Buch zur Globalgeschichte Afrikas: Mit Füßen getretene Menschenwürde

Die Moderne als Erfolgsgeschichte Europas? Das kann man auch anders sehen. Howard W. French erzählt von der tragischen Rolle, die Afrika dabei spielt.

Historische Aufnahme einer Maschine mit Zahnrädern

Ruinen einer frühen Zuckermühle, Florida. Solch gefährliche Maschinen wurden auf Sklaven­plantagen zur Verarbeitung von Zucker eingesetzt Foto: Heritage Images/imago

Mit neueren Forschungsergebnissen und guten Argumenten lässt Howard French in seinem neuen Buch „Afrika und die Entstehung der modernen Welt“ das dominierende Geschichtsbild der reichen Länder Europas und Amerikas in sich zusammenstürzen, dem zufolge es die Gelehrten und Abenteurer Europas waren, die den Weg in die Neuzeit bahnten.

Auf über 500 außerordentlich gut lesbaren Seiten erklärt French, langjähriger Korrespondent der New York Times und Journalistik-Professor an der New Yorker Columbia Universität, wie die Schätze des afrikanischen Kontinents, Gold und menschliche Arbeitskraft, den Aufstieg des Globalen Nordens erst ermöglichten. Dass also eigentlich Afrika im Zentrum der Geschichtsschreibung stehen müsste.

Howard W. French: „Afrika und die Entstehung der modernen Welt. Eine Global­geschichte“. Klett Cotta, Stuttgart 2023, 512 Seiten, 35 Euro

Weniger der Wunsch, neue Seewege zu finden, trieb Portugiesen und Spanier seit dem 15. Jahrhundert über die Meere und in unbekannte Weltgegenden, sondern Berichte von großen Goldvorkommen in Afrika. Und sehr schnell fanden die Seefahrer und ihre Finanziers heraus, dass der Handel mit afrikanischen Sklaven noch viel höhere Gewinne abwarf als der mit Gold. Auf den atlantischen Inseln und später in der Karibik rissen sich die Besitzer von Plantagen für Zucker, Kaffee oder Baumwolle um die menschliche Fracht.

Dass es Sklaverei in Afrika auch vorher schon gab und dass lokale Stammesführer und die Herrscher der großen afrikanischen Königreiche mit den europäischen Sklavenhändlern kollaborierten, verschweigt der Autor nicht, betont aber, dass in Afrika niemand eine Vorstellung von dem hatte, was die verkauften Sklaven in der Neuen Welt erwartete.

Sklaven in den Zuckerfabriken

Wohl mehr als 12 Millionen Afrikaner, überwiegend junge Männer, gelangten auf diese Weise in die Karibik und nach Nordamerika, weitere 6 Millionen kamen vermutlich auf dem Weg dorthin zu Tode. Kein Gesetz schützte Leib und Leben der Sklaven, die wie Waren im Zwischendeck der Schiffe gestapelt wurden und sich danach für ihre Besitzer buchstäblich zu Tode schuften mussten.

Frenchs Schilderung der Zuckersklaverei in der Karibik gehört zu den stärksten Passagen seines Buches. Mit jedem Satz über die qualvolle und gefährliche Arbeit auf den Feldern und in den Zuckerfabriken ruft er die Leiden der Sklaven und ihre mit Füßen getretene Menschenwürde ins Bewusstsein seiner Leser:innen.

Historische Statistiken bricht French auf eingängige Aussagen herunter, etwa wenn er notiert, dass im 18. Jahrhundert die durchschnittliche Überlebenszeit eines karibischen Zuckersklaven fünf bis sieben Jahre betrug oder dass der Begriff „Zombie“ als Bezeichnung für einen lebenden Toten seinen Ursprung auf den Westindischen Inseln hat. Dass die spezielle Ausbeutung der Sklavinnen als Frauen nicht mehr Raum in seiner Darstellung einnimmt, mag sich aus ihrem geringen Vorkommen in der Karibik erklären, schade ist es dennoch.

Ein beschädigter Kontinent

Erst nach dem Verbot des transatlantischen Sklavenhandels wurden Sklaven etwas besser behandelt und Familiengründungen wurden unterstützt – weil nun der Nachschub fehlte. Die Plantagenwirtschaft hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits in den Süden der USA verschoben, wo überwiegend Baumwolle angebaut wurde.

Afrika blieb als tief beschädigter Kontinent zurück, der sich von dem an ihm vollzogenen Menschenraub bis heute nicht erholt hat. French weist in diesem Zusammenhang auch auf das kulturelle Erbe der jahrhundertelangen Sklavenjagd in Afrika hin: ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber Nach­ba­r:in­nen und politischen Institutionen, das eine demokratische Entwicklung bis heute behindert.

Die von den Sklavenbesitzern angehäuften Geldvermögen wurden in den kolonialen Mutterländern in die entstehenden Fabriken investiert und befeuerten die Entwicklung zu einer kapitalistischen Wirtschaftsweise. Karl Marx nannte den Vorgang „ursprüngliche Akkumulation“. French geht weiter. Wie der Historiker Sven Beckert für den Baumwollanbau, zeigt French für die Zuckersklaverei, dass sie in wichtigen Teilen bereits industriekapitalistisch organisiert war.

So führt er das Beispiel des Plantagen­besitzers Richard Drax, an, der schon im 17. Jahrhundert seine Gewinne dadurch zu steigern wusste, dass er auf seinem Grund und Boden eine Raffinerie bauen ließ, den industriellen Teil der Zuckerherstellung also auf seine eigene Plantage holte. Er führte auch Aufseher ein, die die Sklaven zu schnellerem Arbeiten antrieben. Seine Neuerungen fanden schnell Nachahmer.

Kapitalistisches Wirtschaften

Im 18. Jahrhundert hatte auf den Plantagen der Neuen Welt regelmäßig ein kapitalistisches Wirtschaften Einzug gehalten, mit Elementen wie Arbeits­teilung, Effizienzsteigerung und Buchführung.

Wie lässt sich in der Gegenwart mit dem bedrückenden Erbe der jahrhundertelangen Ausbeutung Afrikas umgehen? Zu dieser Frage äußert sich der Autor erstaunlich vorsichtig. Er will den Beitrag der Afri­ka­ne­r:in­nen zu den wirtschaftlichen und kulturellen Errungenschaften der westlichen Welt anerkannt wissen. Und er rät den Industrienationen dazu, die strauchelnden Länder Afrikas wirtschaftlich zu unterstützen.

Dabei ließen sich aus seiner ebenso kenntnisreichen wie engagierten Darstellung viel weiter gehende Forderungen herleiten, beispielsweise die nach Reparationszahlungen.

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