Bundeskabinett beschließt Kohleausstieg: Der Nutzen fürs Klima ist unklar
Das Bundeskabinett bringt das Gesetz zum Kohleausstieg ins Parlament ein. Im Entwurf ist alles geregelt – nur nicht, wie viel CO2 eingespart wird.

Uneinigkeit gab es nur im Detail: Das Gesetz werde die deutschen CO2-Emissionen um ein Drittel senken, so Altmaier. Bei Schulze dagegen ist das nur ein Viertel. Kein großer Dissens – aber so detailreich der Gesetzentwurf von 202 Seiten den Ausstieg regelt, so wenig sagt er darüber, wie sehr das Gesetzeswerk tatsächlich dem Klima nutzt.
Denn bei der CO2-Reduktion lässt das Gesetz Fragen offen. So wird etwa der Beschluss der „Kohlekommission“ nicht umgesetzt, dass 2025 zusätzlich 10 Millionen Tonnen eingespart werden sollten. Jetzt sind das laut Umweltschützern nur 2,5 Millionen Tonnen, der Rest kommt später. Weil die Braunkohle später und in zwei großen Schüben auslaufe, entstünden 40 Millionen Tonnen mehr CO2 als nötig, hatte schon letzte Woche der Energieexperte des Öko-Instituts, Felix Matthes, berechnet. Und in der zentralen Frage, wie viel weniger CO2 insgesamt tatsächlich ausgestoßen wird, gibt es weiterhin nur Rätselraten. Die Regelung wird nach Ansicht von Experten zwar dazu führen, dass Deutschland seine nationalen Ziele 2030 beim Klimaschutz erreicht. Ob aber in Europa die gleiche Menge an Emissions-Zertifikaten stillgelegt werden und damit tatsächlich die Atmosphäre entlastet wird, ist unklar.
Die Regierung gibt das auch offen zu. Die Zertifikate, die nach dem Abschalten der Kraftwerke frei werden, sollen gelöscht werden, damit nicht anderswo in Europa damit CO2 freigesetzt wird. „Gleichzeitig kann der Umfang einer solchen Löschung heute nicht konkretisiert werden“, weil die Menge der freiwerdenden Zertifikate „im Vorhinein nicht jahresscharf beziffert werden kann“, heißt es offiziell vom Wirtschaftsministerium. Ein Teil – schätzungsweise 20 bis 30 Prozent – der Zertifikate sollen in der „Marktstabilitätsreserve“ (MSR) geparkt werden und sind damit bis 2030 vom Markt. Wie viel CO2-Reduktion und damit weniger Zertifikate die Abschaltungen dann wirklich bringen, sollen später zwei Gutachten klären. Legt die Regierung dabei zu wenig Zertifikate still, könnte das in Deutschland vermiedene CO2 in anderen EU-Ländern entstehen.
„Ende Gelände“-Proteste im August
Diese Unsicherheit über den tatsächlichen Klimanutzen des Gesetzes ist vielen Umweltverbänden ein Dorn im Auge. Der BUND spricht von einem „herben Rückschlag“, Greenpeace erklärt, es „blamiere Deutschland“, weil man sich von Westeuropa verabschiede, wo die Länder früher aus der Kohle aussteigen. Allgemein monieren die Vertreter der Umweltseite in der „Kohlekommission“, die Regierung habe die Beschlüsse der Kommission zur CO2-Reduktion nicht genügend umgesetzt. Die Aktionsplattform „Ende Gelände“ rief zu massenhaftem Protest auf: Im Mai am neuen Kohlekraftwerk Datteln 4, im August im Rheinland.
Brigitte Knopf, Mercator-Institut (MCC)
„Der Beitrag dieses Ausstiegsgesetzes zum Klimaschutz ist weiterhin nicht klar“, sagt auch Brigitte Knopf, Expertin des Mercator-Instituts (MCC). Dazu komme: Der eigentliche Kohleausstieg erfolgt erst nach 2030 – dann aber könnten die Zertifikate aus der MSR europaweit wieder auf den Markt kommen und für mehr Emissionen sorgen. Deshalb sei es schwer, jetzt zu sagen, welche Menge an Zertifikaten stillzulegen sei.
Allerdings erwarten alle Experten, dass die EU ihre Klimaziele für 2030 verschärft – und dafür vor allem die Anzahl der möglichen Zertifikate im Emissionshandel verringert. Die wahrscheinliche Folge: Der Preis steigt, Kohlekraftwerke werden unrentabel und gehen vom Netz. Dann gäbe es Abschaltungen der Kraftwerke, ohne dass die Unternehmen entschädigt würden. Das Ausstiegs-Gesetz sieht dagegen vor, dass insgesamt 4,35 Milliarden Euro an Entschädigung für die Unternehmen gezahlt werden. „Wenn man auf schärfere EU-Ziele 2030 setzt, die über den Emissionshandel umgesetzt werden, dann ist die jetzige Entschädigung schwer zu erklären“, sagt Knopf. „Das ist sehr günstig für die Unternehmen und sehr teuer für den Steuerzahler.“
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