Bundestag beschließt Sicherheitspaket: Die Ampel steht
Trotz einiger Abweichler*innen passiert das umstrittene Sicherheitspaket den Bundestag. Doch der Bundesrat verweigert ihm teilweise die Zustimmung.
Weil CDU und AfD auf namentliche Voten gepocht hatten, liefen die Abgeordneten an diesem Vormittag wie im Staffellauf an die Urne und zurück. Trotz vereinzelter Nein-Stimmen und Enthaltungen aus allen drei Ampel-Fraktionen reichte es letztlich für das Sicherheitspaket. Von den Entschließungsanträgen der Opposition, eine Form des Protests zum Gesetzentwurf, fand keiner eine Mehrheit.
Zu Beginn der Debatte ergriff Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das Wort. Sie bedankte sich für die gute Zusammenarbeit in der Ampel, dann richtete sie ihr Wort an die größte Oppositionsfraktion: „Auch die Konservativen unter Ihnen haben heute die Möglichkeit einen wichtigen Fortschritt in der inneren Sicherheit zu beschließen.“
Nach dem Terrorangriff in Solingen mit mehreren Toten erwarte man zu Recht, dass ausländische Straftäter schneller abgeschoben würden, so Faeser. Dabei bliebe das individuelle Recht auf Asyl unverhandelbar. Auch Präventionsprojekten gegen Radikalisierung würden unterstützt. Wo es für Prävention zu spät sei, seien die Maßnahmen im Sicherheitspaket die richtige Antwort.
Aufruhr in der SPD
Das Sicherheitspaket vereint Verschärfung des Waffen-, Asyl- und Migrationsrechts. Zum einen sollen sogenannte Dublin-Geflüchtete in Deutschland keine Sozialleistungen mehr erhalten, sobald klar ist, dass sie in das Land zurück können, das für ihren Asylantrag zuständig ist. Zweitens soll das Waffenrecht verschärft werden, unter anderem mit Messerverbotszonen. Drittens erhalten Sicherheitsbehörden mehr Befugnisse. Geplant sind anlasslose Kontrollen zur Durchsetzung von Messerverboten. Zudem sollen Behörden bei schweren Straftaten eingeschränkt biometrische Daten wie die Gesichtserkennung nutzen dürfen.
Gerade die asylpolitischen Verschärfungen waren bei SPD und Grünen heftig umstritten. Die SPD-Abgeordnete Annika Klose hatte noch am Morgen der Abstimmung im Deutschlandfunk ihr „Nein“ bekräftigt. Ihr Fraktionskollege Hakan Demir schrieb später auf Instragram, das Gesetz verknüpfe „in ungekannter Weise originär sicherheitspolitische Anliegen mit asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen“. Diese trügen „in keiner Weise“ zu mehr Sicherheit bei.
Schon Ende September hatten 35 SPD-Abgeordnete ihre harsche Kritik an dem Vorhaben öffentlich gemacht. Eine Probeabstimmung in der Fraktion soll in einer indirekten Drohung des Kanzlers mit der Vertrauensfrage geendet sein, berichteten einige Medien – die Fraktion bestreitet das. Unmut gab es auch in Teilen der Grünen- und FDP-Fraktion. Da das Paket der Union nicht weit genug geht, brauchte die Ampel die eigene Mehrheit. Für diese reichte es letztlich trotz einiger Abweichler*innen.
Der grüne Vize-Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz unterstrich in seiner Rede im Plenum, es habe „harsche parlamentarische Verhandlungen“ gebraucht, damit das Gesetz auch in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen könne. Geflüchtete würden bei einem ablehnenden Bescheid nicht etwa in die Obdachlosigkeit gedrängt. Laut Gesetz ist eine Übergangsfrist von zwei Wochen vorgesehen, zudem muss die Überstellung auch rechtlich und tatsächlich möglich sein.
FDP will mehr
FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle betonte, die biometrische Gesichtserkennung und die automatisierte Datenanalyse seien schwere Eingriffe ins Grundrecht. Bevor nicht geklärt sei, wie neue technische Befugnisse grundrechtschonend nutzbar sind, könne man diese nur in Ausnahmen verwenden.
Gesellschaft für Freiheitsrechte
Je mehr sich Ampel und Union beim Thema Migration zerstritten, desto mehr profitierten die, die das Problem gar nicht lösen wollten, so Kuhle mit Blick auf die AfD. Und kritisiert das Sicherheitspaket dann selbst: Dieses sei nicht genug, die Maßnahmen müssten noch weiter gehen. Ebenso äußerte sich später der Bundesjustizminister: Er begrüße das Sicherheitspaket, sagte Marco Buschmann (FDP). Klar sei aber auch: „Es bleibt noch viel zu tun. Weitere Schritte müssen folgen, etwa die Ausweitung von Leistungskürzungen und von sicheren Herkunftsstaaten.“
Unions-Fraktionsvize Andrea Lindholz (CDU) bemängelte, Faeser habe das ohnehin zu kleine Sicherheitspaket zu einem „Mini-Päckchen“ zusammengeschrumpft. Die wenigen Änderungen seien im parlamentarischen Verfahren so abgeschwächt worden, dass es wirkungslos sei und dem Thema innere Sicherheit nicht gerecht werde. „Sie haben heute nichts vorgelegt“, so Lindholz. Dirk Wiese (SPD) entgegnete, der aktuelle Entwurf sei „völlig vertretbar“ und ein „Kompromiss für Humanität und Ordnung“.
Ganz anders sehen das Vertreter*innen der Zivilgesellschaft. Tareq Alaows von Pro Asyl zeigte sich erschüttert, „dass Verfassungsverstöße im Bundestag mit einer solchen Selbstverständlichkeit verabschiedet werden“. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) macht sich derweil auf Arbeit gefasst: „Unrechtmäßige Eingriffe in Grund- und Menschenrechte“ könne man dann „nur noch vor Gericht“ stoppen. „Der Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gilt für alle Menschen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus“, erklärte GFF-Anwältin Sarah Lincoln.
Vorbei ist der Streit um das Sicherheitspaket damit nicht. Nach den Abstimmungen im Bundesrat standen die zustimmungspflichtigen Teile des Gesetzes auch gleich auf der Tagesordnung des Bundesrats – der es teilweise gestoppt hat. Das Gesetz mit den Regelungen zu Leistungen für Asylbewerber und Messerverboten ließ die Länderkammer passieren. Das Gesetz zu mehr Möglichkeiten für die Sicherheitsbehörden jedoch bekam in der Länderkammer in Berlin nicht die erforderliche Mehrheit.
Bundestag und Bundesregierung können dazu nun den Vermittlungsausschuss anrufen. Innenministerin Faeser nannte die Ablehnung durch die unionsgeführten Länder „völlig unverständlich und verantwortungslos“.Die Union halte damit Gesetzesänderungen auf, „die es ermöglichen, durch Gesichtserkennung Terrorverdächtige, Mörder und Vergewaltiger zu identifizieren und zu lokalisieren“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung