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Bundesaufnahmeprogramm AfghanistanNGOs verteilen keine Visa an Menschen aus Afghanistan

Gastkommentar von Martin Sökefeld

Oft heißt es, Nichtregierungsorganisationen würden entscheiden, welche Af­ghan:in­nen nach Deutschland kommen dürfen. Das ist falsch, sagt Martin Sökefeld.

Flughafen Halle/Leipzig, April 2025: Ehemalige Ortskräfte aus Afghanistan sind in Deutschland gelandet Foto: Hendrik Schmidt/dpa

V onseiten der Union und der Springer-Presse heißt es immer wieder, Nichtregierungsorganisationen (NGO) hätten Af­gha­n*in­nen für das Bundesaufnahmeprogramm (BAP) ausgewählt. Das klingt fast so, als hätten NGOs freigiebig Visa für Deutschland verteilt. Gerade sagte Thorsten Frei, designierter Kanzleramtsminister, im Interview mit dem Spiegel: „Wir halten nichts davon, dass Menschen, die überhaupt keinen Bezug zu Deutschland haben, von Nichtregierungsorganisationen für eine Einreise ausgewählt werden.“

Man muss es immer wieder klarstellen: NGOs waren nur die erste Anlaufstelle, wo sich gefährdete Menschen aus Afghanistan, die nach der Machtübernahme der Taliban dringend das Land verlassen mussten, melden konnten. NGOs, die sogenannten „meldeberechtigten Stellen“, prüften deren Gefährdung auf Plausibilität und stellten Dossiers zusammen, die dann an die vom Bundesinnenministerium (BMI) eingerichtete BAP-Koordinierungsstelle weitergegeben wurden. Die eigentliche Auswahl und erst recht die Visa-Verfahren führten Behörden durch.

Martin Sökefeld

ist Professor am Institut für Ethnologie der Ludwig-Maxi­milians-Universität München.

Mit neoliberalem Vokabular könnte man das als Public-Private-Partnership (PPP) bezeichnen. Tatsächlich hat das BMI Aufgaben outgesourct und spart sich die mühevolle Detailarbeit mit den gefährdeten Af­gha­n*in­nen. Die Union ist ja PPP-Fan, beispielsweise beim Autobahnbau, selbst wenn die Kosten regelmäßig explodieren.

Und hier liegt der entscheidende Unterschied zum BAP: Die NGOs haben die Arbeit für das BMI kostenlos getan. Dafür, dass sie Gefährdungslagen und Biografien überprüften, Unterlagen zusammenstellten, die „Fälle“ in tagelanger Kleinarbeit aufbereiteten, bekamen sie von der Regierung keinen einzigen Cent. Finanziert wurde das aus Eigenmitteln der Organisationen, letztlich aus Spenden. Durch die NGO-Arbeit hat die Bundesregierung also jede Menge Geld gespart. Das sollte anerkannt werden.

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Übrigens haben die meldeberechtigten Stellen auch viele Af­gha­n*in­nen abgewiesen, deren Gefährdungslage nicht eindeutig genug belegt werden konnte.

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6 Kommentare

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  • thruttig.wordpress...anistan-endgultig/



    Hier jemand, der sich besser auskennt :



    die endgültigen Visa für D bekommen die Afghanen, die in Pakistan darauf warten, wohl erst kurz vor dem Abflug.



    Die meisten jetzt garnicht mehr.



    Was für ein unwürdiges Spektakel, besonders für die Frauen...dabei hatte man sich doch so über die zu vielen jungen Männer beklagt. Lesen : My Dear Kabul... von afgh. Frauen.

  • Leider haben die NGOs als meldeberechtigte Stellen ihre Arbeit wenig überzeugend erledigt, wenn man sich anschaut, welche Personen als "gefährdet" angesehen und ausgeflogen werden sollten. Unter anderem Personen, die als "Scharia-Richter" in Afghanistan tätig waren und daher eher den Taliban als ihren Gegnern zuzurechnen sind. Dazu kommen hunderte Personen, deren Dokumente offensichtlich gefälscht waren. Bedenken der Bundespolizei wurden vom Auswärtigen Amt vom Tisch gewischt, weil die Aufnahme politisch erwünscht war. Möglicherweise waren auch nur die NGOs so gut gelitten, dass man denen nicht in die Suppe spucken wollte.

    Und auf Frage an die Bundesregierung, wer denn diese NGOs seien, die die Vorauswahl getroffen hätten, wird gemauert und sich auf "Sicherheitsgründe zurückgezogen", um eine Auskunft zu verweigern.

    Wo ist Transparenz, wenn sie gebraucht wird?

  • "Das klingt fast so, als hätten NGOs freigiebig Visa für Deutschland verteilt."

    Nein, das klingt nicht so. Das klingt nach "Die NGO's haben eine Vorauswahl getroffen".

    Nur geht mit dieser Vorauswahl halt auch einher, wer letzten Endes zumindest eine Chance hatte, nach Deutschland zu kommen. Problematisch ist daran, dass diese Vorauswahl im Falle einer negativen Entscheidung gerichtlich nicht überprüft werden kann - nur das ist halt ein ganz anderes Thema (wobei sich die Frage stellt, ob es überhaupt negative Entscheidungen gegeben hat oder nicht).

  • Die Überschrift ist etwas irreführend. "NGOs verteilen keine Visa an Menschen aus Afghanistan" = NGOs verweigern Afghanen die Visa. Hier sollte vermutlich stehen, "NGOs verteilen nicht Visa an Menschen aus Afghanistan"

  • Woher hat Herr Sökefeld seine Informationen ?



    Die AfD wollte mittels einer Bundestagsanfrage erfahren, wie das mit der Verteilung der Visa von statten geht und erhielt keine Auskunft der Regierung, weil das als geheim einzustufen sei.

  • Wer hat denn behauptet, dass NGOs Visa verteilen? Die zitierten Medien und das Unions-Personal zumindest nicht.

    Es wird eine Behauptung widerlegt, die niemand geäußert hat.