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Bundeskanzler in der TürkeiMerz-Bube für Erdoğan

Bundeskanzler Merz reist mit 20 Eurofightern nach Ankara und spricht über Migration. Erdoğans Kritik an der deutschen Israel-Politik lässt er abperlen.

Der türkische Präsident Tayyip Erdogan (r.) und der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz am 30. Oktober 2025 in Ankara, Türkei Foto: Umit Bektas/reuters
Jürgen Gottschlich

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Jürgen Gottschlich aus Istanbul

Kein Weg führt vorbei an der Türkei, glaubt man Friedrich Merz. „Lassen Sie uns das Potenzial unserer Beziehungen ausschöpfen. Da ist viel mehr drin, als bislang realisiert wird.“ So euphorisch beschrieb der Bundeskanzler im Anschluss an sein Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan seine Absichten für eine neue Türkeipolitik. Auch gravierende Meinungsunterschiede vor allem gegenüber Israel brachten Merz bei seinem Antrittsbesuch in Ankara an diesem Donnerstag nicht von seinem Flirt mit Erdoğan ab.

Schon zuvor hatte Merz angekündigt, dass er die lange Phase der gegenseitigen Vorwürfe zwischen Deutschland und der Türkei beenden und zum beiderseitigen Nutzen einen Neuanfang wagen will. Angefangen bei gemeinsamen Anstrengungen zur Beendigung der Kriege in Gaza und in der Ukraine bis hin zu einem neuen Anlauf, die Türkei wieder näher an die EU heranzuführen. Erdoğan begrüßte diese Vorhaben ausdrücklich, konzentrierte sich in seinem Statement aber vor allem auf die Situation in Gaza. Er verurteilte erneut den „Völkermord“ Israels an den Palästinensern und forderte Merz auf, die gemeinsamen Anstrengungen, jetzt endlich genügend Hilfsmittel in den Gazastreifen zu bringen, zu verstärken. „Unser Roter Halbmond wird immer noch daran gehindert“, sagte er.

Merz ging auf die Vorwürfe zunächst nicht ein, sondern betonte stattdessen, er wolle sich auch für einen neuen strategischen Dialog zwischen der Türkei und der EU stark machen und darauf drängen, dass die Türkei in die europäischen Aufrüstungsbemühungen mit einbezogen werde. „Die jetzt vereinbarten Lieferungen von 20 Eurofightern an die Türkei sind erst ein Anfang. Ich gehe davon aus, dass diese Eurofighter für unsere gemeinsame Sicherheit eingesetzt werden.“

Doch auch unter Merz ändern sich die grundsätzlichen Probleme zwischen der Türkei, Deutschland und der EU nicht, was deutlich wurde, als Erdoğan in der Fragerunde darauf angesprochen wurde, wann und wie denn sein Land die Kopenhagener Kriterien einhalten würde, in denen unter anderem Demokratie und Rechtsstaatlichkeit festgeschrieben sind.

Migration statt Rechtsstaat

Erdoğan antwortete darauf etwas patzig, die Türkei habe ihre eigenen „Ankara-Kriterien“ und sehe sich selbstverständlich als vorbildliche Demokratie und voll ausgebauter Rechtsstaat. Als er daraufhin von einem Journalisten auf die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu angesprochen wurde, sagte er: Die Gesetze seinen in der Türkei für alle Menschen gleichermaßen gültig und die Justiz müsse natürlich Korruptionsvorwürfen nachgehen.

Merz waren die Fragen nach Demokratie, Rechtsstaat und den Verhaftungen von Oppositionspolitikern sichtlich unangenehm. Er ging nicht darauf ein und machte deutlich, dass er andere Prioritäten hat. Er zeigte sich zufrieden darüber, dass in den Migrationsfragen Fortschritte erzielt worden seien. Die Zahl der Abschiebungen von zur Ausreise verpflichteter Türken habe erheblich zugenommen und das werde in den kommenden Wochen und Monaten noch gesteigert werden, versprach er.

Nur an einer Stelle kam es zu einem offenen Disput. Als Merz Fragen türkischer Journalisten nach dem „Völkermord in Gaza“ routiniert abwehrte und erneut beschrieb, dass Deutschland natürlich an der Seite Israels stehe, meldete sich Erdoğan von sich aus, ohne gefragt worden zu sein, noch einmal und sagte, er müsse dem Bundeskanzler an diesem Punkt widersprechen. Angesichts von mehr als 60.000 Toten, darunter sehr vieler Kinder, könne man nicht mehr von Selbstverteidigung Israels sprechen. „Seht ihr das in Deutschland nicht?“, fragte er den Kanzler. Israel wolle die Palästinenser züchtigen und verweigere der Bevölkerung sogar die Nahrung. Wenigstens dagegen solle Deutschland mehr tun.

Am Ende zeigten sich trotz der Differenzen beide Seiten zufrieden. Am Abend war Merz gemeinsam mit seiner Frau noch zu einem Abendessen bei Herrn und Frau Erdoğan im Palast in Ankara eingeladen. Die Einladung an Charlotte Merz, ihren Mann doch bei dem Besuch in Ankara zu begleiten, soll von Emine Erdoğan ausgegangen sein. So viel familiäre Gemeinsamkeit gab es bislang zwischen keiner Kanzlerin oder keinem Kanzler mit dem Präsidentenpaar in Ankara.

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