Politologe zur OB-Wahl in Hannover: „Blick auf die Kandidaten lenken“

Am Sonntag wählt Niedersachsens Landeshauptstadt einen neuen Oberbürgermeister. Der Sieger ist noch nicht ausgemacht, sagt SPD-Mann Nils Heisterhagen.

Im Vordergrund Wahlplakate, im Hintergrund Bäume und ein Gebäude.

Wer wird hier demnächst residieren? Wahlplakate vor dem Rathaus in Hannover Foto: Sina Schuldt/dpa

taz: Herr Heisterhagen, bei der Oberbürgermeisterwahl könnte die SPD in Hannover ihren jahrzehntelangen Siegerbonus verlieren. Sagt das eher etwas über die SPD oder über die Stadt aus?

Nils Heisterhagen: Weder noch. Wir haben es aktuell mit einem völlig veränderten Parteiensystem zu tun: Kandidaten, die früher keine Chance hatten, haben jetzt eine, vor allem in Großstädten. Es ist jetzt normal, dass Bewerber von SPD über Grüne bis hin zur CDU gleiche Chancen haben zu gewinnen.

In Hannover hat es allerdings eine Finanzaffäre gegeben, in die der einstige SPD-Oberbürgermeister Stefan Schostok verstrickt war und zurückgetreten ist.

Dieser Hintergrund macht es für die SPD natürlich schwerer. Man darf die Erwartungen an einen SPD-Sieg nicht allzu hoch hängen, auch wenn Hannover eine klassische SPD-Hochburg war. Am Tag der Wahl werden wir sehen, wie das Vertrauen der Wähler in die SPD heute aussieht.

In Hannover wurde die SPD nach Ende des Zweiten Weltkriegs de facto wiedergegründet. Könnte sie in Hannover jetzt beerdigt werden?

Die OB-Wahl in Hannover zur Existenzfrage der SPD hochzujazzen, ist stark übertrieben. Sollte der SPD-Kandidat nicht punkten, darf man das nicht als Klatsche für die SPD stilisieren, sondern sollte es als Entscheidung gegen die Person sehen.

Trotzdem gelten OB-Wahlen immer als Stimmungsbarometer für Wahlen im Land und im Bund.

Das ist richtig. Trotzdem darf man das, was in Hannover vor dem Hintergrund der Rathaus-Affäre passiert ist, nicht überbewerten. Vielmehr muss man den Blick auf die Kandidaten lenken.

Das heißt, Personen sind heute wichtiger als Parteien?

Es ist für Parteien grundsätzlich schwieriger geworden, klare Mehrheiten zu gewinnen, weil sich das Parteiensystem verschoben hat. So haben sich die Grünen in den vergangenen Jahren als Großstadtpartei etabliert und in Kiezen, in denen akademisch-bürgerliche Milieus ohne finanzielle Probleme leben, große Chancen. Da wird leider nicht nach materiellen Maßstäben entschieden, sondern nach immateriellen. Erst wenn die Rezession vollkommen durchbricht, wird auch die obere Mittelschicht ängstlich und wieder materialistischer.

31, ist Politologe, Volkswirtschaftler, Autor, SPD-Mitglied. Bis September 2018 war er Grundsatzreferent bei der Landtagsfraktion der SPD in Rheinland-Pfalz. Er hat unter anderem in Hannover studiert.

Das heißt, Kandidat*innen müssen ihr Profil schärfen?

Es kommt darauf an, wie authentisch jemand rüberkommt, ob er die Mehrheit der Menschen versteht, mit denen er zu tun hat, ihre Nöte kennt. In Hannover erscheinen mir die meisten Kandidaten allerdings ähnlich zu sein. Ich kann wenig Unterschiede zwischen SPD, Grünen und CDU erkennen. Insofern ist es überhaupt nicht klar, wer das Rennen macht. Ähnliches kann man übrigens in Mainz beobachten, wo ebenfalls am 27. Oktober ein neuer Oberbürger oder eine neue Obermeisterin gewählt wird. Vermutlich gehen dort zwei Kandidaten in die Stichwahl, weil keine Partei eine massive Mehrheit für sich verbuchen wird.

Alle reden vom Klima. SPD-Kandidat, Marc Hansmann, redet von Kinderarmut, Investitionen in Bildung und Wohnungsbau. Ein Schachzug, um die verloren gegangene SPD-Klientel zu reaktivieren?

Die Wohnungsfrage ist eine der wichtigsten sozialen Fragen der Zeit. Soziale Fragen hat die SPD in der jüngsten Vergangenheit vernachlässigt, da sollte sie wieder zulegen. Wie beispielsweise auch beim ÖPNV. Die SPD war immer eine Partei der unteren Mitte und der „kleinen Leute“, die diese mit ihren materiellen Sorgen ernst nimmt. Da muss sie wieder hinkommen.

Hansmann und die SPD haben also alles richtig gemacht?

Ein SPD-Oberbürgermeister ist gut beraten, wenn er sich neben den sozialen Fragen auch dem Thema innere Sicherheit widmet. Sicherheit in Großstädten ist ein großes Thema, das darf man nicht der CDU oder gar der AfD überlassen. Hier kann sich die SPD sogar gegenüber den Grünen profilieren, die scheuen das Thema ja wie der Teufel das Weihwasser.

Warum ist das ausgerechnet in Hannover wichtig?

In Ecken wie dem Hauptbahnhof mit ausgeprägter Drogen- und Obdachlosenszene ist das wichtiger als in Barsinghausen. Die Menschen wollen sich sicher fühlen, ein OB muss sich fragen: Wie kriege ich das hin? Wie komme ich zu mehr Polizeipräsenz und weniger Kriminalität? Auch Wirtschaftsfragen darf er nicht vernachlässigen. Wenn Firmen wie der Autozulieferer Continental aus der Region Hannover Stellenabbau ankündigt, sollte ein OB fragen: Wo drückt der Schuh? VW-Nutzfahrzeuge hat auch eine Transformation vor sich. Da muss man vorbeigehen und nachhaken: Wie geht es euch? Was kann ich tun?

Ist das nicht Aufgabe für den Ministerpräsidenten?

OB und Ministerpräsident sollten eng zusammenarbeiten. Das funktioniert besser, wenn beide dasselbe Parteibuch haben. Niedersachsen hat mit Stephan Weil auch einen guten Ministerpräsidenten. Die SPD kann ja Wahlen gewinnen. Aber halt nur mit linker Vernunft.

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