Selbstverteidigungsmilizen aus, die sich in den vergangenen Jahren unter Angehörigen anderer Volksgruppen gegründet haben. Anfangs schützten sie bloß ihre Dörfer vor Überfällen, heute verfügen sie über landesweite Strukturen und den Segen der Regierung. Im Gespräch ist, ob sie am Sonntag rund um die Wahllokale für Sicherheit sorgen sollen.

Den Peul, sagt Diallo, machen die Milizen Angst. Dabei haben die Peul sich eines fest vorgenommen: Sie wollen wählen gehen, wo immer es geht. „Das wird das erste Mal in der Geschichte sein, dass sie in großer Zahl ihre Stimme abgeben“, ist sich Diallo sicher. Mehr als sonst haben im Vorfeld Wählerkarten beantragt. „Die Stimmabgabe ist schließlich die einzige Möglichkeit, die Situation im Land zu ändern.“

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