Bundestagspräsidentin über AfD-Verbot: „Dann muss man dieses scharfe Schwert ziehen“
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Gespräch über rechtsextreme Mitarbeiter im Bundestag und Verfassungsschutzerkenntnisse.
taz: Frau Bas, ist die Demokratie in Deutschland in ernsthafter Gefahr?
Bärbel Bas: Sie ist zumindest herausgefordert. Ob sie in Gefahr ist, das hängt von uns allen ab. Davon, was wir tun.
taz: Die AfD ist im Thüringer Landtag stärkste Kraft und hat eine Sperrminorität; bei der konstituierenden Sitzung hat sie gezeigt, wie sie die Demokratie ins Chaos stürzt, wenn man sie lässt. Was dachten Sie als Bundestagspräsidentin, als Sie davon erfuhren?
Bas: Ich war entsetzt. Aber die anderen Parteien haben gut reagiert. Der Vorgang zeigt aber auch, dass man sich im Vorfeld schützen muss. Man hätte das verhindern können. Vorschläge dafür lagen auf dem Tisch. Im Bundestag haben wir bereits in der vergangenen Legislatur die Geschäftsordnung geändert, eine umfassende Reform befindet sich aktuell in der Beratung.
56, ist Präsidentin des Bundestags. Die Sozialdemokratin aus Duisburg sitzt seit 2009 im Bundestag und hat eine Biografie, die dort inzwischen ungewöhnlich ist: Sie kommt aus einer Arbeiterfamilie und besuchte die Hauptschule.
taz: Eine Gruppe Bundestagsabgeordneter meint, das Bundesverfassungsgericht solle ein Verbot der AfD prüfen. Sie hat einen entsprechenden Antrag vorgelegt und will ihn in den Bundestag einbringen. Unterstützen Sie diesen Antrag?
Bas: Dazu brauchen wir zunächst gesicherte Beweise unserer Verfassungsschutzbehörden. In der aktuellen Diskussion gebe ich zu bedenken: Der Antrag muss eine Mehrheit im Bundestag finden. Und die Erfolgsaussichten eines Verbotsverfahrens müssen gesichert erscheinen. Ist beides nicht gewährleistet, tut man sich keinen Gefallen. Auch würde ich mir wünschen, dass der Bundestag ein solches Verfahren nicht allein, sondern möglichst gemeinsam mit Bundesregierung und Bundesrat anstrengt. So wie es bei der NPD der Fall war.
taz: Verfassungsschutzpräsident Haldenwang hat angekündigt, dass seine Behörde bis Ende des Jahres entscheidet, ob die AfD rechtsextremer Verdachtsfall bleibt oder als „erwiesen rechtsextrem“ hochgestuft wird. Nehmen wir an, letzteres ist der Fall. Steht dann die Abgeordnete Bärbel Bas hinter dem Antrag?
Bas: Wenn die Verfassungsschutzbehörden belastbare Beweise dafür vorlegen, dass eine Partei aktiv kämpferisch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgeht, gehe ich davon aus, dass der Bundestag einen solchen Verbotsantrag beschließen wird. Dann muss man dieses scharfe Schwert ziehen. Momentan würde ich eine Abstimmung nicht empfehlen, sondern zunächst die laufenden Prüfungen bis Ende des Jahres abwarten. Unabhängig davon müssen wir extremistischen Parteien egal welcher Couleur politisch das Wasser abgraben.
taz: Seit die AfD im Bundestag sitzt, sind die Debatten härter geworden, die Angriffe persönlicher. Es gibt Abgeordnete, häufig Frauen, die berichten von persönlichen Beschimpfungen. Fühlen Sie sich als Chefin dieses Hauses manchmal machtlos?
Bas: Es stimmt – insbesondere, wenn junge Frauen am Pult stehen, wird es oft lauter und es gibt Zwischenrufe. Wenn wir als Sitzungsleitung persönliche Angriffe und Diskriminierungen hören, sind wir aber nicht machtlos. Wir nutzen unsere Möglichkeiten, indem wir zur Ordnung rufen oder andere Maßnahmen ergreifen. Die Polarisierung wächst, die Ordnungsrufe steigen, übrigens auf allen Seiten.
taz: Wie entscheiden Sie, ob Sie eingreifen?
Bas: Ich bin keine Sprachpolizei. Es geht darum rauszuhören, ob jemand als Person angegriffen wird. Dann wird eingeschritten, sofort! Wenn jemand sagt, Sie haben hier ein Lügenmärchen aufgetischt, würde ich das nicht rügen. Aber wenn er mit dem Finger auf den Kollegen zeigt und sagt: Sie sind ein Lügner, dann schon. Bei bestimmten Wortschöpfungen braucht man Fingerspitzengefühl, das muss man im Zweifel zulassen. Manche Begriffe dürfen aber gar nicht benutzt werden.
taz: Welche?
Bas: Nazi ist ein Begriff, der in diesem Hause nichts zu suchen hat. Ganz allgemein werden Vergleiche zum Nationalsozialismus gerügt.
taz: Sie planen eine Änderung der Geschäftsordnung, auch um mehr Sanktionsmöglichkeiten zu haben. Aber nutzen höhere Ordnungsgelder etwas, wenn AfD-Abgeordnete solche Sanktionen wie Trophäen vor sich hertragen, wie Sie selbst einmal gesagt haben?
Bas: Ordnungsmaßnahmen machen nur Sinn, wenn es auch zu einer Verhaltensänderung kommt. Die hält oft aber nur 14 Tage. Deshalb schlagen wir vor, die Strafen erheblich zu verschärfen. Das Ordnungsgeld liegt derzeit bei 1.000 Euro, wir wollen hoch auf 2.000, im Wiederholungsfall auf 4.000 Euro. Und wenn jemand künftig innerhalb von drei Sitzungswochen dreimal einen Ordnungsruf bekommt, gibt es automatisch ein Ordnungsgeld.
taz: Ist das die maximale Sanktion?
Bas: Ich kann auch jemanden von der Sitzung ausschließen, aber das habe ich noch nie gemacht. Das ist die letzte Eskalationsstufe. Damit greife ich tief in das freie Mandat ein, weil dann auch eine Stimmabgabe grundsätzlich nicht möglich ist. Unsere Geschäftsordnung bedarf einer grundlegenden Reform, weil sie im Kern aus den 80er-Jahren ist und vieles nicht mehr der Praxis entspricht. Es geht aber auch um die Besetzung der Ausschussvorsitze oder die Wahl der Präsidiumsmitglieder. Ich halte es für dringend nötig, bis zum Ende des Jahres eine neue Geschäftsordnung zu verabschieden. Und dies mit möglichst breiter Mehrheit.
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taz: Sie sind als Präsidentin des Bundestags auch oberste Dienstherrin von 200 Bundestags-Polizisten und für die Sicherheit im Haus verantwortlich. Es gibt rechtsextreme AfD-Mitarbeiter, eine ehemalige Abgeordnete, die wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht steht, es gab den Aufruhr auf der Reichstagstreppe. Sie wollen deshalb ein eigenes Polizeigesetz für den Bundestag einführen und Mitarbeiter von Abgeordneten strenger überprüfen. Sie haben den Gesetzentwurf vor einem Jahr an die Fraktionen geschickt. Warum dauert das so lange?
Bas: Es ist ein Parlamentsgesetz und kann nicht von der Regierung, sondern muss aus der Mitte des Parlaments kommen. Der Entwurf liegt gerade bei den Innenpolitikern, die darüber beraten, wann der Entwurf offiziell eingebracht wird. Ich möchte mein Bundestagspolizeigesetz bis Ende des Jahres verabschiedet haben, weil es um die Sicherheit des Hauses geht. Außerdem habe ich den Fraktionen vor der Sommerpause konkrete Vorschläge zum Schutz des Parlaments vor verfassungsfeindlichen Einflüssen und Aktionen unterbreitet. Ich habe wenig Verständnis dafür, dass sich das hinzieht.
taz: Im Moment gibt es für Mitarbeiter von Abgeordneten, die einen Hausausweis für den Bundestag beantragen, nur eine allgemeine Zuverlässigkeitsprüfung mit Anfragen bei der Polizei und beim Bundeszentralregister. Künftig sollen auch Anfragen beim Verfassungsschutz möglich sein. Als Regel?
Bas: Nein. Wenn ein Mitarbeiter einen Bundestagsausweis beantragt, gibt es eine Abfrage in bestimmten Datenbanken der Polizei. Auf Erkenntnisse des Verfassungsschutzes darf ich bisher nicht zurückgreifen. Wenn ich im Einzelfall Hinweise darauf habe, dass von jemandem eine Gefahr für die Sicherheit des Hauses ausgehen könnte, hätte ich gern das Recht, beim Verfassungsschutz nachzufragen. Wenn ich dann feststelle, dass von dieser Person ein Sicherheitsrisiko für das Haus ausgeht, kann der Abgeordnete den Mitarbeiter allerdings trotzdem weiter beschäftigen.
taz: Aber er bekommt keinen Hausausweis für den Bundestag.
Bas: Ja, er bekommt keinen Zutritt, kann aber zu Hause arbeiten. Deshalb prüfen wir zusätzlich, ob wir insgesamt eine Zuverlässigkeitsüberprüfung für den Zugriff auf die Bundestag-IT einführen können. Es stellt sich dann weiterhin die Frage, ob in einem solchen Fall die Kostenerstattung für diese Mitarbeiter der Abgeordneten oder Fraktionen ausgeschlossen werden kann. Das ist rechtlich aber kompliziert. Zur Verbesserung des Geheimschutzes prüfen wir ebenfalls eine Ausweitung der Sicherheitsüberprüfung in bestimmten besonders sensiblen Bereichen.
taz: In den letzten Jahren haben Recherchen der taz gezeigt, dass es bei der Bundestagspolizei mehrfach zu rechtsextremen Vorfällen gekommen ist. Ist es gut, deren Befugnisse noch auszuweiten?
Bas: Es geht in erster Linie darum, die Befugnisse endlich auf eine klarere gesetzliche Rechtsgrundlage zu stellen. Artikel 40 Grundgesetz besagt: Die Präsidentin übt das Hausrecht und die Polizeigewalt in den Gebäuden des Bundestages aus. Das ist sehr abstrakt. Deshalb verstehe ich den Wunsch meiner Polizeibeamten, dass sie mehr Rechtssicherheit bekommen. Davon würden übrigens auch die profitieren, die von den polizeilichen Maßnahmen betroffen wären.
taz: Aber in ihrem Entwurf steht zum Beispiel, dass die Bundestagspolizei selbst Wohnungen durchsuchen, Telekommunikation auswerten können soll.
Bas: Zunächst: Die Zuständigkeit der Bundestagspolizei soll außerhalb der Gebäude des Bundestages nur sehr begrenzt erweitert werden. Es geht nur in wenigen Fallgestaltungen um eine Angleichung der Befugnisse mit anderen Polizeibehörden. So ist zum Beispiel bei einer Wohnungsdurchsuchung auch für die Bundestagspolizei entsprechend der verfassungsrechtlichen Vorgaben ein Richtervorbehalt vorgesehen.
taz: Und die rechtsextremen Vorfälle?
Bas: Sie sprechen Vorwürfe an, die vor meiner Zeit als Präsidentin lagen. Denen wurde nachgegangen. Es gab auch Disziplinarverfahren. Zudem haben wir organisatorische Änderungen vorgenommen: Es gibt jetzt eine eigene Unterabteilung für die Sicherheit. Auch das gewährleistet nicht zu 100 Prozent, dass wirklich alle fest auf dem Boden der Verfassung stehen. Aber mir ist wichtig, dass nichts unter den Tisch gekehrt wird und wir als Hausleitung klar machen, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht akzeptiert und konsequent geahndet werden. Ich bin für jeden Hinweis dankbar. Und wir gehen dem dann nach. Gleichzeitig stelle ich mich vor die Kolleginnen und Kollegen und sage: Wir können stolz auf unsere Polizei sein, sie schützt das Zentrum unserer Demokratie.
taz: Bei unseren Recherchen zeigte sich als ein Problem, dass Polizei und Präsidentin weit voneinander entfernt sind.
Bas: Als ich zu Besuch in der Leitstelle war, sagte mir eine Beamtin, es sei das erste Mal, dass ein Präsident vorbeikommt. Ich bin immer mit der Leitung im Gespräch und freue mich, wenn ich auf dem Flur von Beamten angesprochen werde.
taz: Frau Bas, Sie sind erst die dritte Präsidentin des Deutschen Bundestags. Der Bundestag hat ein neues Wahlrecht verabschiedet, Parität spielt dabei keine Rolle. War das der Preis, um überhaupt eine Reform hinzubekommen?
Bas: Wer die inneren Verhältnisse dieser Ampel kennt, weiß, dass es für die Parität keine Mehrheit gab. Es war schwierig genug, das Wahlrecht so zu verändern, dass wir auf eine Begrenzung von 630 Abgeordneten kommen. Mit der Parität oder einer Ausweitung der Legislatur auf fünf Jahre hätten wir die Wahlrechtsreform überfrachtet. Aber ich freue mich, dass die Initiative „Parität jetzt“ ihre Vorschläge gemacht hat.
taz: Die Initiative, bei der auch Ihre Vorgängerin Rita Süssmuth dabei ist, hat Ihnen Anfang Oktober Forderungen übergeben. Alle Zweitstimmensitze sollten demnach paritätisch vergeben werden. Halten Sie das für machbar?
Bas: Den Vorschlag haben Juristinnen erarbeitet, ich gehe davon aus, dass das sauber geprüft worden ist. Es gab ein Urteil, das sagt, wir dürfen den Parteien Parität nicht vorschreiben. Aber es gibt in vielen EU-Mitgliedstaaten Paritätsgesetze, warum nicht auch bei uns.
taz: Nach der nächsten Bundestagswahl könnten noch weniger Frauen im Bundestag sitzen: AfD und BSW halten nichts von Parität, SPD und Grüne werden möglicherweise schlechter abschneiden als beim letzten Mal, auch das neue Wahlrecht könnte dazu führen, dass mehr Männer um die weniger werdenden Mandate rangeln.
Bas: Es ist schlimm genug, dass wir seit 20 Jahren bei etwa 36 Prozent Frauenanteil im Bundestag festhängen. Das ist kein gutes Zeichen für dieses Parlament und die Gleichstellung in diesem Land. Wir machen Politik, die sehr stark an Männern ausgerichtet ist. Ich bin den Parteien dankbar, die freiwillig auf ihren Landeslisten Reißverschlussverfahren praktizieren. Und ich hoffe, dass viele Frauen in ihren Wahlkreisen direkt gewählt werden. Aber die Befürchtung liegt nahe, dass die Quote schlechter wird, wenn wir kein Paritätsgesetz machen.
taz: Friedrich Merz hat gerade gesagt, was er von Parität hält – ausgesprochen wenig. Es ging um das Kabinett, er sprach von Fehlbesetzungen. Das ging gegen die ehemalige SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Merz meint, mit Parität tue man auch den Frauen keinen Gefallen.
Bas: (atmet hörbar aus) Frauen können schon selbst entscheiden, womit man ihnen einen Gefallen tut. Als einige männliche Kollegen im Kabinett gescheitert sind, hat niemand gefragt, ob man damit den Männern insgesamt einen Gefallen tue. Es gibt Studien zur Parität, auch in Unternehmen, die zeigen, dass sie sich positiv auswirkt, es den Firmen auch wirtschaftlich besser geht. Es wird immer Männer und Frauen geben, die in ihren Ämtern scheitern. Aber das hat mit dem Geschlecht nichts zu tun.
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