Bücher über Ferien ohne verreisen: Denk dir, es wäre freiwillig
Ein Buch wie gemacht für die Kontaktsperre: Harriet Köhlers vergnügliche „Gebrauchsanweisung fürs Daheimbleiben“.
Am dritten Tag ist das „Nichts tun“ dran und das beginnt mit der Empfehlung „Widerstehen Sie dem Drang aufzustehen“. „Der Lauf der Welt hängt nicht davon ab, ob wir uns jetzt oder erst in zwei Stunden über ihn informieren“, das Netz kann also ruhig noch eine Zeit lang abgeschaltet bleiben. Morgens noch eine Weile länger im Bett zu liegen, sabotiere den Kapitalismus, so meint Harriet Köhler in ihrem Buch „Gebrauchsanweisung fürs Daheimbleiben“.
Sie attackiert charmant Leistungsdruck, protestantisches Arbeitsethos und Selbstoptimierungswahn, wenn sie feststellt: „Vielleicht konnte sich die Redensart vom Müßiggang und den Lastern nur deshalb so lange halten: weil unser kapitalistisches System zusammenbräche, wenn die Menschen plötzlich liegen bleiben und sich fragen würden, wie sinnvoll es ist, weiter an der Herstellung von Dingen mitzuwirken, die so überflüssig sind, dass ein enormer Marketingaufwand nötig ist, um überhaupt ein paar Käufer dafür zu finden.“ Man merkt, dass es der Autorin diebischen Spaß macht, eine kleine Faulheit gegen das große System Produktion, Wettbewerb, Wachstum, Konsum in Stellung zu bringen.
„Gebrauchsanweisung fürs Daheimbleiben“, das klingt nach einem Titel wie erfunden für die jetzigen Zeiten von eingeschränktem Ausgang und eingeschränkter Mobilität. Tatsächlich aber ist das Buch, Teil einer Reihe von Reiseführern des Piper Verlags mit „Gebrauchsanweisungen“ für verschiedene Städte, Länder, den Wald oder das Campen, aber vor dem Virus entstanden.
Harriet Köhler: „Gebrauchsanweisung fürs Daheimbleiben“. Piper Verlag, München 2019, 208 Seiten, 15 Euro
Dennoch ist die Lektüre im Moment besonders nett, weil Harriet Köhler als freiwillige Übung beschreibt, was wir jetzt notgedrungen tun müssen: nicht verreisen, in der vertrauten Umgebung neue Optionen entdecken, aus der Entschleunigung Freiheit gewinnen. Osterferien zu Hause, das ist jetzt das gewiss ressourcenschonende Szenario.
Vielfliegerei auf Liste der Sünden
In den ersten sechs Kapiteln ihres Buches wirft Harriet Köhler einen kritischen Blick auf den Tourismus der Gegenwart, nicht ohne einzugestehen, selbst auch länger einer Kombination von Fernreisen, Städtekurztrips und Ferienwohnungen an südlichen Stränden gefolgt zu sein. Was die Vielfliegerei der Umwelt antut, steht ganz vorne auf der Liste der Sünden, denen sie mit dem Daheimbleiben während des Urlaubs entkommen will. Aber auch, wie das unentdeckte Städtchen, der authentische Flecken zu Fiktionen geworden sind und, was die Tourismusindustrie berührt, zur Kulisse wird. Wie gehen Ferien ohne umweltbelastenden Aufwand, diese Frage treibt sie an.
Dann folgen 14 kleine Kapitel, die sich für 14 Tage je eine Sache vornehmen: Zum Beispiel „Offline gehen“, „Ins Grüne fahren“, „Eine einfache Mahlzeit zubereiten“. Zu jedem dieser Stichworte hat die Autorin, die übrigens in Berlin lebt, sowohl eigene Erfahrungen parat, die oft ihre eigene Bekehrung beschreiben, als auch viele wissenschaftliche und kulturhistorische Exkurse.
Zum „Nichts tun“ und „In den Himmel gucken“ gehören da zum Beispiel neurologische Erkenntnisse, wie bestimmte, für Kreativität verantwortliche Hirnregionen erst im Modus der Nichtaktivität anspringen, oder wie Lehren aus dem Yoga, die die Körperposition des zurückgelegten Kopfes für den Blick in die Sterne mit der Öffnung des Brustraums und der Vertiefung des Atmens verbinden.
Freude über Erkenntnisse
Auch wenn man viele dieser Argumente kennt, so wird die Lektüre dennoch vergnüglich durch den Furor von Harriet Köhlers Vortrag. Ihre Erkenntnisse machen sie glücklich, das überträgt sich. Möglicherweise muss sie nicht zuletzt sich selbst überzeugen und freut sich deshalb so über jedes in ihre Logik passende Steinchen, dass sie entweder bei Autor:innen und Philosoph:innen vergangener Jahrhunderte entdeckt hat oder in neueren soziologischen Forschungen.
Ganz ohne Widersprüche ist ihr Text dabei nicht. So knüpfen viele der erfahrungssatten Alltagsbeobachtungen, mit denen sie einsteigt, bei ihrer Familie an und ihrem Leben als Mutter zweier kleiner Kinder. Man fragt sich, wo die Kinder bleiben an ihren Urlaubstagen, für die sie doch eher ein Konzept für einen erwachsenen Single entwickelt: Zum Beispiel für einen Tag nur in einem luxuriösen Hotel in der Nähe absteigen, auf dem Zimmer frühstücken, Zeitungen lesen.
Teilweise überrascht auch, wie sie die aus Vernunftgründen gewählte Haltung des Verzichts mit leicht hochstaplerischen Gedankenspielen aufpimpt. Tag 12, „Mit dem Herzen reisen“, beginnt einerseits mit der Nacherzählung einer Geschichte von Joris-Karl Huysmans, aus der zu lernen ist, dass die Vorfreude auf eine Reise eigentlich das Beste ist und man die Ausführung genauso gut auch lassen kann. Um daraus eine Strategie für einen virtuellen Einkaufsbummel abzuleiten, bei dem man alles, was man toll findet, im Kaufhaus anprobiert, einsammelt, zur Kasse bringt – und dort zurückgibt, nichts kauft. Keine so tolle Idee, denke ich, die Verkäuferin wird sich bedanken. So hat das Buch eben bessere und schlechtere Kapitel.
Als ihren Arbeitsplatz erwähnt sie gelegentlich, nein, nicht das Homeoffice, sondern die Berliner Staatsbibliothek. Tatsächlich bilden ihre kulturhistorischen Ausführungen oft die schönsten Passagen der Lektüre, wenn sie alte Geschichten nacherzählt wie die von Xavier de Maistre der während eines 42-tägigen Hausarrests „Die Reise um mein Zimmer“ schrieb, einen Bestseller von 1794, vielfach nachgeahmt: Im Vertrauten zu entdecken, mit welchen noch nicht wahrgenommenen Geschichten es zusammenhängt. Es gab also schon mal einen Hype der Zimmer-Literatur. Da würde man jetzt durchaus gerne noch mehr darüber erfahren.
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