Bundestag über sichere Herkunftsstaaten: Viel Empörung, wenig Heiterkeit
Der Bundestag hat für die Einstufung Marokkos, Tunesiens und Algeriens als sichere Herkunftsländer gestimmt. Es geht um Abschreckung.
Bundesinnenminister Thomas de Maiziére (CDU), der zuerst das Wort ergriff, machte in seiner Begründung deutlich, dass es der Regierung mit dem Gesetz primär darum gehe, „die Anreize zu senken, hier einen erfolglosen Asylantrag zu stellen.“ Schon allein die Diskussion über das Gesetz habe im Vorfeld zu einem spürbaren Rückgang von Flüchtlingen aus diesen Ländern geführt. Im Januar waren noch 3.000 Asylsuchende aus Tunesien, Marokko und Algerien registriert, einen Monat später sank deren Zahl auf 500. Nicht einmal ein Prozent der Anträge ist erfolgreich.
Sowohl Linke als auch Grüne machten darauf aufmerksam, dass in allen drei Ländern Homosexualität unter Strafe steht, dass alle drei Staaten an der Todesstrafe festhalten und Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt sind.
Diese Argumente, die auch Pro Asyl, Amnesty International und die Kirchen zur Ablehnung des Vorhabens bewogen haben, bemühte sich de Maiziére gleich zu Beginn seiner Rede zu entkräften: „Durch die abstrakte Androhung der Todesstrafe und die abstrakte Strafbarkeit von Homosexualität allein ergibt sich noch kein Asylgrund.“
Gelächter im Bundestag
Nur kurz schlug die Empörung in den Oppositionbänken in Heiterkeit um, als der Innenminister sich auf außenpolitisches Glatteis begab: „Die drei Länder selbst wollen ja als sichere Herkunftsländer eingestuft werden.“ Hohngelächter schallte ihm entgegen, denn vermutlich wären auch Nordkorea, China und Russland für das Prädikat „sicheres Herkunftsland“ dankbar.
Die innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, warf der Regierung denn auch vor, die Regierungen in den sogenannten sicheren Herkunftsländern zu Menschenrechtsverletzungen zu ermutigen.
Neben den außenpolitischen Rauchzeichen senden Union und SPD mit dem Gesetzentwurf auch Signale nach innen, wie der innenpolitische Sprecher der SPD Burkhard Lischka deutlich machte: Wer die Aufnahmebereitschaft erhalten wolle, dürfe sie nicht überstrapazieren. „Begrenzung und klare Regeln sorgen für Akzeptanz, sonst überlassen wir das Feld den Rechtspopulisten.“
Die Regierung hatte das Gesetz gleich nach den Übergriffen auf Frauen in der Sylvesternacht in Köln erarbeiten lassen, bei denen vor allem Männer aus Nordafrika als Tatverdächtige angezeigt worden waren.
Grüne sind das Zünglein an der Waage
Im Übrigen versicherten die Redner von Union und SPD, dass sich ja nichts ändere: Wer Tatsachen vorbringen könne, dass er oder sie politisch verfolgt werde, bekomme weiterhin Asyl.
Nur dass eben die umgekehrte Beweislast gilt, wie Luise Amtsberg, Sprecherin für Flüchtlingspolitik bei den Grünen deutlich macht: Es werde schwieriger sein, Verfolgung glaubhaft nachzuweisen, wenn von der Vermutung einer sicheren Situation ausgegangen werde.
Die Grünen sind in einer verzwickten Lage. Im Bundestag lehnen sie eine weitere Aushöhlung des Asylrechts ab, doch in der Länderkammer, dem Bundesrat, werden die Stimmen der Grünen im Juni vermutlich dafür sorgen, dass das Gesetz durchkommt.
Die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg hat sich bereits per Koalitionsvertrag darauf geeinigt, die Erweiterung des Kreises der sicheren Herkunftsstaaten zu unterstützen und Hessen, wo die Grünen als Juniorpartner der CDU regieren, scheint ebenfalls kompromissbereit.
Der Linksparteiabgeordnete Andrej Hunko appellierte daher vor allem an die Grünen: „Wir diskutieren hier, aber es steht ohnehin alles fest. Im Bundesrat hätten wir die Möglichkeit, dieses Gesetz noch zu stoppen.“
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