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Bürgermeister-Wahl in HannoverGrüne stoppen Lauf der SPD

Hannover wird künftig nicht mehr von der SPD regiert. Das liegt auch am Grünen Belit Onay, der bei der Stichwahl auf den Sprung ins Rathaus hofft.

Gefragt wie noch nie: Belit Onay gibt nach der OB-Wahl einer Interview nach dem anderen Foto: dpa

HANNOVER taz | Den Siegestaumel vom Wochenende dürfte Belit Onay mittlerweile hinter sich gelassen haben. Der innen- und migrationspolitische Sprecher der Grünen im niedersächsischen Landtag will in Hannover Oberbürgermeister werden – und ab jetzt „dort weitermachen, wo ich am Samstagabend aufgehört habe“. Onay, 38, Jurist, in Goslar geboren, aber in Hannover heimisch geworden, hat am Sonntag bei der Wahl um den Chefsessel im Hannoverschen Rathaus zwar gut abgeräumt: 32 Prozent der Stimmen konnte Onay für sich verbuchen. Doch noch sitzt er nicht drin. Der parteilose Eckhard Scholz, den die CDU ins Rennen geschickt hat, konnte fast genauso viele Wähler*innen hinter sich versammeln. Am 10. November treten beide in einer Stichwahl gegeneinander an.

Gewonnen hat Onay trotzdem schon. Noch nie hatte eine Partei es geschafft, den Lauf der SPD in Hannover zu stören. Seit 70 Jahren hatte der OB ein SPD-Parteibuch oder wurde von den Sozialdemokraten gestellt. Das ist jetzt anders. Marc Hansmann, der einstige Stadtkämmerer und Vorstand des Energieversorgers Enercity, scheiterte mit 23 Prozent. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte die sogenannte Rathaus-Affäre sein, bei der der vorige OB, Stefan Schostok von der SPD, in illegale Gehaltszahlungen verstrickt war.

Doch das Sonntagshoch der Grünen erklärt sich nicht allein aus dem Vertrauensverlust der Bürger*innen in die SPD. Schon 250 Kilometer und drei Bahnstunden weiter bröckelt der Zuspruch zur Öko-Partei. In Erfurt, Thüringen, hatten die Grünen am Sonntagabend erhebliche Mühe, 5,2 Prozent zu erklären. Mit diesem mageren Ergebnis bei der Landtagswahl in dem ostdeutschen Bundesland müssen sich die Grünen, die im Bund bis zu 24 Prozent für sich verbuchen können, erst einmal anfreunden.

Diese Unterschiede zeigen deutlich, mit welchen Unwägbarkeiten die Grünen rechnen müssen – und wie die grüne Wählerklientel verteilt ist. Im Gegensatz zum Flächenland Thüringen, wo die Bevölkerung schon immer mit den Grünen fremdelte, lebt in Hannover eine urbane Mittelschicht, die sich zur klassischen grünen Wählerschaft entwickelt hat. Und die der OB-Kandidat Onay offensichtlich ansprechen konnte. Themen wie Klimakrise, Verkehrswende, soziale Teilhabe und sozialen Wohnungsbau konnten „wir glaubhaft rüber bringen, meint Onay.

Europa-Wahl als „Rückenwind“

Dass man mit diesen gesellschaftlich derzeit stark debattierten Sujets punkten kann, zeigte sich bereits bei der Europawahl im Mai. Damals landeten die Grünen in Hannover zum ersten Mal ganz vorn und verwiesen die beiden „Volksparteien“ SPD und CDU auf die hinteren Plätze. „Jetzt sind wir mit der SPD und der CDU auf Augenhöhe“, jubelten die Grünen damals. Der „Rückenwind“, auf den sie sich von „Europa“ für den OB in Hannover gehofft hatten, dürfte am Sonntag sicher geholfen haben.

Konnte Onay auch von den Demos Fridays for Future profitieren? „Umgekehrt wird ein Schuh draus“, glaubt er: „Wir haben den Fokus auf diese Themen gelenkt, jetzt sind sie mehr Menschen im Bewusstsein.“ Für den Fall, dass er tatsächlich der erste grüne OB von Hannover wird, verspricht er „eine diskriminierungsfreie, klimafreundliche und soziale Stadt“. Und er legt los: Am Mittwoch mit einem Haustürwahlkampf in Linden, er nennt das „Belit klingelt“. Am Tag darauf wird er mit Parteichefin Annalena Baerbock unterwegs sein. Sicher wird er auch bei der SPD anklopfen, für eine Wahlempfehlung. Doch die ­Sozialdemokraten halten sich damit gerade zurück. Noch sind sie damit beschäftigt, die eigenen Wunden zu lecken.

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