piwik no script img

Bürgergeld für Ukrai­ne­r:in­nenSie kamen nicht des Geldes wegen

Anastasia Magasowa
Kommentar von Anastasia Magasowa

Ukrai­ne­r:in­nen haben sich Zufluchtsländer nicht nach Sozialleistungen ausgesucht. Sie sollten jetzt nicht Opfer populistischer Manipulationen werden.

Ein Hinweisschild am Kölner Hauptbahnhof zeigt Geflüchteten aus der Ukraine den Weg zur zentralen Anlaufstelle, 1.4.2022 Foto: Christoph Hardt/imago

D er russische Einmarsch in die Ukraine zwang rund sechs Millionen Ukrai­ner:innen, in Europa Zuflucht zu suchen. Mehr als eine Million von ihnen landeten in Deutschland. Viele dachten, ihr Aufenthalt außerhalb der Ukraine sei vorübergehend. Doch je länger der Krieg dauert, desto mehr Geflüchtete integrieren sich und gewöhnen sich an ihren neuen Wohnort. Manche können auch gar nicht irgendwohin zurückkehren – ihre Städte sind zerstört oder von Russland besetzt.

Am dritten Tag der russischen Großinvasion sah ich an der polnisch-ukrainischen Grenze lange Schlangen alter Leute und verängstigter Frauen mit Kindern. Sie sahen nicht aus wie Menschen, die sich auf den Weg ins wohlhabende Europa machen, um Sozialleistungen zu erhalten. Es ist absurd und zynisch, das heute zu behaupten. In dieser Panik haben die meisten ihre Zufluchtsländer nicht nach der Höhe der Sozialleistungen ausgesucht. Einige wurden von Hilfsbereiten direkt an der Grenze in der polnischen Stadt Przemyśl aufgenommen.

Andere reisten dorthin, wo sie jemanden kannten, wieder andere landeten zufällig in einer Notunterkunft. Die ukrainischen Geflüchteten sind keine Mi­gran­t:i­nnen auf der Suche nach wirtschaftlichen Vorteilen, sie sind Opfer der Aggression Russlands. Die ukrainischen Kriegsflüchtlinge haben es nicht verdient, zum Objekt populistischer Manipulationen zu werden, die auf die Wählerschaft in Deutschland abzielen.

Großes Potential hinter viel Bürokratie

Diese Energie sollte besser in die Entwicklung eines langfristigen und effektiven Plans investiert werden, um den Kriegsflüchtlingen Zugang zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt und zu Bildung zu verschaffen. Denn unter den gegenwärtigen Bedingungen ist die Beschäftigung von 27 Prozent der ukrainischen Geflüchteten eher ein Erfolg als ein Misserfolg.

Das Haupthindernis für eine Beschäftigung ist in den meisten Fällen nicht das Bürgergeld, das für sie jetzt zur Disposition steht, sondern es sind bürokratische Hindernisse auf dem Arbeitsmarkt. So dauert es Monate, bis Berufsabschlüsse anerkannt werden. Wer in der Ukraine Chirurgin war, will in Deutschland kaum als Krankenpflegerin arbeiten, eine Universitätsdozentin nicht als Kindergartenassistentin. Manchmal sind auch die geforderten Sprachkenntnisse weitaus höher, als es für die Ausübung einer unqualifizierten Tätigkeit erforderlich ist.

Deutschland hat einen großen Bedarf an hoch qualifizierten Arbeitskräften – ukrainische Geflüchtete haben ein großes Potenzial, dieses Problem zu lösen. Voraussetzung dafür ist indes, dass die Regierung das akzeptiert und ihre Beschäftigung erleichtert. Das wird auch geschehen, wenn die Jobcenter aufhören, Ar­chi­tek­t:in­nen Arbeitsplätze in Küchen und Lagerhallen anzubieten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anastasia Magasowa
Anastasia Rodi (Magazova) ist 1989 auf der Krim (Ukraine) geboren. Studium der ukrainischen Philologie sowie Journalismus in Simferopol (Ukraine). Seit 2013 freie Autorin für die taz. Von 2015 bis 2018 war sie Korrespondentin der Deutschen Welle (DW). Absolventin des Ostkurses 2014 und des Ostkurses plus 2018 des ifp in München. Als Marion-Gräfin-Dönhoff-Stipendiatin 2016 Praktikum beim Flensburger Tageblatt. Stipendiatin des Europäischen Journalisten-Fellowships der FU Berlin (2019-2020) in Berlin. 2023 schloss sie ihr Studium am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin ab. Sie hat einen Master of Arts (Politikwissenschaft). Als Journalistin interessiert sie sich besonders für die Politik in Osteuropa sowie die deutsch-ukrainischen Beziehungen. Von den ersten Tagen der Annexion der Krim bis heute hat sie mehrere hundert Reportagen über den Krieg Russlands gegen die Ukraine geschrieben.
Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Danke für diesen guten Artikel. Der unterstreicht die Absurdität, die Scheinheiligkeit deutscher Politik. Offensichtlich ist, dass sich zumindest CDSUAFDP ohne jede Scham für ein paar Wahlstimmen prostituieren. Sie verkaufen sich für dieses Linsengericht und ihre christlichen, sozialen oder liberalen Grundsätze. Es ekelt einen nur noch an...

  • Ich bin der Meinung, dies sollte für alle Migranten geschehen, nicht nur für Ukrainer.



    Aber die anderen haben wohl einfach nicht die richtige geopolitische Bedeutung.

  • 27% Vermittlung ist in dieser Lage ein Erfolg und kein Misserfolg. Ukrainische Ärzte/innen können 2 Jahre lang mit einer Berufserlaubnis nach §10 BÄO in ihrem Beruf arbeiten. Kausal gedacht : Wer hat verhindert, dass die Ukraine 2008 in die NATO aufgenommen wurde ? Wer hat in der Folge verursacht, dass die Ukrainer sich in Sicherheit bringen mussten / ihre Arbeitsplätze zertrümmert wurden ? Deswegen sind die Geflüchteten hier. Kann unter den Kritikern der derzeitigen Versorgung jemand ukrainisch auf B2/C1 Niveau ? Hat jemand unter ihnen schon mal auf der Flucht in einem fremden Land versucht seine Kinder ohne größere Schäden aufwachsen zu lassen während Papa und Onkel Videos von der Front/aus dem "Lazarett" schicken und Opa und Oma samt Bello jeden Tag irgendwie beschossen werden. Wer Geflüchtete aufgenommen hat, oder an sie zu Jobcenterbedingungen vermietet kennt das. Wer das nicht leistet, soll sich einfach fragen was er/sie persönlich in dieser Situation besser machen kann, z.B. vermieten, vermitteln, integrieren, deutsch üben. Die TAZ hätte die Möglichkeit sich bei Damen und Herren Kritikern samt nachgeordneten Beamten nach deren persönlichen Beitrag zu erkundigen.

  • Ich finde die Diskussion über das sog. Bürgergeld für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nur noch schäbig und erbärmlich.

  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    Zumindest einen kleinen Nebensatz, dass man sich nicht gegen Geflüchtete ausspielen lasse, hätte ich für angebracht gehalten. Die Aussage: “Die ukrainischen Geflüchteten sind keine Mi­gran­t:i­nnen auf der Suche nach wirtschaftlichen Vorteilen“ hat ein gegenteiliges Geschmäckle.

  • Die ukrainischen Flüchtlinge sollten wirklich nicht unter der jetzigen Debatte leiden. Sie können weder etwas für den Krieg noch für die unterschiedlichen Gesetze der verschiedene Länder etwas. Und natürlich finde ich es verständlich, dass ukrainische Flüchtlinge sich die Länder aussuchen, die zu ihrer jetzigen Lebenssituation am besten passen. Da dürfte es auch nicht überraschen, dass Deutschland besonders für alleinerziehende und ältere Ukrainer auf Grund des Bürgergeldes attraktiv ist.



    Trotzdem ist die jetzige Debatte überfällig. Es ist unfair gegenüber den anderen Kriegsflüchtlingen und die Argumente, die man hört warum ukrainische Flüchtlinge anders behandelt werden sind scheinheilig.



    Ukrainische Kriegsflüchtlinge sind schon dadurch privilegiert, dass sie einfach einreisen können in die EU und aus einen Land kommen indem zum Glück nicht auch noch Hunger herrscht. Was ist aber z.B. mit all den hungernden Menschen auf der Welt, die auch noch auf der Flucht vor Krieg sind? Sollt man denen nicht vielleicht auch ein wenig Aufmerksamkeit schenken?

  • Selbst die FDP fällt mittlerweile auf die hybride Kriegsführung von Russland herein, und fordert zu mehr Hetze gegen die Geflüchteten Ukrainer auf, um unseren Zusammenhalt zu zerstören. Ich häte die Führung der FDP doch für etwas schlauer eingeschätzt, aber nicht das Niveau eines Herrn Grab vermutet.

  • es ist aber ungerecht, dass alle anderen Flüchtlinge ein langes Asylverfahren durchmachen müssen. Womit ist das auf Dauer begründbar?

  • Die wenigsten Flüchtlinge kommen "des Geldes wegen", sondern weil ihnen die Aussichten in ihrem Heimatland nicht zusagen. Ohne Geld kann man hier wie dort nicht leben. Wenn einer Angst hat, dass er verhungern muss wegen mangelnden Gelde, ist das immer noch ein guter Grund. Er kommt ja nicht wegen dem Geld, sondern wegen dem, was er sich vom Geld kaufen kann.

  • Ich halte die derzeitige Regelung, UkrainerInnen erst sprachlich zu qualifizieren für die nachhaltige Methode.



    Wer sich wundert, dass es auch mal etwas länger dauert, bis der/die einen Sprachkurs erhält, hat wohl noch nichts vom LehrerInnenmangel gehört.



    Im Übrigen standen vor 2 Jahren nicht Bildungsmöglichkeiten für 1Mio zusätzliche Flüchtlinge zur Verfügung, die auf diese Möglichkeit gewartet haben.



    Das wurde alles aufgebaut.



    Die Aufnahme in das Sozialsystem war sehr unbürokratisch und die Situation ist für ukrainische Flüchtlinge besser, als für Asylsuchende.



    Das Alles ist keine Selbstverständlichkeit, in anderen Ländern können UkrainerInnen vielleicht leichter auf den Arbeitsmarkt, aber eben ohne Unterstützung und bei einer Sprachbarriere sind die Entwicklungsmöglichkeiten naturgemäß begrenzt.



    Was Qualifikation und Anerkennung dieser betrifft, so bitte ich darum!



    Ich möchte nicht von Jemandem operiert werden, der



    " leider Irgendetwas nicht richtig verstanden hatte".



    Wir haben eine Tierärztin, da muss man/frau sich eben sprachbedingt Zeit nehmen.



    Die ewige Kritik an "der Bürokratie" ist verfehlt, da Diejenigen, die sich täglich um die Flüchtlinge kümmern somit kritisiert werden

  • Wer einen Job vom Arbeitsamt erwartet brauch sich nicht wundern. Das ist doch eine Ausrede, jeder qualifizierte Akademiker ist doch auf xing oder linked in . Hier kriegt mann oder frau einen guten Job. Diese werden eh nicht an das Arbeitsamt gemeldet. Also Ausrede nichts zu tun, aber ich würde es auch nicht anders machen. Niemand sucht sich einen Jib wenn er gar nicht arbeiten muss. Die Leute sind doch nicht doof.

  • Der Kommentar ist durchweg richtig.



    Aber man kann ihn, etwas überspitzt, auch anders lesen:



    „… Ar­chi­tek­t:in­nen Arbeitsplätze in Küchen und Lagerhallen anzubieten.“



    - dann möchten also diese ArchitektInnen selbst in einer Notsituation



    - nicht in ihrem Land wieder aufbauen



    - nicht unter ihren Stand arbeiten.



    Das letztere kann man bei der eigenen Not oder dem Gastland nicht erwarten?

    • @fly:

      "Das letztere kann man bei der eigenen Not oder dem Gastland nicht erwarten?"

      Viele andere Kriegsflüchtlinge wären froh, wenn sie einer ähnlichen Lage wie die Ukrainer wären. Selbstverständlich darf man auch erwarten, dass Menschen unter ihrem Stand eine Arbeit annehmen. Es besteht doch kein Zwang in Deutschland zu bleiben. Es gibt ja auch noch viele andere Länder in der EU.

  • Vielen, vielen Dank für diesen Beitrag. Sie sprechen mir aus der Seele

  • Ninja - so stimmt das aus meiner Erfahrung nicht. Bekannte waren zu Beginn des Krieges in Polen. Mussten da aber arbeiten. Haben sich informiert und sind dann nach Deutschland gekommen, weil sie Bürgergeld und nach ein paar Wochen auch eine ordentliche Wohnung bekommen haben. Bei einem Ehepaar 2 x Bürgergeld, + Wohnung (Mieter ist die Stadt - der Preis ist künstlich heruntergesetzt, damit es bezahlt wird - d.h. die Wohnung würde kein Einheimischer für den Preis bekommen)



    Obwohl wir mehrfach gut bezahlte Jobs in der Landwirtschaft angeboten haben für die man nur wenige Worte kennen muss, die immer abgelehnt wurden weil sie ja auch kaum mehr haben und dafür arbeiten müssen.



    Wenn ich im Vergleich dazu sehe, schlecht wir die fleißigen Rumänen und Bulgaren - die ja immerhin EU Bürger sind behandeln...

  • Hervorragend! Es wird Zeit, dass sowas begriffen wird.

    Jetzt müssten nur noch die, die ALLES an der Asylpolitik festmachen, wie 105 % der CSU-Wähler, dass es viele andere Probleme gäbe, wie z.B. Bildungspolitik.



    Um z.B. Fakenews erkennen zu können oder dass die AfD nur eine Politik des Hasses betreibt, die kleine Leute gegeneinander aufbringt