Bürgerschaftswahlen in Hamburg: Hansestadt wird grüner
Die Strategie der Grünen, den SPD-Bürgermeister mit einer Gegenkandidatin herauszufordern, hat geklappt. Doch die Partei bleibt unter den Erwartungen
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Die Grünen haben es nicht geschafft. Sie haben die streckenweise überragenden Umfragewerte nicht bis an die Wahlurnen retten können. Typisch Grüne – wieder mal nur Umfrageweltmeister. So kann man das Hamburger Wahlergebnis lesen. Man kann es aber auch ganz anders interpretieren: Innerhalb von fünf Jahren haben es die Grünen an der Elbe geschafft, ihr Wahlergebnis fast zu verdoppeln, von 12,3 auf 24 Prozent. Das klingt ziemlich sensationell.
Diese zweideutige Situation haben die Grünen selbst herbeigeführt: Beflügelt durch bundesweit steigende Umfragewerte im Zuge der Klimadebatte haben sie ihren Koalitionspartner SPD herausgefordert, indem sie mit Katharina Fegebank nicht nur eine Spitzenkandidatin aufgestellt haben, sondern eine Bürgermeisterkandidatin. Das hat früher nur die CDU getan.
Damit haben sie den Wahlkampf erfolgreich auf einen rot-grünen Zweikampf eng geführt, unter dem alle anderen Parteien gelitten haben, vor allem die CDU und die Linke. Die Grünen haben erst dadurch aus ihrem Wählerpotenzial alles rausgekitzelt. Eine Umfrage sah sie bereits Anfang Januar bei 29 Prozent – gleichauf mit den Sozialdemokraten.
Noch nie gab es eine solche Vielzahl öffentlicher Duelle zwischen den Spitzenkandidaten – auch weil SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher größere Kandidatenrunden gemieden hat, in denen er oft blass wirkt. Im eins zu eins mit Fegebank konnte er dagegen mit seiner nüchternen Art und wohldosierten Attacken immer wieder punkten.
Nähe zum Bürgertum
Etwa im Zeit-Duell, als er den Grünen-Vorstoß, Vermummung auf Demonstrationen von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen, bewusst missverstand: „Ich finde das sehr merkwürdig, dass Polizeibeamte gekennzeichnet werden sollen und die Demonstranten sich vermummen dürfen.“
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Fegebank war einen Moment lang sprachlos – und kassierte den Punkt aus dem Grünen-Wahlprogramm ein paar Tage später ein, zum Unmut von Teilen der Partei.
Katharina Fegebank hat versucht, die Grünen weit für das bürgerliche Milieu zu öffnen, etwa indem sie gezielt die Nähe der Wirtschaft suchte, überall erzählte, wie sie mit den großen Industriebetrieben nach klimaschonenderen Produktionsverfahren suche.
Das konnte an der grünen Basis nicht allen gefallen. Eine Infratest-Dimap-Umfrage ermittelte im Januar, dass nur 57 Prozent der Grünen-Wähler*innen sich eine Bürgermeisterin Fegebank wünschten, während 81 Prozent der SPD-Wähler*innen Amtsinhaber Tschentscher favorisierten.
SPD am längeren Hebel
Dennoch sind die Grünen am Ende nur 4 Prozentpunkte hinter ihrem Allzeithoch aus dem Januar gelandet. „Wir haben uns mehr als verdoppelt – und in absoluten Stimmen ist der Zugewinn ja sogar noch größer“, sagte ein sichtlich zufriedener Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks nach der ersten Prognose. „Andere Parteien regenerieren sich in der Opposition.“
Nun können die Grünen gestärkt in Koalitionsverhandlungen mit der SPD gehen, einen zusätzlichen Sitz im Senat fordern, vielleicht sogar ein Schlüsselressort.
In jedem Fall müssten sie versuchen, den Bereich Verkehr aus der bislang SPD-geführten Wirtschaftsbehörde in grüne Hände zu holen – damit die Verkehrswende gelingt und sie bei der nächsten Wahl etwas vorzuzeigen haben.
Allzu frech können sie aber auch nicht werden, denn die SPD kann zur Not mit dem drohen, was früher Große Koalition hieß: einem Bündnis mit dem größten Wahlverlierer CDU.
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