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Bürgerräte mischen sich einMinideutschland fürs Klima

In Berlin hat ein Bürgerrat seine Forderungen den Koalitionären übergeben. Ziel ist es, die Erderhitzung einzudämmen.

Beim Thema Klimawandel können auch Bür­ge­r*in­nen wertvollen Input geben Foto: Jonas Walzberg/dpa

Berlin taz | Sie bezeichnen sich als ein „weitestgehend repräsentatives Minideutschland“. Am Mittwoch hat der Bürgerrat Klima, ein aus 160 zufällig ausgewählten Bür­ge­r*in­nen bestehendes Gremium, seine Forderungen an die Parteien der sich bildenden Koalition in Berlin überreicht.

Im Bürgerrat sitzen Se­nio­r*in­nen, Jugendliche, Hand­wer­ke­r*in­nen und auch Aka­de­mi­ke­r*in­nen aus ganz Deutschland. Auch in Bezug auf Alter und Wohnort soll die Gruppierung repräsentativ sein. Monatelang haben sie in 12 Online-Sitzungen unter wissenschaftlicher Begleitung über 80 Empfehlungen erarbeitet, damit Deutschland sich in Richtung der Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommen begeben kann.

Das Ziel, die Erderhitzung möglichst nicht über 1,5 Grad steigen zu lassen, solle künftig oberste Priorität bei allen politischen Entscheidungen der Ampelkoalition haben. Der Rat fordert 120 Stundenkilometer Tempolimit auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen und 100 Prozent Ökostrom bis 2035. Außerdem, dass 2 Prozent der Landesfläche für Windparks reserviert werden sollen, und dass ein CO2-Preis als „verbindliches Instrument“ sozial ausgestaltet sein muss.

Weiter fordert der Rat, dass die Infrastruktur für Fahrräder massiv ausgebaut und der ÖPNV verbessert und günstiger wird. Autos mit Verbrennermotoren sollen spätestens 2030 nicht mehr zugelassen werden. Schirmherr der von einem Verein organisierten und von Stiftungen finanzierten Aktion ist Altbundespräsident Horst Köhler. „Das Ergebnis sendet ein klares Signal an die Politik: Unterschätzt die Bürger nicht!“, hatte Köhler gesagt.

Internationales Pendant in Glasgow

„Wir wissen, dass sich die Empfehlungen angeschaut werden, und werden sehen, welche davon es schaffen“, sagt Bürgerratssprecherin Rabea Koss. Die Strategie für den Fall, dass die Vorgaben von der neuen Koalition nicht umgesetzt werden, sei, die kommende Regierung erneut an das 1,5-Grad-Ziel zu erinnern. Doch Koss zeigt sich auch realistisch: Es sei „klar, dass das nicht alles umgesetzt wird.“

Bereits am Montag hatte das internationale Pendant zum deutschen Bürgerrat seine Forderungen im zivilgesellschaftlichen Bereich der UN-Klimakonferenz in Glasgow präsentiert. Die „global assembly“, 100 zufällig ausgesuchte Menschen aus aller Welt, hatten ebenfalls zuvor debattiert, wie die Menschheit die Erde bewohnbar halten kann. Hinter der Vereinigung stecken NGOs, die Vereinten Nationen und einige Regierungen, allen voran Großbritannien.

Die 100 Personen waren in einem mehrstufigen Prozess ausgelost worden. Erst wurden verschiedene Orte festgelegt, die gut über die Welt verteilt liegen. Dann machten sich die In­itia­to­r*in­nen dort nach potenziellen Teil­neh­me­r*in­nen auf die Suche, innerhalb dieser Gruppen entschied das Los.

Neben einem Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel betont ihre Erklärung vor allem die Kritik an den globalen klimapolitischen Machtverhältnissen. In Artikel 3i werfen die Teilnehmenden den Veranstaltern der Klimakonferenz vor, dass mächtige Staaten und Unternehmen einen unverhältnismäßig hohen Einfluss auf globale klimapolitische Entscheidungsprozesse hätten.

Bür­ge­r*in­nen­rä­te werden weltweit zunehmend als Partizipationsinstrument eingesetzt. Horst Köhler sieht den deutschen Rat als ein „Zeichen gegen die Resignation“. Auch in Großbritannien, Frankreich und Irland gab es bereits Bür­ge­r*in­nen­rä­te zum Klimawandel. Sie empfahlen den Regierungen ebenso eine progressivere Politik. Umgesetzt wurden die Empfehlungen allerdings selten komplett, denn verbindlich sind die Ergebnisse der Räte nicht.

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24 Kommentare

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  • "Erderwärmung" reicht nicht mehr, jetzt darf es eine "Erderhitzung" sein? Mit solchen Wortspielchen erreicht man wohl eher das Gegenteil - man wird nicht mehr Ernst genommen. Das wäre jedoch fatal, also lasst das bitte sein.

  • Hat mit Demokratie nicht viel zu tun. Ich jedenfalls habe die Mitglieder des Bürgerrats nicht gewählt.

    • 9G
      96177 (Profil gelöscht)
      @Emsch:

      "Hat mit Demokratie nicht viel zu tun."



      oh doch, und da Sie wohl gewählt haben, haben Sie auch den Bürgerräten zugestimmt - genau so wie Scheuers Millionenausgaben für sogenannte "Beratung":



      aktuelles.uni-fran...ssel-im-gespraech/

  • Bürgerräte bestehen aus Menschen, die dafür Zeit haben und sind deswegen fast immer nur mit Menschen aus der Mittelschicht, Akademikern und Rentnern besetzt.

    Das Ganze basiert auf der Annahme, die repräsentative Demokratie sei nicht repräsentativ genug bzw. das die gewählten Abgeordneten einfach zu dumm seien, die „richtigen“ Entscheidungen zu treffen - wobei eine weitere grundannahme ist, dass es in einer pluralistischen Demokratie so etwas wie objektiv richtige Entscheidungen geben kann. Diese soll dadurch ermittelt werden, dass alle nett respektvoll miteinander reden, nachdem ihnen Experten, die sie nicht selbst bestimmt haben, ihnen kurz etwas über das Thema vortragen.



    Ein kindliches und romantisches Bild von Politik, das prinzipiell die Legitimität von Meinungsverschiedenheit untermininiert und alles unter einer kitschigen Konsenssoße begräbt.

    • 2G
      29834 (Profil gelöscht)
      @Suryo:

      "Bürgerräte bestehen aus Menschen, die dafür Zeit haben und sind deswegen fast immer nur mit Menschen aus der Mittelschicht, Akademikern und Rentnern besetzt ..."

      ... und Parlamente sind ein Querschnitt der Gesellschaft!?



      Träum' weiter.

      • @29834 (Profil gelöscht):

        Müssen sie auch gar nicht. Sie sind von den Wählern nach politischen Positionen und Kompetenz ausgewählt, nicht danach einen Querschnitt zu bilden.

      • @29834 (Profil gelöscht):

        Der Querschnitt ist irrelevant. Er ist nicht die Voraussetzung für ein "gutes" Ergebnis.

        Wie wär wohl die Querschnittsmeinung zur Migrationspolitik? Würden wir diese Frage lieber Politikern mit ihrem Arsenal an Informationsmöglichkeiten und Expertise oder 160 ungewählten Bürgern, die aufgrund von rein statistischen Merkmalen ein "Querschnitt" sein sollen, anvertrauen?

        Und im übrigen: Bürgerräte sollen laut Befürwortern gut sein, weil sie anders als Parlamente "repräsentativ" sind. Wenn sie das nachweislich nicht sind, welche Legitimation haben sie dann noch? Warum dann Bürgerräte?

    • 9G
      96177 (Profil gelöscht)
      @Suryo:

      "Bürgerräte bestehen aus Menschen, die dafür Zeit haben und sind deswegen fast immer nur mit Menschen aus der Mittelschicht, Akademikern und Rentnern besetzt."

      nö, nach dem Zufallsprinzip funktioniert das nicht so - und das ist die Grundlage für die Wahl der Bürgerräte. Übrigens würde sich dann der Bürgerrat kaum von den Parlamenten unterscheiden, dort sitzt im wesentlichen akademische Mittelschicht.

      • @96177 (Profil gelöscht):

        Die Unterstützer von Bürgerräten legitimieren diese ja gerade durch den Hinweis darauf, dass die Parlamente nicht repräsentativ seien. Abgesehen davon, dass sie dadurch implizit die gesamte repräsentative Demokratie delegitimieren, bringen sie sich in ein Dilemma: denn wenn Bürgerräte eben nicht repräsentativ sind, stellt sich ja die Frage, was sie eigentlich sollen. Die Vorstellung, „normale Bürger“ könnten irgendwie bessere Ergebnisse erzielen als Abgeordnete, ist nicht nur naiv, sondern auch falsch, wenn man nicht „besser“ dadurch definiert, dass es einem vermeintlichen Durchschnitt entspricht. Was Unsinn ist.

        Stellen wir uns mal vor, es hätte in allen Bundesländern Bürgerräte zu Corona gegeben. Sachsen und Bremen wären zu völlig anderen Ergebnissen gekommen. Mit dem unterschied, dass Bremen angesichts der sächsischen Todesraten eben richtig gelegen hätte. Nach der Argumentation der Bürgerratsbefürworter wären aber beide Ergebnisse gleichwertig und nicht kritisierbar.

      • @96177 (Profil gelöscht):

        Doch. Denn nach der Zufallswahl werden die Leute gefragt, ob sie überhaupt mitmachen wollen. Es findet also eine klare Selbstselektion statt. Beim Bürgerrat „Deutschlands Rolle in der Welt“ waren entsprechend sehr viel weniger Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss dabei, als ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht. Kein Wunder. Wer abends von der Schicht kommt, hat wenig Lust.

      • @96177 (Profil gelöscht):

        Es ist aber ein Unterschied, ob bestimmte Akademiker von Menschen aus allen Schichten in ein Mandat gewählt worden sind, weil deren Wähler diesen vertrauen oder ob die angeblich ausgewählt worden sind, weil sie repräsentativ sind.

        Repräsentation ist eben nicht Repräsentativität. Ein Abgeordneter kann und muss auch Wählerschichten repräsentieren, denen er nicht angehört. Entscheidend dafür ist eben nicht Alter, Geschlecht, Bildung etc., sondern die jeweilige politische Position, die nur sehr bedingt davon abhängt.

  • Was soll das? Ich habe die nicht legitimiert.

  • Ich verstehe das Konzept nicht: Warum sollte ein nach eher äußerlichen Kriterien zufällig ausgeloster "Bürgerrat" den politischen Willen der Bevölkerung besser repräsentieren, als ein nach politischen Kriterien gewähltes Parlament?

    • 9G
      96177 (Profil gelöscht)
      @Ruediger:

      fragt sich nur, was "politische Kriterien" sind beim Wähler: der Lindner, der gewählt wird, weil seine "FDP-Freiheit" von Jungwählern so gedeutet wird, daß sie glauben, auf nichts verzichten zu wollen und zu müssen angesichts von Klimakatastrophe etc. bzw. der Merz, der angeblich so dermaßen wirtschaftskompetent daherkommt als gekauftes Larry Fink-Gewächs, dabei neuerdings immerhin stylish greenwashing buchstabieren kann, aber Glencore-Investments meint?

    • @Ruediger:

      Mit einem Bürgerrat haben Sie den aktuellen Querschnitt der Meinungen in der Bevölkerung (statistisch).

      Mit Berufspolitikern haben Sie Leute, die sich Jahrzehnte durch Parteigremien gewühlt haben, um dann vollkommen profillos oben anzukommen.

      Bitte nicht missverstehen: Das Gros d. Bevölkerung wählt was eine Chance hat zu gewinnen, und den eigenen Vorstellungen ungefähr entspricht. Psychologisch bedingt, weil man gerne auf d. Seite d. Gewinner steht. Bzw. das was medial ausgeschlachtet wird.

      Persönlich denke ich, dass nur 20% d. Bevölkerung rational wählen nachdem sie sich ausgiebig erkundigt haben, ohne sich von psychologischen Effekten beeinflussen zu lassen.

      Deswegen kriegen Union/SPD auch noch 25% d. Stimmen obwohl beide Parteien seit ca. 20 Jahren das Land in den Abgrund wirtschaften. :-D

      • @Shasu:

        Ok, weil Ihnen die Wahlergebnisse nicht gefallen, müssen die Wähler folglich dumm sein? Akzeptieren Sie bitte, dass in einer Gesellschaft unterschiedliche Interessen gibt.

      • @Shasu:

        Ich finde es ziemlich vermessen, zu glauben, dass alle, die anders wählen als ich, eigentlich falsch wählen. Eine freie Wahl ist immer noch der beste Weg, den Willen der Menschen abzubilden. Auch wenn einem das manchmal nicht gefällt.

        • @Ruediger:

          Ich habe nirgendwo behauptet, dass alle die nicht wie ich wählen, falsch wählen.

          Was ich meine ist, dass 1.) der Großteil der Menschen sich nicht ausgiebig mit Politik auseinandersetzt (logischerweise), und dadurch das wählt was ungefähr passt solange es eine Chance hat zu gewinnen bzw. was medial viel Aufmerksamkeit bekommt. Und 2.) dass das aktuelle politische und mediale System so aufgebaut ist, dass Randparteien (sprich Parteien die von den Wünschen der Wirtschafts- und Finanzelite abweichen) und Kleinstparteien keine Chance haben zu regieren oder mitzubestimmen, weil sie sofort medial runtergemacht werden, und politisch gebrandmarkt werden. Kann man hervorragend mit Linke und AfD beobachten.

          Diese 2 Punkte führen dazu, dass seit dem 2.Weltkrieg immer dieselben Parteien an der Macht sind. Und erst jetzt, nach 70 Jahren, wo das Wirtschaftswachstum an seine Umwelt-bedingten Grenzen stößt und die Zentralbanken die Finanzmärkte vorm Meltdown schützen müssen, ändert sich überhaupt was in der Form, dass eine 4te Partei hinzugekommen ist (welche sich auch erstmal groß anpassen und viele Prinzipien über Bord werfen musste, damit man sie akzeptiert hat).

          Da hat die USA mit ihrem 2-Parteien-System schon mehr Abwechslung, wegen der Exekutiv-Gewalten d. Präsidenten dort.

          • @Shasu:

            Dass sich der Großteil der Menschen nicht mit Politik auseinandersetzt, ist eine Behauptung von Ihnen, die ich in Zweifel ziehe - haben Sie dafür Quellen? Ich würde allerdings vermuten, dass der Anteil derer, die aus unpolitischen Gründen wählen (Frust, Denkzettel verpassen, gegen alles sein etc ) bei den Parteien an den Rändern des politischen Spektrums und Kleinparteirn eher größer ist, als bei den Wählern der aktuellen und künftigen Regierungsparteien,

      • @Shasu:

        Den aktuellen Querschnitt der Meinungen bekommt man durch repräsentative Umfragen garantiert besser heraus als durch die Äußerungen von 160 Menschen, die durch Selbstselektion eben gerade nicht die Bevölkerung repräsentieren. Beim Bürgerrat „Deutschlands Rolle in der Welt“ gab es zB nur wenige Prozent Teilnehmer mit niedrigerem Bildungsabschluss, sehr viel weniger, als ihrem Anteil an der Gesellschaft entspricht.

        • @Suryo:

          Dann ist das aber ein Problem wie die Bürgerräte zusammengesetzt werden, und nicht so sehr ein Problem der Berechtigung für Bürgerräte. :-)

          • @Shasu:

            Doch. Implizit ist die einzige Legitimation der Bürgerräte, dass sie "besser", repräsentativer als Parlamente, zusammengesetzt seien. Sind sie das nicht, fällt ihre gesamte (ohnehin sehr schwache) Legitimation weg.

            Dann lieber Expertenräte. Da sitzen dann wenigstens Leute mit nachprüfbarer Fachkenntnis für ein Problem.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Bürgerrat? Wird`s jetzt sozialistisch?



    Finde ich gut!

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Sind wir schon mal zwei.........