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Buch über DDR-GeschichteMit Mutti zum Kaffee bei Egon Krenz

Zu Gast bei der ostdeutschen Volksgemeinschaft: Katja Hoyers viel diskutiertes und seltsames Buch „Diesseits der Mauer“.

Ein Volk, ein Trabi? Foto: Thomas Hoepker/Magnum Photos/Agentur Focus

Am Ende dieses Buchs, das der Verlag als „Eine neue Geschichte der DDR“ anpreist, finden sich unter den Danksagungen, die unter anderem dem Agenten und der PR-Managerin der Autorin sowie „meiner Twitter-Community“ gelten, auch diese Sätze: „Mutti opferte für mich ihr Wochenende und fuhr mich zum Kaffeetrinken mit Egon Krenz an die Ostsee. Papa durchstreifte mit mir einen Tag lang die Waldsiedlung, wo wir gemeinsam zuordneten, wo einst welcher Politiker gewohnt hatte.“

Mutti war zu DDR-Zeiten Lehrerin gewesen, Papa ein NVA-Offizier; die Tochter, Jahrgang 1985, lebt indessen seit langem in Großbritannien, kommentiert für die BBC, schreibt für die Washington Post und forscht am Londoner King’s College. Katja Hoyer sieht sich dabei wohl eher als meinungsstarke Historikerin denn als skrupulöse Soziologin, was ihrem zuerst auf Englisch und nun auch in deutscher Übersetzung erschienenem Buch „Diesseits der Mauer“ nicht unbedingt gut tut.

Katja Hoyer: „Diesseits der Mauer. Eine neue Geschichte der DDR 1949-1990“. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2023, 592 Seiten, 28 Euro

Die Tochter eines Systemträger-Ehepaars schreibt nämlich keine ostdeutsche Version von Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ oder gar ein Post-DDR-Pendant zu Bernward Vespers 1977 posthum veröffentlichtem Kultbuch „Die Reise“, in dem mit der NS-Elterngeneration vernehmlich abgerechnet worden war.

Mutti und Vati und deren Milieuprägungen werden nicht im Geringsten kritisch befragt, stattdessen findet sich über den einst in Strausberg stationierten Militär folgendes: „Alles in allem machte Frank seine Arbeit Spaß, aber es war auch klar, dass sie zunehmend politisiert wurde.“

Deutsche Rechtfertigungskontinuität

Das Buch

Katja Hoyer: „Diesseits der Mauer. Eine neue Geschichte der DDR 1949-1990“. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2023, 592 Seiten, 28 Euro

Sieh an: „Zunehmend politisiert“ – und das in der NVA! Vielleicht könnten ja zukünftige Mentalitätshistoriker fündig werden angesichts solch deutscher Rechtfertigungskontinuität: Die Armee als mehr oder minder „sauber“, wäre da nur nicht die vermaledeite Politik und das intrigante Treiben derer da oben, in deren Fänge dann ein bisschen sogar Mutti und Papa geraten waren.

Dabei lässt es Katja Hoyer durchaus nicht an Anklage fehlen: „Geschichte wird von Siegern geschrieben, auch die der DDR.“ In immer neuen Formulierungen wird einem nicht näher spezifizierten Westen der Vorwurf gemacht, die DDR bislang nur als graue russische Kolonie wahrgenommen zu haben. Quellenangaben zu diesem Pauschalvorwurf sucht man vergebens.

Dabei wäre es im Gegenteil reizvoll gewesen, jenes permanente national-konsensuale Schönreden des SED-Staats zu dokumentieren – von den Weichzeichnereien der einstigen bundesdeutsch-linksliberalen Starpublizisten Günter Gaus und Marlies Menge bis hin zu den gegenwärtigen Auslassungen der AfD, wo man die „preußische Zucht und Ordnung“ des Mauersystems weiterhin ganz formidabel findet.

Nicht zu vergessen Bundeskanzler Kohls und seines damaligen Innenministers Schäuble Skepsis gegenüber der Öffnung der Stasi-Akten, die dann schließlich vor allem von ostdeutschen Bürgerrechtlern durchgesetzt wurde.

Eine Verschwörungstheorie

Hoyers schräge Verschwörungstheorie wird dann freilich von ihr selbst auf nahezu jeder Seite widerlegt, denn „neu“ an ihrem Parcours zur DDR-Geschichte ist lediglich die Form: Ein Buch nämlich, das sich in seinen Fakten und Daten auf zahlreiche und bereits seit Langem veröffentlichte Forschungen stützt – und zwar aus Ost und West.

Von einem dreisten Plagiat lässt sich dennoch nicht sprechen, denn die Quellen werden am Schluss durchaus genannt: Von Wolfgang Leon­hards „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ und Andreas Petersens Untersuchung über die stalinistischen Täterbiografien der aus Moskau nach Ostberlin übergewechselten ersten Generation der SED-Elite bis hin zu den Alltagsanalysen des (ostdeutschen) Historikers Stefan Wolle.

Selbst die recht vergnüglich zu lesende Passage über DDR-Jeans bezieht ihre Details aus einem anderen Buch, das bereits vor Jahren im Christoph Links Verlag erschienen war.

Die chronologische Darstellung der vier DDR-Jahrzehnte ist damit weder neu noch originell, jedoch auch – zumindest solange sich die Autorin an die Veröffentlichungen anderer hält – keineswegs verharmlosend. Stasi, fehlende politische Grundrechte und staatliche Repression werden sehr wohl thematisiert, wenngleich in geradezu mechanischer Eilfertigkeit mit einer vermeintlichen Systemlogik des Kalten Kriegs erklärt oder in Beziehung gesetzt zur Tatsache, dass unter allen kommunistischen Staaten in der DDR immerhin der materielle Lebensstandard am höchsten war.

Staatlicher Rassismus

Dabei wird allerdings, als lägen hier nicht bereits zahlreiche Forschungsergebnisse vor, der Rassismus gegenüber den auf Staatsbefehl isoliert lebenden ausländischen VertragsarbeiterInnen ebenso geleugnet wie vom hohen Frauenanteil in der „sozialistischen Produktion“ auf eine wirkliche Emanzipation kurzgeschlossen wird.

Die InterviewpartnerInnen, die Katja Hoyer – offenbar nun in Eigenregie – gefunden hat und die von ihr im Guido-Knopp-Stil am Beginn eines jeden Kapitels in ihren Lebensabschnitten vorgestellt werden, sprechen dann von all dem: Von Freud und Leid der Nichtprominenten, von beruflichen Aufstiegschancen und ökonomischer Malaise, hinzu kommen noch die Erinnerungen des DDR-Schlagerstars Frank Schöbel.

Die Autorin selbst zieht folgendes Resümee: „Die Bürger der DDR lebten, liebten, arbeiteten und wurden alt.“ Diese himmelstürzende Erkenntnis möchte die Autorin nun endlich auch im wiedervereinigten Land implementiert wissen, „um die deutsche Vergangenheitsbewältigung abzuschütteln“.

Dem bisherigen Medienecho zufolge, in dem diese in entscheidenden Passagen völlig unreflektierte Publikation als „wichtiger Debattenbeitrag“ gelabelt wird, scheint die Freude aufs Abschütteln jedenfalls enorm zu sein. Vielleicht sollte der publicity-emsige Verlag als Spoiler noch hinzufügen: Für alle LeserInnen von Sahra Wagenknecht und Richard David Precht.

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10 Kommentare

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  • Seltsamerweise sieht die britische Leserschaft das Buch mit einer ganzen anderen Optik. Wer will kann sich die nachfolgenden Kritiken zu Gemüte führen



    Mythen sprengende, kunstvoll konstruierte Geschichte. . . Katja Hoyer zeigt ein besonderes Verständnis und will ein Korrektiv zu bisherigen reduktiven Einschätzungen der DDR präsentieren, die sie als feldgraues Stasiland darstellen. . . Ihre Detailbeherrschung, ihr breiter historischer Pinselstrich und ihre offensichtliche Sympathie für ihre Interviewpartner sorgen für eine faszinierende Lektüre -- Roger Boyes * The Times * Vergessen Sie alles, was Sie über das Leben in der DDR zu wissen glaubten. Diese unglaublich farbenfrohe, überraschende und unterhaltsame Geschichte des sozialistischen Staates steckt voller Überraschungen – Dominic Sandbrook * The Sunday Times * Brilliant. . . Hoyer ist ein Historiker mit immensen Fähigkeiten. . . Gründlich recherchiert, klug konstruiert und wunderschön geschrieben, sollte diese dringend benötigte Geschichte der DDR in ihrem Heimatland zur Pflichtlektüre werden. Fünf Sterne – Saul David * Daily Telegraph * Spannend, faszinierend und sehr lesenswert. Ein außergewöhnliches Buch. Fünf Sterne – Peter Hitchens * Mail on Sunday * Katja Hoyer bestätigt mit „Beyond the Wall“ ihren Platz als eine der besten jungen Historikerinnen, die heute auf Englisch schreiben. Nach ihrem großartigen Blood and Iron über den Aufstieg und Fall des Zweiten Reichs folgt ein weiteres Meisterwerk, dieses über die Nachwirkungen des Dritten Reichs im Osten. Gut recherchiert, gut geschrieben und zutiefst aufschlussreich, sprengt es viele der faulen westlichen Klischees über Ostdeutschland – Andrew Roberts absolut brillant. Dieser packende Bericht über die DDR wirft ein neues Licht auf ein für viele von uns nach wie vor undurchsichtiges Kapitel der Geschichte.

    • @Peter Herrmann:

      Das Wissen der Briten über die DDR ist eben nicht besonders groß.

      Außerdem sind sie ja auch nicht negativ von Ostalgie betroffen.

      Bei uns dagegen nützt die Verniedlichung einer sozialistischen Diktatur ironischerweise gerade den ostdeutschen Rechten.

    • @Peter Herrmann:

      .... Roger Boyes



      Vergessen Sie alles, was Sie über das Leben in der DDR zu wissen glaubten. Diese unglaublich farbenfrohe, überraschende und unterhaltsame Geschichte des sozialistischen Staates steckt voller Überraschungen...



      Ich muß nichts vergessen.



      DDR=Diktatur=Unrechtsstaat



      ...-Ein faschistischer Putsch?



      .. »Neue Deutschland«, bei den Unruhen habe es sich um »eine faschistische Provokation ausländischer Agenten« gehandelt.....



      Klingt ganz aktuell! Ukraine!



      Der 17.Juni 1953 hätte zum Erfolg führen sollen. Ich hätte noch zwei, drei Jahre Zeit bis zur Entstehung gehabt. Keine Mauer! Schade!



      www.bundesstiftung...der-ddr/geschichte

      • @Ringelnatz1:

        anschließe mich - *45 - bis 51 Halle/Saale war mir dieses verwerchelte Monstrum immer im Auge!



        ps - Als ich post Wende einem Kollegen Weggefährten das Paddeln auf der Rhume näher brachte - sagte er launig achteran:



        “Das haben wir uns immer gedacht - daß du mehr mit der DDR zu tun hattest! Wie du uns unsere pseudosozialistisch unkritischen “Blütenträume“ um die Ohren gehauen hast! Was waren wir sauer. Und wie recht du hattest! Gelle“



        (Ende des 🎢 🎡 der Eitelkeiten!;)(

  • Ein Thema narzißtischer Objektbeziehungen.



    Vergleiche dazu auch



    Rauh, Robert, 2021, „Die Mauer war doch richtig!“: warum so viele DDR-Bürger den Mauerbau widerstandslos hinnahmen, Berlin: be.bra verlag 208 S. mit einer Auswertung einer Umfrage von 2020, Medien aus der Zeit 1952-63 und einer Auswertung von privaten Briefen, auch über die Grenze in den Westen.



    Tenor: ständige Angst vor dem Überfall und ein Marsch aus dem Westen, wiederkehrende Abschottungswellen.



    Am besten alle machen ihre individuellen Erfahrungen in Sao Paulo, Halifax oder Marseille: im Kontakt mit anderen Menschen, auf diese angewiesen.

  • Mein Knurren(über das Buch) wurde immer lauter.



    Als dann auch noch der Name Frank Schöbel viel war's aus.



    Natülich das hochwichtige Hosenthema auch noch. Keine Sau'in wollte damit rumlaufen:



    Jeans "Wisent"



    www.ddr-museum.de/de/objects/1022337



    ... Für alle LeserInnen von Sahra Wagenknecht und Richard David Precht....



    Da stahl sich wieder ein Lächeln in mein Gesicht.(Ironie!!)



    Der Beitrag ist juti geschrieben!



    Gleich habe ich das Kennzeichen im Bild beim Skoda entschlüsselt.



    Bezirk Halle-Kreis Querfurt-Parkplatz anner Ostsee.

    • @Ringelnatz1:

      Na Servus

      Da isser ja & ich dacht schon “Wo bleibt uns R1 vande PenthousePlatte?“



      & Ach was? ©️ Vagel Bülow



      “Der Kreis Querfurt war ein Landkreis im Bezirk Halle der DDR. Von 1990 bis 1994 bestand er als Landkreis Querfurt im Land Sachsen-Anhalt fort. Sein Gebiet liegt heute im Landkreis Mansfeld-Südharz und im Saalekreis (Hauptteil) in Sachsen-Anhalt. Der Sitz der Kreisverwaltung befand sich in Querfurt.



      de.m.wikipedia.org › wiki



      Kreis Querfurt - Wikipedia



      Bezirk der DDR: Halle



      Einwohner: 32.146 (1989)



      Kfz-Kennzeichen: K und V (1953–1990); KU und VU (1974–1990); QFT (1991–1994)



      Kreisstadt: Querfurt“



      Und da fällt mir ein - bei meine 2. Rückkehr nach die Hallenser Halloren und Halunken - fuhren wir ooch am Mansfelder Bergbau öh entlang! Woll



      Und staunten nach Ruhrpott nicht schlecht - wie die Abraumhalden nur äußerst knapp vor den Balkonen nunja zum Stehen kamen! - 🙀🥳😡 -



      Ja & “da ließ der Elefant aus Sangerhausen doch aber mal mächtig einen durch die Latten sausen!“



      www.harzlife.de/ha...nsfelder_land.html



      ps Na & von ditte - wa!



      “Im VEB Fluß- und Schwerspatbetrieb Trusetal wurden von 1950 bis 1990 neben 6.104.500 Tonnen Hüttenroh- und Aufbereitungserz auch insgesamt 2.479.900 Tonnen Fluß- und Schwerspat gefördert. Allein die Grube Hühn war an der Spatförderung von 1954 bis 1990 mit 863.600 Tonnen, also mehr als einem Drittel, beteiligt. “ ein andermal! - But!



      www.besucherbergwe...setal.de/1945-1990



      Nur - irgendwo auf Sohle? - stand in rot!



      “WER ARBEITET HIER - DIE SED ODER WIR?“



      lirp.cdn-website.c...3264x2448-672w.JPG



      Und schlimmer - je tiefer ging immer •



      www.reviersteiger....patgrube-trusetal/



      Wir ham da viel mitgehen lassen! Woll.



      Nur der übermannshohe Betonsoldat am Eingang - war uns dann doch was schwer! Schade!



      In Brotterode im Vorgarten am Marktplatz hätte der sich gut gemacht!

      • @Lowandorder:

        Klasse Bilder!



        Hier noch jede Menge aus den 70-80zigern.



        VEB Fluß -und Schwerspatbetrieb Trusetal



        www.bauforum24.biz...?&page=42#comments



        www.bauforum24.biz...trusetal/#comments

        • @Ringelnatz1:

          Danke. Der Christian Rein hat ja serienweise tolle Bilder gemacht!



          Mein Freund - ich sag nur Brotteroder Knoblauchhund - kannte sich fein aus!



          Als wir einstiegen war natürlich schon vieles abgeräumt - aber eine Ahnung für die realen Produktionsbedingungen etc. einschließlich der Verzweigungen der Entlüftetungsschächte kriegteste schon.



          Bonmot: Im riesigen Gemeinschaftssaal waren drei Spuren parallel der Kreissägen/Flex? am Boden - fürs “Aufnehmen“ des Volxeigentums Fischgrätparkett!;))



          Einer allein konnte keine sojet riesigen Rollen böhren/tragen! Woll.



          Allet streng bewacht von dem Betonruski - wa!

  • Das Buch hätte man eigentlich auch schon 1994 schreiben können. „Es war nicht alles schlecht und der Westen ist ja auch nicht besser“ war damals schon Phrase.