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Buch über Sozialphilosoph Max HorkheimerIn der historischen Erfahrung sein

Die Literaturwissenschaftlerin Yael Kupferberg rekonstruiert die Rolle des Judentums als Erfahrung und Idee im Denken von Max Horkheimer.

Spiritus Rector der Kritischen Theorie: Max Horkheimer 1960 Foto: akg/picture alliance

Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule gilt gemeinhin als eine Art Hegel-Marxismus. Der Denkweg ihres Spiritus Rector Max Horkheimer wird meist so beschrieben, dass der Unternehmersohn sich von einem Rätekommunisten infolge der Erfahrung von Flucht nach Amerika und der Vernichtung der Juden in Europa zu einem eher konservativen Sozialphilosophen gewandelt habe, erst recht in seinen letzten 15 Lebensjahren, die er im Tessin verbrachte.

Nach der Wiedereröffnung des Instituts für Sozialforschung 1951 habe er die linksradikalen Ursprünge der Kritischen Theorie unter dem Deckel gehalten und im Kalten Krieg sich dem antisowjet­kommunistischen Lager angeschlossen. Als Ausdruck dieses konservativen Pessimismus gilt auch Horkheimers Bekenntnis zum Juden­tum.

Yael Kupferberg, Literaturwissenschaftlerin aus Berlin, beleuchtet nun den „späten“ Horkheimer als einen jüdischen Philosophen der Moderne, außerdem als einen Übersetzer jüdischer Paradigmen in deutsche Philosophie. Und sie überrascht mit der These: Schon für den jungen Horkheimer spielte das Judentum eine große Rolle, ja, die Kritische Theorie ist überhaupt eine philosophische Übersetzung jüdischer Motive, nämlich die „Sehnsucht nach dem ganz Anderen“ in Kombination mit dem „Bilderverbot“. Die Autorin gibt zu bedenken: Gerade weil Kritische Theorie auch Religionsphilosophie sei, enthalte sie das Moment und das Ethos der Kritik.

Idealistischer Moralphilosoph

Das Buch

Yael Kupferberg: „Zum Bilderverbot. Studien zum Judentum im späten Werk Max Hork­heimers“. Wallstein Verlag, Göttingen 2023, 207 Seiten, 28 Euro

Kupferbergs Studie besteht selbst aus Hin- und Herübersetzungen zwischen jüdischer Theologie und Horkheimers Vernunftphilosophie. Für sie ist die Kritische Theorie eine kantische Säkularisierung des Judentums, Horkheimer somit eher ein idealistischer Moralphilosoph.

Nicht zufällig kommt immer wieder Hermann Cohen als Vermittlungsinstanz zu Wort. Horkheimers zentrale Ideen wurzeln demnach in der monotheistischen jüdischen Ethik. Kupferberg präsentiert eine Vielzahl an Belegen aus dem deutsch-jüdischen Schrifttum, die die Wahlverwandtschaft bezeugen sollen – dem Buch liegt eine Habilitationsschrift zugrunde.

Der zentrale Begriff der Beweisführung ist das „Bilderverbot“, das die konkretisierte und falsche Synthese, mithin „Ideologie“, verhindere. „Du sollst dir kein Bild von Gott machen“, heißt bei Horkheimer: Du kannst über das Absolute nichts aussagen.

Kritische Theorie bedeutet demnach eine Annäherung an die Wahrheit, insofern sie ausdrücken kann, was nicht wahr ist, was wiederum implizit Wahrheit ermöglicht. Viel wichtiger erscheint mir aber Kupferbergs untheologischer Punkt, nämlich: Horkheimers theoretische Hinwendung zum Judentum als philosophisch-politischen Kommentar zu seiner Zeit­erfahrung zu lesen.

Die Zerstörung der Vernunft

Die Zerstörung der Vernunft von innen wie von außen ist die allgemein-philosophisch ausgedrückte jüdische Erfahrung des 20. Jahrhunderts. Leider sagt Kupferberg nichts über die Kommunismus-Konservatismus-Konstellation des jüdischen Horkheimer und dessen politische Entwicklung. Klar ist aber, dass man von einer reaktionär-religiösen Wende, wie das die 1968er-Generation beschrieben hat, nicht sprechen kann, ohne die Bedingungen jüdischer Existenz im postnationalsozialistischen Deutschland zu ignorieren.

Erst jüngst hat eine andere wissenschaftliche Qualifikationsarbeit – „In der Dämmerung“ von Christian Voller (Matthes & Seitz 2022) – die historisch-materialistischen und auch die synkretistischen geistesgeschichtlichen Quellen in der Vor- und Frühgeschichte der Kritischen Theorie rekonstruiert. Es scheint ein bisschen wie beim Streit um Walter Benjamin zuzugehen: Wie jüdisch oder marxistisch ist der Vordenker der Kritischen Theorie?

Es scheint ein bisschen wie beim Streit um Walter Benjamin zuzugehen

Hier nur in Alternativen zu denken – „materialistisch oder jüdisch“ – verfehlt die historischen Erfahrungen Max Horkheimers, der Sätze schrieb wie: „Sehr traurig bin ich über die Situation der Welt. Die Zukunft ist dunkel, wahrscheinlich noch erschreckender als die Menschen ahnen, die ohnehin, bewusst und unbewusst, sich bedrückt fühlen.“

Auch Schopenhauers pessimistische Metaphysik wäre übrigens nicht zu vergessen!

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