Bulgarien nach den Parlamentswahlen: Expertenregierung oder Neuwahlen?

Trotz Einbußen wird die Partei von Ministerpräsident Borissow in Bulgarien stärkste Kraft. Die Regierungsbildung scheint schon jetzt ausweglos.

Mann im Anzug an einem Rednerpult

Will sich weiter an der Macht halten: Bulgariens Ministerpräsident Borissow, hier 2019 in München Foto: Sina Schuldt/dpa

BERLIN taz | Es ist ein Sieg mit bitterem Beigeschmack: Bei der Parlamentswahl in Bulgarien am vergangenen Sonntag ist die konservative Regierungspartei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) von Ministerpräsident Bojko Borissow zwar erneut stärkste Kraft geworden. Laut Angaben der Zentralen Wahlkommission kam GERB nach Auszählung von knapp 81 Prozent der Wählerstimmen jedoch nur auf 25,8 Prozent und erreichte sieben Prozent weniger als bei der Wahl 2017.

Überraschend auf dem zweiten Platz landete die erst 2020 gegründete Anti-Establishment-Partei „Ima takyv narod“ (So ein Volk gibt es) des Musikers und Showmasters Stanislaw („Slavi“) Trifonow. Sie erreichte auf Anhieb 18,4 Prozent. Trifonow konnte vor allem GERB, der BSP, aber auch dem nationalistischen Lager Stimmen abnehmen. Vor allem punktete er bei der jüngeren Generation sowie den im Ausland lebenden Bulgar*innen.

Einen regelrechten Absturz legten die Sozialisten (BSP) hin, die in rechten Gewässern gefischt hatten. Sie verbuchten nur noch 14,9 Prozent (27 Prozent im Jahr 2017).

Erstmals zieht „Demokratisches Bulgarien“ (DB) in das Parlament ein. Das Bündnis hat sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben und erreichte 10,3 Prozent. In der neuen Volksversammlung vertreten sind auch die „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS, 9,5 Prozent), die die türkische Minderheit vertritt, sowie die Bürgerplattform „Izpravi se Bulgaria – Mutri vyn!“ (Räume auf Bulgarien – Mafia raus) der Ex-Abgeordneten und Ombudsfrau Bulgariens Maja Manalowa mit 4,8 Prozent.

Tzwetosar Tomow, Soziologe

„Borissows politische Karriere ist zu Ende, alles andere eine Qual“

Die nationalistische Partei VRMO scheiterte an der Vierprozenthürde. Sie hatte in bewährter Manier auf Hetze gegen Roma und Homosexuelle gesetzt. Maßgeblich auf das Konto der VRMO geht auch das Veto, das Sofia im vergangenen Jahr gegen die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Nord-Mazedonien einlegte. Die Wahlbeteiligung lag bei 48 Prozent.

Korruption lähmt das Land

Das extrem fragmentierte Parlament mit mehreren neuen Parteien gehört zu den Nachwehen der Proteste vom vergangenen Sommer. Wochenlang waren Zehntausende auf die Straßen gegangen, um gegen Korruption in höchsten Regierungskreisen und Vetternwirtschaft zu demonstrieren. Der Sieben-Millionen-Einwohner-Staat, der 2007 der EU beitrat, ist auf dem Korruptionsindex von Transparency International EU-weit auf dem ersten Platz gelistet.

Demgegenüber ist Bulgarien mit einem Bruttoinlandsprodukt von 8.750 Euro pro Kopf der Bevölkerung (2020), was 48 Prozent des EU-Durchschnitts entspricht, nach wie vor das Armenhaus Europas.Jetzt ist die politische Zukunft des Landes ungewisser denn je. Denn die Bildung einer Regierung dürfte sich extrem schwierig gestalten. Schon sehen Be­ob­ach­te­r*in­nen Neuwahlen als einzigen Ausweg aus der Krise.

Borissow brachte am Montag eine Expertenregierung ins Gespräch – eine Option, der er sich im vergangenen Sommer noch verweigert hatte. „Ich biete euch Frieden an“, schrieb er auf Facebook. „Lasst uns Experten ernennen und bis Dezember können wir die Pandemie überwinden und nach vorne schauen.“

Borissows politische Karriere sei zu Ende und alles andere eine Qual, sagte hingegen der Soziologe Tzwetosar Tomow gegenüber Radio Bulgarien. Der frühere GERB-Abgeordnete Georgi Markow hatte für seinen früheren Parteifreund noch einen Rat auf Lager. „Bojko, bemühe dich nicht um das Mandat zur Regierungsbildung. Laufe vor ihm davon wie vor dem Coronavirus“, zitiert ihn das bulgarische Nachrichtenportal mediapool.bg. „Solche Probleme brauchst du nicht.“

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