Buch „Die Shitstorm-Republik“: Im Auge des Sturms
Das Buch „Die Shitstorm-Republik“ der ZDF-Journalistin Nicole Diekmann beschäftigt sich mit Hass im Netz. Ein allbekanntes, aber ungelöstes Problem.
Wie es sich anfühlt, mit einem einzigen Tweet auf Twitter plötzlich Zielscheibe von Hass im Netz zu sein, das hat die Journalistin Nicole Diekmann selbst zu spüren bekommen. Von ihrer Couch in ihrem Elternhaus twitterte sie am 01. Januar 2019: “Nazis raus“. Das löste erst einmal keine aufgeregten Reaktionen hervor. Doch dann fragte einer ihrer Follower, wer denn für sie ein Nazi sei. Da sie, wie sie sagt, den Account bereits kannte und keinen Sinn darin sah, mit dieser Person eine Diskussion zu beginnen, antwortete sie ironisch: “Jede/r, der/die nicht die Grünen wählt.“ Ohne Zwinkersmiley. Das wurde ihr zum Verhängnis.
Wegen dieses einen Posts erlebt Diekmann eine Hasswelle, die tagelang nicht abebbt. Innerhalb der nächsten 30 Minuten erhält sie 50 hasserfüllte Nachrichten, wird öffentlich beschimpft und beleidigt. So beschreibt sie es in ihrem Buch “Die Shitstorm-Republik“, das kürzlich erschienen ist. Diekmann liefert darin eine detailreiche Analyse nicht nur des eignen Falls, sondern auch wie Hass im Netz funktioniert. Dabei zeigt das Buch auch: man ist noch weit von einer Lösung des Problems entfernt.
Was Diekmann erlebt hat, passiert permanent. Und im schlimmsten Fall überträgt sich der Hass in die analoge Welt, so wie bei dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Hass im Netz ist ein wachsendes Problem, dem vor allem Frauen und marginalisierte Gruppen ausgesetzt sind. Diekmann zitiert die 2018 von Amnesty International veröffentlichte Studie „Toxic Twitter“. Bei dieser kam heraus, dass in den USA und Großbritannien alle dreißig Sekunden eine Politikerin oder Journalistin beleidigt wird. Eins ist also sicher: es muss etwas passieren. Nur was?
Hass aus dem Netz im Alltag
Diekmann alarmiert zu Recht, dass der Ton im Netz verroht und so immer mehr in die analoge Welt dringt: “Der Hass sucht sich seinen Weg nach draußen, raus aus den Netzwerken auf die Straße, und umgekehrt.“ Dass sich Hass im Netz schnell verbreitet, ist kein Zufall. Denn soziale Medien wie Facebook und Twitter bieten mit ihren Algorithmen den lautesten und wütendsten Stimmen eine Plattform. Je negativer der Ton, desto mehr Aufregung und Beteiligung gibt es im Netz. Das generiert wieder mehr Daten und somit mehr Werbeeinnahmen für die Plattformen.
So weit so bekannt. Wo aber ansetzen? Bei der Strafverfolgung, bei der Anonymität im Netz? Bei der Aufmerksamkeitsökonomie? Im rechten Milieu? So stecken laut der Zentralstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen hinter Beleidigungen und Bedrohungen im Netz in achtzig bis neunzig Prozent der Fälle rechte Accounts. Meist sind es kleinere Accounts, die Menschen mit größerer Reichweite angreifen, um so Aufmerksamkeit zu generieren, schreibt der Social-Media-Analyst Luca Hammer.
Die Informationsmacht liegt derweil noch immer in den Händen der Unternehmen. Cybercrime-Sonderermittler Christopher Hebbecker berichtet in Diekmanns Buch, er müsse bei den Plattformen “betteln“, um an Daten von Straftätern zu kommen. “Diejenigen, die wir im Moment wirklich drankriegen, sind meistens diejenigen, die sich ungeschickt verhalten und überhaupt nicht in der Lage sind, ihre eigenen Daten zu verbergen.“ Das Rechercheportal correctiv.org etwa während der Coronakrise heraus, dass Verschwörungsmythen vor allem über YouTube und WhatsApp verbreitet werden.
Bessere Strafverfolgung
Wie dies gelöst werden kann, beschäftigt auch die Politik seit einigen Jahren. Seit Juni gibt es das „Gesetz gegen Hass im Netz“. Damit sollen soziale Netzwerke ab kommenden Februar gezwungen werden, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen sowie andere schwere Hassdelikte nicht nur zu löschen, sondern auch an das Bundeskriminalamt zu melden. Inklusive der IP-Adresse, so dass die Verfasser:innen der Hassbotschaften gefunden werden können. Das ermöglicht zwar eine schnellere Strafverfolgung, aber Kritiker:innen sehen darin ein Datenschutzproblem. Renate Künast von den Grünen kritisierte etwa, dass so “massenhaft Benutzerdaten“ an das Bundeskriminalamt weitergegeben würden. Ein weiteres Problem: Aus Angst vor hohen Bußgeldern geben die sozialen Netzwerke eventuell zu viele Daten an das Bundeskriminalamt weiter.
Wie staatliche Eingriffe den Datenschutz gefährden können, das spricht auch Nicole Diekmann in ihrem Buch an. Sie liefert aber keine Antwort, wie dieses Dilemma gelöst werden könnte. Dafür nennt sie einen anderen wichtigen Punkt: es fehlt an Personal, um im Netz überhaupt Straftaten aufzudecken.
Die Politik muss Lösungen finden
So appelliert Diekmann an die Politik, ein Digitalministerium aufzubauen. Insgesamt sollten sich Politiker:innen und Journalist:innen laut der Autorin mehr mit den sozialen Medien auseinandersetzen. Journalist:innen sollten speziell ausgebildet werden und Politiker:innen sollten nicht nach Lust und Laune twittern, sondern Social Media auf parteipolitischer Ebene ernst nehmen. Das alles passiert aber nicht mal eben, es handelt sich um massive Veränderungen.
Es gibt auch Zivilgesellschaftliche Ansätze aktiv werden kann und welche Initiativen bereits existieren. So wird nur die Organisation Hate Aid angesprochen, die Diekmann selbst bei ihrer Shitstorm-Erfahrung zur Seite stand. Diese übernimmt die Anwalts- und Prozesskosten für Betroffene, die im Netz beleidigt oder bedroht werden. Falls sie den Prozess gewinnen, fließt das Geld wieder zurück in die Organisation.
Diekmanns Buch ist eine gute Aufarbeitung des Problem, dokumentiert aber auch eine gewisse Ratlosigkeit, wie es weiter gehen soll. Die eine Lösung gegen Hass im Netz gibt es nicht. Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis.
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