Brüchige Waffenruhe in Gaza: Geht es schon wieder los?
Israel bombardiert mehrere Ziele im Gazastreifen – offenbar als Antwort auf einen Angriff der Hamas. Wie wird Donald Trump die Situation bewerten?

Gut eine Woche nach ihrem Inkrafttreten droht die unter Druck der USA vermittelte Waffenruhe im Gazastreifen zu scheitern. Das israelische Militär griff mehrere Ziele in Rafah im Süden sowie in Dschabalija im Norden Gazas an, berichteten israelische Sender. Zuvor sollen laut Angaben der israelischen Armee Kämpfer der radikalislamischen Hamas Stellungen jenseits der „gelben Linie“ in Rafah angegriffen haben. Hinter diese Linie hatte sich die israelische Armee nach Inkrafttreten des Abkommens zurückgezogen.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu befahl Armee und Geheimdiensten laut Angaben seines Büros ein „entschiedenes Vorgehen“. Izzat al-Rischk, ein hochrangiges Mitglied des Hamas-Politbüros, bestritt jede Verbindung zu dem Angriff in Rafah. Die Gruppe stehe zu der Vereinbarung.
Am Sonntagabend gab die israelische Armee bekannt, weitere Angriffe gegen die radikalislamische Hamas im Gazastreifen ausgeführt zu haben. Wie die Streitkräfte mitteilten, begannen sie „eine Serie von Angriffen gegen Hamas-Terrorziele im südlichen Gazastreifen“. Dies sei eine „Antwort auf die eklatante Verletzung der Waffenruhe“ zuvor am Sonntag durch die Hamas.
Schon zuvor galt das Abkommen als brüchig: Seit dem 10. Oktober habe die israelische Armee 47 Mal gegen die Waffenruhe verstoßen und laut dem Hamas-Medienbüro mehr als 38 Palästinenser getötet. Am Freitag starb nach Angaben des palästinensischen Zivilschutzes eine elfköpfige Familie, darunter sieben Kinder und drei Frauen, auf dem Weg zu ihrem früheren Zuhause in Gaza-Stadt. Die israelische Armee bestätigte den Angriff und sprach von einem „verdächtigen Fahrzeug, das die gelbe Linie überquerte“. Diese Rückzugslinie ist in weiten Teilen Gazas nicht markiert.
Israel wirft der Hamas vor, nach der Freilassung der 20 überlebenden Geiseln nur etwa die Hälfte der 28 getöteten Verschleppten übergeben zu haben. Die Hamas erklärt, sie brauche mehr Zeit und schweres Bergungsgerät, um die Leichen zu finden. Die US-Regierung scheint diese Einschätzung zu teilen. Israel hat jedoch wegen der Verzögerung den Grenzübergang Rafah nach Ägypten geschlossen und blockiert damit dringend benötigte Hilfslieferungen, die im Abkommen vereinbart waren.
Keine Aussicht auf Einigung bei Verhandlungen
In der von der israelischen Armee verlassenen Hälfte des Gazastreifens geht die Hamas indes gewaltsam gegen Palästinenser vor, denen sie Kooperation mit Israel oder die Plünderung von Hilfsgütern vorwirft. Ein Video einer öffentlich inszenierten Hinrichtung sorgte weltweit für Empörung. Das US-Außenministerium nannte das Vorgehen „einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Waffenruhevereinbarung“.
Auch bei den anstehenden Verhandlungen deutet sich keine Einigung an: Israel fordert die Entwaffnung der Hamas und lehnt eine Beteiligung der Palästinensischen Autonomiebehörde an der Verwaltung Gazas ab. Die Hamas lässt offen, ob sie ihre Waffen abgeben oder Gaza einer Verwaltung unter US-Aufsicht überlassen will.
Die Rückkehr bewaffneter Hamas-Kämpfer auf die Straßen Gazas und die Forderungen nach einer harten Reaktion, die sowohl aus der israelischen Regierung als auch von Oppositionspolitikern kommen, lassen wenig Hoffnung aufkommen. Die große Unbekannte bleibt der unberechenbare US-Präsident. Trumps Druck hatte die Kämpfe vorerst gestoppt. Hält er ihn aufrecht, könnten die Angriffe vom Sonntag ein Einzelfall bleiben. Lässt er nach, dürfte die ohnehin fragile Waffenruhe bald zusammenbrechen.
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