Bücher zur Biennale in Venedig: Die Kunst aus dem Getto geführt
Die Kunsthistoriker Anthony Gardner und Charles Green sehen die Inflation der Biennalen positiv. Joanna Warsza warnt vor vorschnellen Boykotten.
Ein umgestürzter Panzer vor dem amerikanischen Pavillon, der britische Pavillon ist zu einer orientalischen Karawanserei umgebaut, vor den nordischen Pavillons schwimmt die Leiche eines Kunstsammlers im himmelblauen Pool. Wer in Gedanken noch einmal über die bunten Jahrmärkte der letzten Venedig-Biennalen flaniert, fühlt sich an Peter Schjeldahls Verdikt der Großereignisse erinnert.
Es könne ja sein, schrieb der genervte Kunstkritiker des New Yorker 1999, dass Marcel Broodthaers mit der Erfindung der schlecht zu vermarktenden Installationskunst dem Kapitalismus ein ästhetisches Schnippchen habe schlagen wollen. Inzwischen setzten die Biennalen weltweit aber fast nur noch auf diese aufgeblasene Effekthascherei. Damit, so sein frühes Urteil, seien sie zu Orten des „Festivalism“ regrediert.
Wenn Anthony Gardner und Charles Green in ihrem jüngsten Buch das Wort von der Biennale als „Spektakel-Kultur des Neoliberalismus“ aufgreifen, geben sie zu erkennen, dass sie sich der derzeit gängigen Kritik an der „Biennalisierung der Kunst“ bewusst sind. Dennoch, die beiden Kunstgeschichtsprofessoren – Gardner in Melbourne, Green in Oxford – wollen dezidiert ein in Verruf geratenes Format „entdämonisieren“.
Zum Super-Kunstjahr 2017 kommt der Band also gerade recht. Standortspektakel, Gentrifizierungsmotor, Raumschiff. Gardner und Green schlagen sich nicht vorschnell auf die Seite der Kritiker, die das ausufernde Biennale-Wesen mit solchen Vokabeln überziehen. Sie wollen verstehen, wie dieses Format zustande kam und was es bewirkt hat. Nicht alles, was sie bei dieser historisch angelegten Analyse zutage fördern, ist dabei wirklich grundlegend neu.
Etwa, dass der Schweizer Kurator Harald Szeemann mit seiner Documenta 5 „Befragung der Realität, Bildwelten heute“ 1972 den Grundstein für das Aufkommen des Starkurators und der Biennale als „Meta-Ausstellung“ gelegt hat, die das Institut „Ausstellung“ immer gleich mitreflektiert. Oder dass der Nigerianer Okwui Enwezor mit seiner postkolonialen Documenta XI 2002 die Meistererzählung der Westmoderne zu den Akten gelegt hat.
Anthony Gardner, Charles Green: „Biennials, Triennials, and Documenta: The Exhibitions that Created Contemporary Art“. Wiley, London 2016, 304 Seiten, 23,80 Euro.
„I can’t work like this. A Reader on Recent Boycotts and Contemporary Art“. Edited by Joanna Warsza et al. Sternberg Press, Berlin 2016, 384 Seiten, 20 Euro.
Der blinde Fleck
Spannender wird ihr Band bei den Entwicklungen im blinden Fleck der eurozentrischen Wahrnehmung. Wer weiß schon in Berlin-Mitte, dass es im Sommer 1955 eine „Biennale de la Méditerranée“ im ägyptischen Alexandria und 1974 „The First Arab Biennale“ in Bagdad gab? Und dass nicht die 1984 gegründete Biennale von Havanna das Biennale-Wesen vom „Süden“ her aufrollte, sondern schon die Triennale von Delhi 1968. Alle drei wollten die Himmelsrichtung als Zone von Energie und Kreativität statt von Armut und Ausbeutung ins Bewusstsein rufen.
Gardner und Green beschreiben als ideologischen Kern dieser zweiten Welle der Biennalisierung das Herausbilden einer Alternativstruktur von der Peripherie her, die sich explizit gegen das ästhetische und institutionelle Monopol Venedigs richtet. Im Lichte dessen klingt Adam Szymczyks Idee vom „Süden als eines Geisteszustands“ als Topos der Documenta 14 jetzt in Athen und Kassel wie der lauwarme Aufguss eines mehrmals benutzten Teebeutels.
Eloquent, kenntnisreich und quellensicher dröseln die Autoren Vor- und Nachteile der diversen Modelle auseinander. Die „Emergency Biennale“ 2005 in Tschechien findet vor ihren Augen als einer der wenigen Versuche Gnade, auf die politischen Konflikte des Landes aufmerksam zu machen und gleichzeitig den Künstlern vor Ort zu helfen. Die Biennale von Moskau im selben Jahr dagegen gilt ihnen als Prototyp der „Legitimation von Macht durch Kultur“.
Die Instrumentalisierung der Biennalen hat zu einer Welle von Biennale-Boykotten geführt. Die polnische Kuratorin Joanna Warsza, 2012 mit Artur Żmijewski Ko-Kuratorin der 7. Berlin-Biennale, hat zusammen mit gut 40 AutorInnen, von Ahmet Ögüt bis Vesna Madzoski, die entsprechenden Manifeste in einem Band zusammengetragen. Sie handeln von der Manifesta in Sankt Petersburg (2014), vom Ausstieg des Gründers und Sponsors Transfield in Sydney (2014) bis zur Rolle des Koç-Konzerns in Istanbul (2013/15).
Debatte statt Ausstieg
Als Leiterin des Public Program von Kasper Königs Manifesta in Sankt Petersburg stand Warsza im Kreuzfeuer der Debatte, ob es angesichts der russischen Politik in der Ukraine oder des Gesetzes gegen Homosexuelle nicht besser wäre, die Wanderbiennale zu boykottieren, wie es die russische Gruppe Chto Delat gefordert hatte. Warsza entschied sich gegen Boykott und Ausstieg. Stattdessen ließ sie all diese Fragen in dem von ihr verantworteten Rahmenprogramm diskutieren. Die Debatten, die sie auslöste, lassen ihre Bilanz, dass es richtig war, zu bleiben, als begründet erscheinen. Auch in repressiven Kontexten müssen Biennalen nicht umstandslos zu Cheerleadern von Spektakelkultur oder repressiver Regime werden.
Für Gardner und Green haben sie es trotz aller Konstruktionsmängeln zudem geschafft, die Kunst aus ihren „often hermetic, often politically reconstructive, avant-garde and experimental origins“ herausgeführt zu haben, „into the realm of the global public attention to contemporary art“, ohne deswegen „a mere handmaiden to globalization“ zu sein.
Damit könnten die Biennalen die nationalen Kunstgeschichten in ein „global narrative“ überführen helfen. Auf diesen epochalen Paradigmenwechsel lassen wir uns gern auch mal mit Zuckerwatte oder rosa Elefanten stoßen.
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